BRAK-Mitteilungen 4/2023

SYNDIKUSANWÄLTE PFLICHT ZUR NUTZUNG DES ERV DURCH VERBANDSSYNDIKUS BRAO §§ 31, 31a, 46, 46c; ArbGG §§ 11 II 2, 46c, 46e Ia, 46g 1. Ein Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach den Bestimmungen des ArbGG und der BRAO erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt, ist berechtigt und verpflichtet, den elektronischen Rechtsverkehr aktiv zu nutzen, wenn er gegenüber einem Gericht tätig wird und beispielsweise ein Rechtsmittel einlegt. * 2. Der gesetzessystematische Zusammenhang von § 46g ArbGG mit § 46c ArbGG spricht dafür, dass es für die Pflicht, den ERV aktiv zu nutzen, darauf ankommt, ob es sich bei der das elektronische Dokument einreichenden bzw. übermittelnden Person um eine Person handelt, die Kraft ihrer Rechtsstellung über ein besonderes Postfach und damit einen sicheren Übermittlungsweg verfügt. * 3. Für die Einbeziehung auch der Verbandssyndikusrechtsanwälte in den ERV sprechen zudem die entsprechenden Bestimmungen der BRAO, insbesondere § 46c BRAO. Nach § 46c I BRAO gelten für Syndikusrechtsanwälte grundsätzlich die Vorschriften über Rechtsanwälte. BAG, Beschl. v. 23.5.2023 – 10 AZB 18/22 AUS DEN GRÜNDEN: [1] I. Die Parteien streiten über Provisionsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis. [2] Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das Urteil ist der Bekl. am 28.1.2022 zugestellt worden. Mit einem beim LAG am 24.2.2022 vorab per Telefax und später im Original eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat die Bekl. gegen das arbeitsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift war dabei wie folgt unterzeichnet: „Arbeitgeberverband (...) - handschriftliche Unterschrift - M Syndikusrechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht“ [3] Eine Übermittlung der Berufungsschrift unter Nutzung des elektronische Rechtsverkehrs (ERV) ist nicht erfolgt. [4] Nachdem die Bekl. die Berufung mit vorab per Telefax und sodann im Original übermittelten Schriftsatz v. 28.4.2022 begründet hatte, hat der Kl. mit Schriftsätzen v. 4.5.2022 und 15.6.2022 im Hinblick auf eine fehlende Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) die Zulässigkeit der Berufung gerügt. [5] Das LAG hat die Parteien unter dem 12.5.2022 darauf hingewiesen, dass derzeit umstritten sei, ob für Rechtsanwälte, die als Vertreter des Verbands aufträten, eine aktive Nutzungspflicht/ein aktives Nutzungsrecht des beA bestehe. Unter dem 30.8.2022 hat das LAG mitgeteilt, es beabsichtige, durch Beschluss über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden, und neige der Rechtsauffassung zu, dass eine ERV-Nutzungspflicht für den Syndikusrechtsanwalt bestehe. Den Parteien ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. [6] Mit Beschluss v. 27.9.2022 hat das LAG die Berufung der Bekl. als unzulässig verworfen. Mit ihrer vom LAG zugelassenen Revisionsbeschwerde will die Bekl. erreichen, dass der Verwerfungsbeschluss aufgehoben und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird. [7] II. Die zulässige Revisionsbeschwerde ist unbegründet. Das LAG hat die Berufung der Bekl. zu Recht als unzulässig verworfen. Der für den prozessvertretenden Arbeitgeberverband handelnde Syndikusrechtsanwalt (im Folgenden Verbandssyndikusrechtsanwalt) konnte die Berufung formwirksam nur unter Nutzung des ERV einlegen. Die Berufungseinlegung per Telefax und im Original entsprach nicht den gesetzlichen Formerfordernissen. [8] 1. Die Revisionsbeschwerde ist zulässig. Mit der am 25.10.2022 aus dem beA des Verbandssyndikusrechtsanwalts übersandten und am 26.10.2022 im Original bei Gericht eingereichten Beschwerdeschrift, mit der die Beschwerde zugleich begründet wurde, hat die Bekl. die Anforderungen des § 77 S. 4 ArbGG i.V.m. § 575 ZPO erfüllt. Dies gilt – was hier noch offenbleiben kann – unabhängig davon, ob der Verbandssyndikusrechtsanwalt das Recht hat und ggf. der Pflicht unterliegt, mit den Gerichten unter Nutzung des ERV zu kommunizieren. Denn die Einreichung des Schriftsatzes im Original entspricht den Vorgaben des § 77 S. 4 ArbGG i.V.m. §§ 575 IV 1, 130 ZPO und die Übermittlung der Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument aus dem beA des Verbandssyndikusrechtsanwalts wahrt die gesetzlichen Anforderungen an die Übermittlung vorbereitender Schriftsätze. Dabei kann wegen Identität der Vorgaben dahinstehen, ob sich diese aus den über § 77 S. 4 ArbGG anwendbaren §§ 130a ff. ZPO ergeben (vgl. BAG, 11.9.2019 – 2 AZM 18/19 Rn. 2; BeckOK ArbR/Klose, Stand 1.3.2023, ArbGG § 77 Rn. 3; HWK/Klug, 10. Aufl., § 77 ArbGG Rn. 5; ErfK/Koch, 23. Aufl., ArbGG § 77 Rn. 3; GMP/ Müller-Glöge, 10. Aufl., § 77 Rn. 11 f.; Helml/Pessinger/Pessinger, ArbGG, 5. Aufl., § 77 Rn. 13 ff. – teilweise noch zum Rechtsstand vor der Änderung des ArbGG mit Wirkung v. 12.10.2021 durch Art. 7 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 5.10.2021, BGBl. I S. 4607) oder über die Verweisung in § 77 S. 2 ArbGG auf § 72 II und § 72a ArbGG aus §§ 46c ff. ArbGG (Schwab/Weth/Ulrich, 6. Aufl., ArbGG, § 77 Rn. 14a). SYNDIKUSANWÄLTE BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 255

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