BRAK-Mitteilungen 4/2023

[9] 2. Die Revisionsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die Berufung der Bekl. ist unzulässig. Die Einlegung durch einen im Original und vorab per Telefax übermittelten Schriftsatz genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen der § 64 VII i.V.m. §§ 46g, 46c ArbGG. Die Berufung konnte durch den Verbandssyndikusrechtsanwalt formgerecht nur im Weg der Nutzung des ERV nach § 46c III und IV ArbGG i.V.m. den Bestimmungen der ERVV eingelegt und begründet werden (insoweit missverständlich ausschließlich auf die Übermittlung aus einem beA abstellend das Berufungsgericht zu B II der Gründe). [10] a) § 46g S. 1 ArbGG bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers soll diese Vorgabe nicht nur für das Erkenntnisverfahren, sondern umfassend für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO und dem ArbGG gelten (BTDrs. 17/12634, 37 i.V.m. S. 28). Gleiches gilt nach § 46g S. 2 ArbGG für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c IV 1 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht. [11] b) Die Vorschrift ist am 1.1.2022 in Kraft getreten (Art. 26 VII des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013, BGBl. I S. 3786) und damit grundsätzlich auf ab diesem Zeitpunkt gegenüber den Gerichten abgegebene Erklärungen von Rechtsanwälten anwendbar. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form nach § 46g ArbGG betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, 24.11.2022 – IX ZB 11/22 Rn. 7 m.w.N.). Wird die vorgeschriebene Form nicht eingehalten, ist die Prozesserklärung unwirksam und führt zur Unzulässigkeit einer Klage oder eines Rechtsmittels (vgl. zur Unzulässigkeit einer Klage wegen Verstoßes gegen § 46c ArbGG, BAG, 25.8.2022 – 6 AZR 499/21 Rn. 24 ff.; zu § 130a ZPO, BAG, 14.9.2020 – 5 AZB 23/20 Rn. 8 ff., BAGE 172, 186; BT-Drs. 17/ 12634, 37 unter Verweisung auf die Ausführungen zu § 130d ZPO auf S. 27). [12] c) Umstritten ist jedoch, ob diese Verpflichtung, Pflicht für Verbandssyndici bisher umstritten den ERV aktiv zu nutzen, auch für den Verbandssyndikusrechtsanwalt besteht. [13] aa) Mit Blick auf die fehlende Unterscheidung in § 46g S. 1 ArbGG und die grundsätzliche Geltung der Vorschriften über Rechtsanwälte für Syndikusrechtsanwälte nach § 46c I BRAO wird angenommen, auch Verbandssyndikusrechtsanwälte seien verpflichtet, den ERV zu nutzen (z.B. Heimann/Steidle, NZA 2021, 521 ff.; Müller, FA 2022, 62, 64 f.; Biallaß, in Ory/Weth, jurisPK-ERV Bd. 2, Stand 14.4.2023, § 130d ZPO Rn. 9 f.; Nier, jurisPR-ArbR 46/2022 Anm. 1). [14] bb) Demgegenüber wird eingewandt, die Eingabe eines Verbandssyndikusrechtsanwalts sei weder eine solche durch einen Rechtsanwalt i.S.v. § 46g S. 1 ArbGG noch handle der Verbandssyndikusrechtsanwalt als vertretungsberechtigte Person i.S.v. § 46g S. 2 ArbGG. Denn nach § 11 II 2 Nr. 4 und Nr. 5, S. 3 ArbGG sei Prozessbevollmächtigter der Verband, der durch seine Organe und die mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter, darunter der Verbandssyndikusrechtsanwalt, tätig werde. Daher unterlägen Syndikusrechtsanwälte – soweit sie überhaupt dazu berechtigt seien – in der Tätigkeit für den Verband nicht der Pflicht, mit den Gerichten unter Nutzung des ERV zu kommunizieren (Schrade/Elking, NZA 2021, 1675, 1676; Elking, NZA 2022, 1009, 1012; i.E. ebenso HWK/Tiedemann, 10. Aufl., ArbGG § 46c Rn. 41; Tiedemann, jurisPR-ArbR 19/2022 Anm. 9). [15] cc) Nach einer vermittelnden Meinung könnten Verbandssyndikusrechtsanwälte über die Verweisung in § 46c I BRAO grundsätzlich die prozessuale Stellung von Rechtsanwälten erlangen. Hierfür sei es aber erforderlich, dass der Syndikusrechtsanwalt als solcher nach außen auftrete (Pulz, NZA 2018, 14, 16 f.; Natter, in Ory/Weth, jurisPK-ERV Bd. 2, Stand 14.2.2023 § 46c ArbGG Rn. 61; Gädeke, in Ory/Weth jurisPK-ERV Bd. 3, Stand 24.3.2023, § 65d SGG Rn. 23; BeckOK SozR/ Mink, Stand 1.3.2023, SGG § 65d Rn. 3) oder dass der bevollmächtigte Verband im Rahmen seiner Satzung festlege, ob der beschäftigte Prozessvertreter das Mitgliedsunternehmen in seiner Rolle als Syndikusrechtsanwalt vertrete (Thöne, RDi 2022, 97, 99 f.). [16] d) Die Auslegung von § 46g ArbGG unter besonderer Berücksichtigung von § 46c ArbGG und § 46c I BRAO ergibt, dass ein Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach § 11 II 2 Nr. 4 und Nr. 5, S. 3 ArbGG erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt (§ 46 V 2 Nr. 2 BRAO), nach Satz 1 zur aktiven Nutzung des ERV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, wenn er gegenüber einem Gericht tätig wird und – wie im Streitfall – ein Rechtsmittel einlegt. [17] aa) Eine solche Verpflichtung ergibt sich für Verbandssyndikusrechtsanwälte allerdings nicht aus § 46g S. 2 ArbGG. Dieser Teil der Norm stellt auf die vertretungsberechtigten Personen selbst ab. Mit Blick auf die Konzeption in § 11 II 2 Nr. 4 und Nr. 5, S. 3 ArbGG, wonach Prozessbevollmächtigter der Verband ist und dieser durch seine Organe und mit der Prozessführung beauftragten Vertreter handelt (vgl. BAG, 7.11.2012 – 7 AZR 646/10 (A) Rn. 8, BAGE 143, 256; GMP/Künzl, 10. Aufl., § 11 Rn. 77; Schrade/Elking, NZA 2021, 1675, 1676; Pulz, NZA 2018, 14, 16), ist der vor den Gerichten für Arbeitssachen tätig werdende Verbandssyndikusrechtsanwalt keine vertretungsberechtigte PerSYNDIKUSANWÄLTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 256

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