BRAK-Mitteilungen 6/2022

BRAK MIT TEILUNGEN DEZEMBER 2022 · AUSGABE 6/2022 53. JAHRGANG AKZENTE HERZENSANLIEGEN Dr. Ulrich Wessels Das Jahresende ist für gewöhnlich die Zeit der Rückund Ausblicke. 2022 könnte man sehr verkürzt resümieren: etwas weniger Corona, mehr Krieg. Die Pandemie, die uns seit bald drei Jahren beschäftigt, und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben auf den ersten Blick wenig gemein. Und doch lehren beide uns, wie elementar rechtsstaatliche Prinzipien und eine funktionierende Justiz sind. Besonders drastisch zeigt das ein Blick in die Ukraine. Verwaltung wie auch anwaltliche Selbstverwaltung bieten ihre Services digital an und bleiben dadurch auch in der Krise ansprechbar und handlungsfähig. Online-Verhandlungen machen es möglich, Gerichtstätigkeit aufrecht zu erhalten, die sonst kriegsbedingt undenkbar wäre. Notgedrungen hat sich seit Ende Februar erwiesen, dass ein hohes Level an Digitalisierung das Funktionieren des Rechtsstaats gewährleisten hilft. Auch in Deutschland mussten wir, gerade im ersten Jahr der Pandemie, die Erfahrung machen, dass funktionierende Gerichte nicht selbstverständlich sind. Ihre Arbeitsfähigkeit litt unter den Corona-Schutzmaßnahmen genauso wie die von Unternehmen und Kanzleien. Viele Verfahren verzögerten sich, und die Gerichte hatten ihre liebe Not, die technische Infrastruktur und das Know How für Videokonferenzen auszubauen. Zugleich gab die Pandemie vermehrt Anlass, gesetzgeberisches Handeln gerichtlich zu kontrollieren. All das verdeutlicht: Der Rechtsstaat muss für die Krise gerüstet sein. Seine Förderung und Wahrung ist der BRAK seit jeher ein Herzensanliegen. Wiederholt hat sie deshalb ihre Forderungen und Positionen an die Politik herangetragen, auch bereits beim „Pakt für den Rechtsstaat“. Die Justiz muss dazu nicht nur personell und sachlich gut ausgestattet, sondern vor allem auch eins sein: digital. Unterstützung und Zustimmung erfährt die BRAK vom Bundesministerium der Justiz. Erfreulicherweise nimmt man sie dort nun beim Wort und bezieht sie in rechtsstaatliche Projekte ein. Dafür, dass das Ministerium ausdrücklich die Expertise der Anwaltschaft zu Reformvorhaben wie etwa dem Ausbau von Online-Verhandlungen oder der digitalen Dokumentation und Transkription strafgerichtlicher Hauptverhandlungen erbittet, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Diese Vorhaben sind wichtige Schritte zum weiteren Ausbau der Digitalisierung – doch viele weitere müssen folgen. Der elektronische Rechtsverkehr muss ebenfalls weiter ausgebaut werden. Das bundesweite Akteneinsichtsportal, an dem Anwältinnen und Anwälte sich seit Kurzem einfach über ihr beA anmelden können, ist ein weiterer wichtiger Schritt. Nur muss es noch mit Leben gefüllt werden – und dazu braucht es vor allem mehr elektronische Akten. Das Bundesjustizministerium ist in Sachen eAkte selbst vorangegangen und hat die Aktenführung im eigenen Haus vollständig digitalisiert, und es berät andere Ministerien bei der Einführung. Die Länderjustizen und -verwaltungen müssen die elektronische Akte erst bis zum 1.1.2026 führen. Es gibt eine Reihe von Pilotprojekten und einzelne Gerichtszweige haben in manchen Ländern bereits ganz umgestellt; anderen steht das noch bevor. Nicht nur bei der eAkte, sondern auch beim neuen „Pakt für den digitalen Rechtsstaat“ ist entscheidend, dass Bund und Länder an einem Strang ziehen: mit einheitlichen technischen Standards und Schnittstellen, damit die unterschiedlichen Systeme interoperabel sind. Denn ein Flickenteppich länderspezifischer technischer Lösungen bringt die Digitalisierung nicht schneller voran, sondern lähmt sie und lässt Synergien ungenutzt. Hier ist der Bundesgesetzgeber in der Pflicht. Anwältinnen und Anwälte stellen den mit Abstand größten Teil der „Anwender“ bei digitaler Justiz und elektronischem Rechtsverkehr. Ihre Expertise muss deshalb umfassend in die weitere Entwicklung einfließen, auf Bundes- wie Länderebene. Deshalb wird die BRAK sich auch im kommenden Jahr weiter für ihr Herzensanliegen, den digitalen Rechtsstaat, einsetzen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich frohe Weihnachten (so Sie es denn feiern) und ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr! Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 297

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