BRAK-Mitteilungen 6/2022

Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter Selbstständigkeit bei mindestens 50 % gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im „eigenen“ Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener, funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als seine Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb ist eine „unechte“, nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (st.Rspr.; vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 1.2.2022 – B 12 KR 37/ 19 R Rn. 13 m.w.N., zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). [19] 2. Ausgehend von diesen Maßstäben und seinen Feststellungen ist das LSG rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine abhängige Beschäftigung und damit Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung vorlag. Die Kl. hatten nicht die notwendige gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht, um die Geschicke der GmbH maßgeblich zu gestalten oder ihnen nicht genehme Weisungen zu verhindern. Sie waren damit in einen fremden Betrieb eingegliedert und führten kein eigenes Unternehmen. [20] Als Geschäftsführer nach § 6 III GmbHG (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des GmbHG und anderer handelsrechtlicher Vorschriften v. 4.7.1980, BGBl. I 836) unterlagen sie gem. §§ 37 I, 38 I, 46 Nr. 5 und 6 GmbHG dem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung (vgl. zum Weisungsrecht Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 37 Rn. 3; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2020, § 37 Rn. 1; Stephan/Tieves, MüKo-GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 37 Rn. 107). Sie verfügten als Minderheitsgesellschafter mit einer Weisungsrecht Beteiligung von 20 v.H., ab 1.1.2015 von 25 v.H., und mit nur einer von fünf, später vier Stimmen nicht über eine umfassende Sperrminorität. Mangels einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht rechtfertigt die Übernahme von Bürgschaften durch die Kl. kein anderes Ergebnis (vgl. BSG, Urt. v. 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 24, Rn. 27 m.w.N.). [21] Die Annahme von Beschäftigung aufgrund der Rechtsmachtverhältnisse wird durch die Ausgestaltung des jeweiligen GV bestätigt. Unabhängig davon, dass danach die klagenden Geschäftsführer den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen (§ 1 Nr. 2 GV), enthält er für eine abhängige Beschäftigung typische Regelungen. Die Kl. erhielten eine Festvergütung und hatten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen je Kalenderjahr sowie auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Der Gewährung erfolgsabhängiger Tantiemen kommt zwar als Anknüpfungspunkt für ein wirtschaftliches Eigeninteresse Bedeutung zu, dieses ist aber nicht allein entscheidend. Auch bei Arbeitnehmern sind leistungsorientierte Vergütungsbestandteile verbreitet (BSG, Urt. v. 7.7.2020 – B 12 R 17/18 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 49 Rn. 20 m.w.N.). Den Kl. waren für die Erfüllung ihrer Aufgaben zwar Freiheiten eingeräumt. Sie waren u.a. nicht an feste Arbeitszeiten gebunden (§ 1 Nr. 3 S. 3 GV). Freiräume sind jedoch für viele Beschäftigte gegeben, die höhere Dienste leisten und von denen erwartet wird, dass sie ihre Aufgaben im Rahmen funktionsgerechter, dienender Teilhabe am Arbeitsprozess erfüllen (vgl. BSG, Urt. v. 7.7.2020 – B 12 R 17/18 R, a.a.O., m.w.N.). Die Übernahme einer Bürgschaft begründet regelmäßig kein unternehmerisches Risiko, das zur Annahme von Selbstständigkeit zwingt (vgl. BSG, Urt. v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17 Rn. 29). [22] 3. An der Einordnung der Geschäftsführer-Tätigkeit zum rechtlichen Typus der abhängigen Beschäftigung ändert die „freiberufliche“ Tätigkeit als Rechtsanwalt nichts. Zu Recht hat das LSG diese in seine Gesamtwertung miteinbezogen (dazu a). Die für GmbHGeschäftsführer geltenden Maßstäbe werden aber nicht berufsrechtlich, insb. durch die Regelungen der BRAO über die Rechtsanwaltsgesellschaft, überlagert (dazu b). [23] a) Dass die Statusbeurteilung die Berufsausübung als Rechtsanwalt umfasst, ergibt sich schon daraus, dass die Kl. nach dem jeweiligen GV sämtliche Arbeiten gewissenhaft auszuführen, die Belange der Gesellschaft nach bestem Wissen und Können zu wahren und über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus tätig zu sein hatten (§ 1 Nr. 3 S. 1 und 2 GV). Die Geschäftsführungsbefugnis erstreckt sich somit auf den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der beigeladenen Rechtsanwaltsgesellschaft, die von Rechtsanwälten verantwortlich geführt werden muss und deren Geschäftsführer mehrheitlich Rechtsanwälte sein müssen (§ 59f I BRAO). Ihr Gegenstand ist die Übernahme und Ausführung von Anwaltsaufträgen, insb. die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten und alle damit in Zusammenhang stehenden Geschäfte, die durch in Diensten der Gesellschaft stehende, zugelassene Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ausgeführt werden (§ 3 Nr. 1 der Satzung; vgl. auch § 59c I BRAO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der BRAO, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze v. 31.8.1998, BGBl. I 2600, und § 59e I BRAO i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007, BGBl. I 2840). Die „freiberufliche“ Tätigkeit als Rechtsanwalt kann SONSTIGES BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 359

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