BRAK-Mitteilungen 4/2022

3. EINE NEUE GRÜNDERZEIT Der geschilderte Rückzug von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus dem aktiven Berufsleben (egal ob altersbedingt oder nach nur kurzer Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer) führt zu einer gesteigerten Nachfrage durch Mandantinnen und Mandanten, auch oder insbesondere in der Fläche. Die Bedingungen für die Gründung einer Kanzlei und damit der Eintritt in die selbstständige, freiberufliche Tätigkeit könnten nicht besser sein. Doch der Wille hierzu ist bei Absolventinnen und Absolventen wenig ausgeprägt. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Wenn im Studium und in der Referendarausbildung die theoretischen Grundlagen für das erfolgreiche Betreiben einer Kanzlei als Unternehmen noch ausgeprägter wären, könnte dies mehr Kolleginnen und Kollegen motivieren, eigene Kanzleien zu gründen – und zwar auch an Standorten außerhalb der Ballungszentren, bei denen die Konkurrenzsituation sich anders darstellt als in den Metropolregionen. Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse, Marketing, Zeitmanagement und unternehmerisches Know-how kommen im Ausbildungsplan bislang zu kurz, dabei ist es keine Raketenwissenschaft. Was in der Ausbildung zu kurz kommt, kann durch Mentorinnen und Mentoren oder andere Beraterinnen und Berater nachgeholt werden. Die Regionalkammern sollten deshalb prüfen, ob und auf welchem Weg solche Mentoring-Programme etabliert werden können. Leider fällt die Gründung einer Kanzlei durch einige Raster von regionalen und überregionalen Wirtschaftsförderungen. Dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte den Zugang zum Recht auch in der Fläche gewährleisten und dafür angemessene unternehmerische Rahmenbedingungen vorfinden müssen, steht auch im Interesse der Politik. Deshalb soll bei Förderprogrammen darauf geachtet werden, dass diese nicht gewerblich tätige Freiberufler genauso unterstützen wie Gewerbetreibende. 4. BEIBEHALTUNG DER GERICHTSSTRUKTUREN Die Erfahrungen nach der Gerichtsstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass der Rückzug der Justiz aus der Fläche nicht ohne Auswirkungen auf den Zugang zum Recht und damit auch auf die Tätigkeit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Fläche hat. Den Bundesländern und Justizverwaltungen muss klar sein, dass dem Zugang zum Recht als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die wachsende räumliche Distanz zu Gerichten, und insbesondere schon zu den Eingangsinstanzen, sind für die Bürgerinnen und Bürger spürbare Effekte, die als ein Rückzug des Rechtsstaats missinterpretiert werden könnten – das wäre fatal für die Zivilgesellschaft und das Ansehen der Justiz. Auch Rechtsversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge. 5. VERBESSERUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN Das unternehmerische Risiko, gerade in den Anfangsphasen der unternehmerischen Tätigkeit, schreckt Gründerinnen und Gründer davon ab, eine eigene Kanzlei zu gründen. Modelle zur Anschubfinanzierung, Gründungszuschüsse und andere Unterstützungsmöglichkeiten werden von unterschiedlichen Stellen angeboten. Doch die Zahl der Unternehmensgründungen auch in der Anwaltschaft geht kontinuierlich zurück, wohl auch deshalb, weil eine angestellte Tätigkeit mit einem festen, planbaren Gehalt gegenüber den finanziellen Unwägbarkeiten einer selbstständigen Tätigkeit vorgezogen wird. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insbesondere für Kanzleien, die Verbraucherinnen und Verbraucher beraten in Rechtsgebieten, in denen sich Vergütungsvereinbarungen weiterhin schwer durchsetzen lassen, ist eine kontinuierliche Anpassung der gesetzlichen Vergütung unerlässlich. Die nur dekadische Anpassung der gesetzlichen Vergütung genügt vor dem Hintergrund der allgemeinen Preisentwicklung nicht mehr. 6. VERBESSERUNG DER VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE Die Zukunft der Anwaltschaft ist weiblich – darauf deutet zumindest die stetig wachsende Zahl an zugelassenen Rechtsanwältinnen hin.5 5 S. zuletzt BRAK-Presseerklärung Nr. 5/2022 v. 17.5.2022 sowie https://www.brak. de/fileadmin/04_fuer_journalisten/statistiken/2022/anteil-rainnen-70-2022.pdf. Leider geben innerhalb der ersten zehn Berufsjahre mehr Kolleginnen als Kollegen die Zulassung zurück. Ein Grund dafür ist die Herausforderung, die Kanzleitätigkeit mit der Care-Arbeit von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen in Einklang zu bringen. Gerichtstermine, Fristendruck, Eilsachen – all dies scheint den Kanzleialltag wenig planbar und unberechenbar zu machen. Doch in Zeiten von Fachkräftemangel ist jede Kollegin und jeder Kollege wichtig, um für ihre Mandantinnen und Mandanten den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Vergleicht man die rechtliche und finanzielle Absicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit denen von Selbstständigen, so zeigen sich deutliche Unterschiede. Bislang haben selbstständige, erwerbstätige Frauen keinen Anspruch auf die gesetzlichen Mutterschutzfristen oder die Zahlung von Mutterschutzgeld, denn die Regelungen des Mutterschutzgesetzes finden für sie keine Anwendung. Damit hängt der Anspruch auf Mutterschutz von der Ausgestaltung der jeweiligen Krankenversicherung ab. Auch bei der Ausgestaltung des Elterngelds klaffen Unterschiede zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Selbstständigen. Die Anpassung der Arbeitsund Lebensrealität wäre ein wichtiger Schritt, um den Verbleib von Kolleginnen und Kollegen in der Anwaltschaft zu unterstützen. Die Entscheidung für Kinder und für Familienpflege soll nicht zwingend mit einer EntAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 189

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0