BRAK-Mitteilungen 4/2021

Parallel wird durch das Gesetz zum Ausbau des elektro- nischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Än- derung weiterer Vorschriften 34 34 BT-Drs. 19/23899 (RegE). Vom Bundestag am 24.6.2021 beschlossen; Veröffentli- chung im BGBl. stand zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch aus; Inkrafttre- ten: drei Monate nach der Verkündung (vgl. Art. 29 des Gesetzes). das elektronische Bür- ger- und Organisationenpostfach (eBO) eingeführt (§ 130a IV Nr. 4 ZPO n.F., §§ 10 ff. ERVV n.F.). Die Nut- zung setzt eine Identifizierung des Postfachinhabers z.B. beim Notar oder über den elektronischen Personal- ausweis voraus. Damit soll ein sicherer Übermittlungs- weg auch für Privatpersonen, Verbände, Unternehmen und sonstige Organisationen geschaffen werden. Das eBO richtet sich insb. auch an Personen und Organisa- tionen, die häufiger an gerichtlichen Verfahren beteiligt sind, etwa Sachverständige, Dolmetscher*innen, Be- treuer*innen, Sozialverbände und Gewerkschaften, Ver- braucherzentralen und Inkassodienstleister. 35 35 Vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 19/28399, 35. DIGITALE TEILNAHME AN LEHRVERANSTALTUNGEN ZUM ANWALTLICHEN BERUFSRECHT SITZSCHEIN ALTER SCHULE ODER NACHWEIS AUS DEM NEULAND? PROF. DR. KAI VON LEWINSKI * Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medien- und Informa- tionsrecht an der Universität Passau. Er dankt seinen Assistenten Benedikt Leven und Lars Grossmann für die engagierte Mitarbeit. Durch § 43f BRAO n.F. ist mit der BRAO-Reform von 2021 für neuzuzulassende Rechtsanwälte die Pflicht eingeführt worden, die Teilnahme an zehn Stunden Lehrveranstaltung zum anwaltlichen Berufsrecht nach- zuweisen. Ob solche Lehrveranstaltungen auch digital und auf Distanz abgehalten werden können, sagt die Norm nicht. Diese in Corona-Zeiten zur Selbstverständ- lichkeit gewordene Möglichkeit ergibt sich aber aus der Gesetzgebungsgeschichte, dem Prinzip der Freiberuf- lichkeit und einem Seitenblick auf die Fachanwaltsord- nung. I. BERUFSRECHTSKENNTNISSE ALS BERUFSPFLICHT Das rechtsanwaltliche Berufsrecht stellt sicher, dass Personen, die zur Wahrung ihrer Rechte Beistand brau- chen, in ihren Belangen geschützt sind und gleichzeitig die Interessen der Rechtspflege gewahrt werden. 1 1 BR-Drs. 431/16, 127. Es ist deshalb sinnvoll, dass ein Anwalt bereits in seiner Aus- bildung und spätestens zu Beginn seiner beruflichen Tä- tigkeit seine diesbezüglichen Pflichten und Rechte kennt. 2 2 Kilian , ZRP 2015, 206 ff. Doch sah die deutsche, auf den Einheitsjuristen und die Befähigung zum Richteramt ausgerichtete Juristenaus- bildung die Vermittlung von berufsrechtlichen Kenntnis- sen bislang nicht vor. 3 3 BR-Drs. 431/16, 127; krit. hierzu BT-Drs. 18/9948, 1; Kilian , ZRP 2015, 208. Zahlreiche angehende Anwälte – so wird berichtet – empfinden ihren berufsrechtlichen Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs als nicht ausreichend. 4 4 M.w.N. zu diesem empirischen Befund Kilian , ZRP 2015, 207 f. Damit war Deutschland das wohl einzige Land in Europa, in dem ein Rechtsanwalt zuge- lassen werden konnte, ohne Kenntnisse in seinem Be- rufsrecht nachweisen zu müssen. 5 5 Kilian , ZRP 2015, 206, 206, mit Bezug auf ders. , Modelle der Juristenausbildung in Europa, 2010, 33 ff. Die Situation er- schien auch mit vergleichendem Blick auf benachbarte Berufe nicht nachvollziehbar: Für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist Berufsrecht ein Gegenstand des Examens. 6 6 Kilian , ZRP 2015, 206 f. Bereits auf dem 68. Deutschen Juristentag 2010 war dem Gesetzgeber empfohlen worden, das rechtsanwalt- liche Berufsrecht in der Juristenausbildung zu veran- kern. 7 7 Verhandlungen des 68. DJT, 2010, Bd. II/1, Q 79. Bald ging die Tendenz stärker dahin, nicht alle Ju- risten, sondern nur noch angehende Anwälte mit der Materie zu befassen. Zunächst wurde diesbezüglich – so vom Deutschen Anwaltverein im Jahre 2014 – ange- regt, das Vorliegen von Berufsrechtskenntnissen zu einer Zulassungsvoraussetzung zu machen. 8 8 DAV-Forderung: Berufsrecht in der BRAO als Zulassungsvoraussetzung, AnwBl. 2014, 739. Dies fand dann auch Eingang in den Gesetzgebungs- prozess, wenngleich zunächst ohne Ergebnis: Ein Kabi- nettsentwurf von 2016 enthielt zwar statt einer „har- ten“ Zulassungsvoraussetzung eine vor oder im Jahr nach der Zulassung zu erfüllende Berufspflicht. 9 9 Vgl. BR-Drs. 431/16, 127 f. Den Weg ins Bundesgesetzblatt fand der damalige § 43e I BRAO-E 2017 jedoch gleichwohl nicht. Auf Empfehlung des Rechtsauschusses des Bundestages war damals von der Verpflichtung zur berufsrechtlichen Fortbildung VON LEWINSKI, DIGITALE TEILNAHME AN LEHRVERANSTALTUNGEN ZUM ANWALTLICHEN BERUFSRECHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 223

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