BRAK-Mitteilungen 6/2021

AUFSÄTZE DER AUSKUNFTSANSPRUCH NACH ART. 15 DSGVO ALS PRE-TRIAL DISCOVERY AKTUELLE ENTWICKLUNGEN UND PROZESSTAKTISCHE ERWÄGUNGEN RECHTSANWALT KLAUS M. BRISCH, LL.M. (USA) UND WISS. MITARBEITER LEWIN REXIN * Der Autor Brisch ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner bei Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Köln. Er ist Mitglied des Ausschusses Datenschutzrecht der BRAK. Der Autor Rexin ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Service Line Digitale Wirtschaft, IT/IP bei Deloitte Legal in Köln. Art. 15 DSGVO garantiert der betroffenen Person einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der vom Verantwortlichen über sie verarbeiteten personenbezogenen Daten. Die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung zeigen, dass Kläger den Auskunftsanspruch als Instrument entdeckt haben, mit welchem sie sich im vorgerichtlichen Verfahren einen Informationsvorsprung verschaffen und auf diese Art und Weise ihre Beweisführung stärken können. Insofern ergibt sich die Frage, ob der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch zu einem dem deutschen Zivilprozessrecht fremden Instrument der pre-trial discovery ausgedehnt werden kann, welche Einschränkungen Rechtsprechung und Literatur vornehmen und ob auskunftspflichtige Parteien derartige Auskunftsersuchen abwehren können. I. EINFÜHRUNG Die Ausübung der datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte als (prozess-)taktische Maßnahme ist spätestens seit Geltung der DSGVO in den Fokus von Betroffenen wie auch Rechtsanwälten gerückt. Das gilt insbesondere für das Recht auf Auskunft nach Maßgabe von Art. 15 I DSGVO, das der betroffenen Person gegen den Verantwortlichen einen unmittelbaren Anspruch auf Information über die sie betreffenden personenbezogenen Daten einräumt. Zentraler Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ist die Überprüfung der Einhaltung des datenschutzkonformen Umgangs des Verantwortlichen mit den Daten der betroffenen Person als Ausfluss des europäischen Datenschutzgrundrechts aus Art. 8 GRCh („Rechtmäßigkeitskontrolle“). Selbst EU-primärrechtlich ist der Auskunftsanspruch in Art. 8 II 2 GRCh bereits determiniert, so dass Art. 15 DSGVO eine sekundärrechtliche Konkretisierung darstellt. In Einzelfällen kann die Intention des Auskunft-Ersuchenden aber von der angedachten Rechtmäßigkeitskontrolle abweichen. Denkbar ist eine Verwendung des Instruments des Auskunftsverlangens zur „Ausforschung“ oder Überlastung der gegnerischen Partei, um außerhalb des eigentlichen Zweckes des Datenschutzes liegende Ziele zu erreichen. Dazu zählt auch das Vorhaben, ein gerichtliches Verfahren vorzubereiten, also die eigene Beweisführung durch Kenntnisse über die Beweise der Gegenseite zu erleichtern, oder während eines laufenden Verfahrens einen Sachvortrag ergänzen zu können. Im Hinblick auf die Ausforschung steht dabei der Wunsch im Vordergrund, nur vermutete Informationen zu bestätigen oder bislang unbekannte Informationen aufzudecken. Die von dem Verantwortlichen offengelegten Informationen sollen ihm im Nachgang entgegengehalten werden. Das vorbezeichnete Szenario ähnelt in seiner Zielrichtung dem Instrument der „pre-trial-discovery“ aus dem US-amerikanischen Zivilprozessrecht. Nach dem angloamerikanischen Recht sind die Parteien verpflichtet, der Gegenseite bei der Beschaffung von Beweismitteln zu helfen, u.a. durch die Herausgabe von bestimmten Dokumenten oder Informationen.1 1 S. zum US-amerikanischen Rechtsinstrument der „discovery“ Theissen, IWRZ 2020, 10; Pabst, Münchener Kommentar ZPO, 5. Ed. 2017, Art. 23 HZPÜ Rn. 3. Eine solche Pflicht ist dem deutschen Zivilprozessrecht fremd. Die ZPO erhebt den Beibringungsgrundsatz, welcher sich aus § 282 ZPO ergibt, zur Verfahrensmaxime. Danach muss jede Partei die sie jeweils begünstigenden Tatsachen beweisen. Flankierend dazu wird aus § 142 ZPO ein Ausforschungsverbot des Gegners abgeleitet,2 2 Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129, 3130; von Selle, in BeckOK ZPO, 42. Ed. 1.9.2021, § 142 ZPO Rn. 1. welches mit einem Instrument wie der pre-trial-discovery nicht zu vereinbaren wäre.3 3 Vgl. LG Köln, ZD 2019, 413 mit Anm. Riemer; Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Das Recht auf Auskunft nach der Datenschutzgrundverordnung ZPO Orientierungshilfe, Dezember 2019, S. 13. Ob Art. 15 DSGVO tatsächlich einer pre-trial-discovery gleichkommt, inwiefern eine Anwendung des Auskunftsanspruchs als solchem durch die Grundsätze der ZPO eingeschränkt werden kann und worin die weiteren Grenzen des Rechtes aus Art. 15 DSGVO bestehen, soll nachfolgend untersucht werden. II. AUSKUNFTSANSPRUCH NACH ART. 15 DSGVO Für die Zwecke der Informationsgewinnung im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens liegen die Vorteile eines BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 AUFSÄTZE 348

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