BRAK-Mitteilungen 6/2022

AUFSÄTZE DIE „NEUE“ BÜROGEMEINSCHAFT RECHTSANWÄLTIN DR. TANJA NITSCHKE, MAG. RER. PUBL.* * Die Autorin ist Rechtsanwältin in Karlsruhe und Geschäftsführerin der BRAK. Durch die „große BRAO-Reform“ wurde die berufliche Zusammenarbeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zum 1.8.2022 umfassend neu geregelt. Die Bürogemeinschaft, die bislang zwar häufig praktiziert wurde, aber gesetzlich nicht geregelt war, wurde erstmals in § 59q BRAO legaldefiniert und gewisse Grundregeln für sie festgehalten. Der Beitrag erläutert die neuen Regelungen. I. EINLEITUNG Die „große BRAO-Reform“, die zum 1.8.2022 in Kraft trat,1 1 BGBl. 2021 I, 2363. brachte eine umfassende Neuregelung der beruflichen Zusammenarbeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe wurde vor allem die berufliche Zusammenarbeit mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und mit Angehörigen anderer Berufe vollständig neu geregelt; weitere Änderungen betreffen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und den Umfang der Rechtsberatungsbefugnis von Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälten.2 2 Vgl. die Überblicke bei Nitschke, BRAK-Mitt. 2021, 218; Kilian, NJW 2021, 2385; speziell zur Interessenkollision s. Deckenbrock, BRAK-Mitt. 2022, 6; Diller, AnwBl. 2021, 470. Dabei wurde auch ein neuer rechtlicher Rahmen für die Bürogemeinschaft geschaffen, die nun gesetzlich definiert wird. Im Vergleich zu Berufsausübungsgesellschaften ist der Kreis der Personen, mit denen Anwältinnen und Anwälte eine Bürogemeinschaft begründen können, deutlich weiter. Zudem gilt das Tätigkeitsverbot bei Interessenkollision nicht mehr für Bürogemeinschaften. Damit beabsichtigte der Gesetzgeber eine deutliche Vereinfachung der Regelungen für Bürogemeinschaften.3 3 Vgl. BR-Drs. 55/2021, 162. II. BEGRIFF DER BÜROGEMEINSCHAFT In § 59q I BRAO wurde die Bürogemeinschaft gesetzlich definiert als Gesellschaft, „die der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit der Gesellschafter unter gemeinschaftlicher Nutzung von Betriebsmitteln dient, jedoch nicht selbst als Vertragspartner von rechtsanwaltlichen Mandatsverträgen auftreten soll“. Als gemeinschaftlich genutzte Betriebsmittel kommen z.B. Räume, IT-Ausstattung und Personal in Betracht.4 4 Vgl. BT-Drs. 19/26760, 199. Die Bürogemeinschaft wird daher vielfach, in Abgrenzung zur Berufsausübungsgesellschaft, als Betriebsgemeinschaft bezeichnet.5 5 S. etwa BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, BRAK-Mitt. 2018, 85 Rn. 38; Weyland/Brüggemann, BORA, 10. Aufl. 2020, § 59a Rn. 79; BeckOK BORA/Römermann, 21. Ed. 2018, § 59a Rn. 206. Kennzeichnend ist, dass alle beteiligten Anwältinnen und Anwälte ihre berufliche Eigenständigkeit behalten; sie nehmen weder Mandate noch Gebühren gemeinschaftlich entgegen, sondern teilen lediglich bestimmte Betriebskosten.6 6 BGH, Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, BRAK-Mitt. 2018, 85 Rn. 38; Weyland/Brüggemann, BORA, § 59a Rn. 79; BeckOK BORA/Römermann, § 59a Rn. 207. Eine inhaltliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage ist mit § 59q I BRAO nicht verbunden, sondern im Wesentlichen eine Kodifikation des bislang in Rechtsprechung und Literatur geprägten Begriffsverständnisses.7 7 Vgl. zu diesem etwaWeyland/Brüggemann, BORA, § 59a Rn. 79; Henssler, Stn. zum Gesetzentwurf, S. 13, sowie ders., AnwBl. 2021, 69, 75, hält die Legaldefinition für überfällig. III. GESELLSCHAFTERKREIS Eine Bürogemeinschaft können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nach § 59q I BRAO untereinander bilden. In § 59q II BRAO werden zudem ausdrücklich interprofessionelle Bürogemeinschaften zugelassen. Dies war auch nach dem alten Recht so. Jedoch zog § 59 III BRAO a.F. den Kreis der als Bürogemeinschafter in Betracht kommenden Personen wesentlich enger: Bürogemeinschaften waren danach nur mit Angehörigen anderer rechtsberatender, steuerberatender Berufe zulässig.8 8 S. auch BGH, Beschl. v. 29.9.2003 – AnwZ (B) 24/00, BRAK-Mitt. 2004, 35 (nach der damaligen Fassung: § 59 IV BRAO a.F.); Urt. v. 29.1.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, BRAK-Mitt. 2018, 85 Rn. 7. Die insoweit bestehende Gleichbehandlung von Sozietäten und Berufsausübungsgesellschaften wurde mit der „großen BRAO-Reform“ aufgegeben. Zu einer Berufsausübungsgesellschaft dürfen sich Anwältinnen und Anwälte nach § 59b I BRAO verbinden, ferner nach § 59c I Nr. 1 bis 3 BRAO mit Angehörigen anderer rechts-, steuer- oder wirtschaftsberatender Berufe sowie mit ausländischen Anwält:innen, die nach den Regelungen des EuRAG oder nach § 206 BRAO in Deutschland tätig sein dürfen. Der Kreis der sozietätsBRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 AUFSÄTZE 298

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