BRAK-Mitteilungen 5/2021

PROZESSUALES VERTRETUNGSZWANG IM ANWALTS- GERICHTLICHEN VERFAHREN BRAO § 112e S. 2; VwGO §§ 67 II 1, IV 1–3, 125 I 1; ZPO § 78b * 1. Vor dem Senat für Anwaltssachen beim BGH müssen sich Beteiligte durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, wobei das Vertretungserfordernis auch bereits für die Prozesshandlung geboten ist, durch die ein Verfahren vor diesem Senat eingeleitet wird. * 2. Dieser Vertretungszwang ist verfassungskon- form. Der Gesetzgeber durfte im Interesse einer ge- ordneten und konzentrierten Verfahrensführung den Anwaltszwang einführen. * 3. Der Situation, dass ein dem Vertretungszwang unterliegender Beteiligter keinen Rechtsanwalt fin- det, der bereit ist, für ihn aufzutreten, hat der Ge- setzgeber dadurch Rechnung getragen, dass sich ein Beteiligter nach §§ 112c I 1 BRAO, 173 S. 1 VwGO, 78b ZPO auf Antrag einen Notanwalt beiord- nen lassen kann, wenn die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. BGH, Beschl. v. 9.7.2021 – AnwZ (Brfg) 11/21 AUS DEN GRÜNDEN: [1] I. Die Beteiligten streiten um die Zulassung der Kl. als Rechtsanwältin im Bezirk der Bekl. Mit Bescheid v. 4.8.2020 versagte die Bekl. der Kl. die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. [2] Hiergegen hat die Kl., vertreten durch ihren Prozess- bevollmächtigten Avocat definitiv P., Klage zum Bayeri- schen AGH erhoben. Der Bayerische AGH hat die Klage mit Urt. v. 27.1.2021, der Kl. zugestellt am 3.3.2021, als unzulässig abgewiesen. Er hat seine Entscheidung insb. damit begründet, dem Prozessbevollmächtigten der Kl. – wie im Übrigen auch ihr selbst – fehle die erfor- derliche Postulationsfähigkeit. [3] Mit Schriftsatz v. 12.2.2021, eingegangen beim AGH am selben Tag, hat die Kl. durch ihren Prozessbe- vollmächtigten u.a. „sonstige zulässige Rechtsmit- tel/-behelfe“ erhoben und beantragt, das Urteil des Bayerischen AGH aufzuheben. Insbesondere macht sie geltend, sie sei während offener Statusfragen im Zu- sammenhang mit ihrer Anwaltszulassung wie eine zu- gelassene Rechtsanwältin zu behandeln. Die Kl. rügt darüber hinaus die Beteiligung von Anwaltsrichtern am Verfahren. [4] Mit Verfügung v. 12.4.2020 ist die Kl. auf Bedenken gegen die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels hingewiesen worden. Es fehle sowohl ihr als auch ihrem Prozessbe- vollmächtigten die notwendige Postulationsfähigkeit. [5] Mit Schriftsatz v. 7.5.2021 hat die Kl. durch ihren Prozessbevollmächtigten zum Hinweis Stellung genom- men. Sie führt aus, ihr Prozessbevollmächtigter sei nach „Grund-, EU- und Menschenrechten“ als gewählter Ver- treter der Kl. zugelassen. Das Gericht, das eine Zwangs- vertretung fordere, könne ohne ihr Zutun einen Zwangs- anwalt einteilen. Die Befähigung zum Richteramt, die sowohl sie als auch ihr Prozessbevollmächtigter besä- ßen, schließe nach dem römischrechtlichen Grundsatz „in eo quod plus sit semper inest et minus“ die Anwalts- befähigung ein. Die Kl. bittet um einen Vorlagebe- schluss an das Bundesverfassungsgericht und den Eu- ropäischen Gerichtshof. [6] II. 1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung der Kl. hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig, da er unter Verstoß gegen § 112e S. 2 BRAO, §§ 125 I 1, 67 II 1, IV 1-3 VwGO eingelegt worden ist. Danach müssen sich Beteiligte vor dem Senat für Anwaltssachen des Bun- desgerichtshofs durch einen Rechtsanwalt oder einen in der Norm näher bezeichneten Rechtslehrer an einer eu- ropäischen Hochschule vertreten lassen, wobei das Ver- tretungserfordernis auch bereits für die Prozesshand- lung geboten ist, durch die ein Verfahren vor dem Senat für Anwaltssachen eingeleitet wird. Weder der Prozess- bevollmächtigte der Kl. noch sie selbst erfüllen diese Vo- raussetzungen. [7] a) Der Prozessbevollmächtigte der Kl. ist insbeson- kein Rechtsanwalt dere nicht Rechtsanwalt im Sinne der Vorschrift. Rechtsanwalt im Sinne die- ser Vorschrift ist grundsätzlich nur der vor einem deut- schen Gericht zugelassene Rechtsanwalt (BVerwG, NJW 1998, 2991; W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 67 Rn. 7). Die Zulassung vor einem deutschen Gericht hat der Prozessbevollmächtigte nicht behauptet; sie ist auch sonst nicht ersichtlich; so wird er auch nicht im amtlichen Anwaltsverzeichnis (https:// www.bea-brak.de/bravsearch/search.brak , abgerufen am 24.6.2021) geführt. [8] b) Auch nach Unionsrecht ist der Prozessbevoll- mächtigte der Kl. kein vertretungsberechtigter Rechts- anwalt. Zwar wird nach §§ 25 ff. EuRAG die Vertre- tungsbefugnis im europäischen Ausland tätiger Rechts- anwälte erweitert. Der Prozessbevollmächtigte der Kl. erfüllt aber die dort aufgestellten Voraussetzungen nicht, weder als niedergelassener (§§ 2 ff. EuRAG) noch als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt (§§ 25 ff. EuRAG). [9] Geht man zugunsten des Prozessbevollmächtigten der Kl. davon aus, dass er die – offenbar rumänische – Berufsbezeichnung eines „Avocat definitiv“ zu Recht führt, so ist zwar eine Tätigkeit als dienstleistender eu- ropäischer Rechtsanwalt denkbar. Jedoch ist dort, wo ein Mandant sich – wie hier – nicht selbst vertreten kann, die Bestellung eines vertretungsberechtigten Ein- vernehmensanwalts erforderlich (§ 28 I, II EuRAG). Ein solcher hat sich nicht bestellt. PROZESSUALES BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 338

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