BRAK-Mitteilungen 2/2023

danten umfassend beraten, auf Risiken hinweisen und dem Mandanten gegebenenfalls von einer aussichtslosen Rechtsverfolgung abraten. LG Berlin, Urt. v. 26.1.2023 – 37 O 278/22 n.rkr. Der Mandant hatte selbst einen Mahn- und anschließend einen Vollstreckungsbescheid gegen Facebook Ireland über 2 Mio. Euro wegen angeblichen Datenmissbrauchs erwirkt. Zum Inhalt des Anspruchs gab er an: „außergerichtlicher Vergleich gem. Schreiben vom 21.12.18 bis 27.1.19“. Nachdem Facebook Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt hatte und die Sache zum LG Berlin abgegeben worden war, beauftragte der Kläger die nun beklagte Anwältin mit seiner Vertretung und Begründung des Anspruchs. Er überließ ihr eine Vielzahl an Unterlagen und legte ihr dar, worin er einen Datenmissbrauch sich gegenüber sehe und wie er auf die geforderte Summe komme. Facebook habe seinen Account blockiert und ihn gezwungen, seine Handynummer zu hinterlegen. Daraufhin habe er unaufgefordert hunderte von „Freundschaftsvorschlägen“ erhalten, die sich auf die von ihm gespeicherten WhatsApp-Kontakte bezogen hätten. In einer E-Mail an die Anwältin gab er als Ziel an, mit der Klage einen Kontakt zu Facebook aufzubauen und einen Vergleich auszuhandeln. Die Klage gegen Facebook wurde wegen unzureichender Begründung eines Anspruchs abgewiesen. Mit der jetzigen Klage gegen die Anwältin macht der Kläger einen Kostenschaden geltend; sie hätte ihm anraten müssen, die Klage gegen Facebook zurückzunehmen. Dann wären ihm zwei Gerichtsgebühren erstattet worden sowie nur eine reduzierte Verfahrensgebühr und keine Terminsgebühr bei den gegnerischen Anwälten entstanden. Die Anwältin macht geltend, der Mandant habe ihr gesagt, er habe bereits einen außergerichtlichen Vergleich mit Facebook erzielt, der aber nicht erfüllt worden sei. Sie habe ihn darauf hingewiesen, dass ihr der Vergleich nicht vorliege. Er habe angekündigt, fehlende Unterlagen zum Verhandlungstermin mitzubringen. Das LG Berlin gab der Anwaltshaftungsklage weitgehend statt.4 4 Ob das Urteil rechtskräftig ist, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Die Anwältin habe den Sachverhalt umfassend aufklären, die Rechtslage sorgfältig prüfen und den Mandanten umfassend über die Prozessrisiken belehren müssen. Sie habe auf der Vorlage des angeblichen Vergleichs (den es gar nicht gab) bestehen bzw. aus der Nichtvorlage die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen müssen. Aus der Korrespondenz habe sie erkennen können, dass es tatsächlich noch gar keinen Vergleich gab. Sie habe erkennen müssen, dass der Anspruch nicht auf einen Vergleich habe gestützt werden können. Der Anwalt dürfe nur auf tatsächliche Angaben des Mandanten vertrauen, nicht auf dessen eigene rechtliche Beurteilung.5 5 Vgl. BGH, NJW 2019, 1151; Besprechung von Jungk, BRAK-Mitt. 2019, 123. Hätte sie den Sachverhalt richtig aufgeklärt, wäre der einzig richtige Rat gewesen, die Klage zurückzunehmen. Es sei gerade die Aufgabe eines Anwalts, zu prüfen, ob der Mandant unzutreffenden Ansichten anhänge, um diesem dann entsprechende Hinweise zu erteilen. Auch der Vortrag im Prozess gegen Facebook sei unzureichend gewesen. Es seien dort trotz mehrfacher Hinweise des Gerichts schon nicht die tatsächlichen Umstände vorgetragen worden, aus denen sich der geltend gemachte Anspruch ergeben sollte. Bei einer rechtzeitigen Klagerücknahme wären vom Mandanten erheblich niedrigere Gerichts- und gegnerische Anwaltskosten zu tragen gewesen. Das LG fasst prägnant zusammen, welche Pflichten Anwälte gerade gegenüber Mandanten treffen, die unrealistische Vorstellungen über ihre vermeintlichen Ansprüche haben. Der Anwalt darf nicht quasi blind umsetzen, was ein unvernünftiger Mandant wünscht, sondern muss präzise aufklären und beraten. Zu kritisieren ist an dem Urteil allerdings, dass das LG mit keinem Wort Feststellungen dazu trifft, ob der Mandant sich, wäre er richtig beraten worden, auch beratungsgemäß verhalten hätte. Nur wenn es objektiv nur eine einzige vernünftige Verhaltensweise gegeben hätte (hier: Klagerücknahme) spricht eine Vermutung dafür, dass der Mandant dem geschuldeten Rat gefolgt wäre. Der Anwalt kann diese Vermutung jedoch erschüttern, wenn er Umstände vorträgt und ggf. beweist, die gegen ein beratungsgemäßes Verhalten des Mandanten sprechen.6 6 St. Rspr., z.B. BGH, NJW 2012, 2435; NJW 2021, 3324, Besprechung von Grams, BRAK-Mitt. 2021, 370. (hg) FRISTEN VORÜBERGEHENDE UNMÖGLICHKEIT DER beA-NUTZUNG Technische Gründe i.S.v. § 130d S. 2 ZPO liegen nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen (hier: Erkrankung). BGH, Beschl. v. 25.1.2023 – IV ZB 7/22, BB 2023, 594 Ein als Word-Dokument übermittelter Schriftsatz ist nicht i.S.v. § 46c II 1 ArbGG a.F. für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und damit formunwirksam eingereicht. Das gilt auch, wenn das Gericht ein IT-System nutzt, das im konkreten Fall die Bearbeitung eines solchen Dokuments zulässt. BAG, Urt. v. 25.8.2022 – 6 AZR 499/21, NJW 2023, 623 Ist es dem Rechtsanwalt bereits im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung eines Schriftsatzes möglich, die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments darzulegen und glaubhaft zu machen, hat dies mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen; in diesem Fall genügt es nicht, wenn der Rechtsanwalt die VoraussetzunJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2023 87

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