BRAK-Mitteilungen 4/2021

abgesehen worden, um die Berufsanfänger nicht finan- ziell und zeitlich über Gebühr zu belasten. 10 10 Vgl. BT-Drs. 18/11468, 10. Eine Legislaturperiode später ist nun 2021, ebenfalls auf Empfehlung des Bundestags-Rechtsausschusses, ein wortgleicher § 43f BRAO in das „Gesetz zur Neure- gelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerbe- ratenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Än- derung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsbera- tenden Berufe“ 11 11 BGBl. 2021 I, 2363. aufgenommen worden. Die Norm trägt nun die amtliche Überschrift „Kenntnisse im Be- rufsrecht“ und bestimmt in ihrem Absatz 1: „Der Rechtsanwalt hat innerhalb des ersten Jahres nach sei- ner erstmaligen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an einer Lehrveranstaltung über das rechtsanwaltliche Be- rufsrecht teilzunehmen. Die Lehrveranstaltung muss mindestens zehn Zeitstunden dauern und die wesent- lichen Bereiche des anwaltlichen Berufsrechts umfas- sen.“; Absatz 2 enthält einen Bestandsschutz für bereits zugelassene Rechtsanwälte und lässt auch Lehrveran- staltungen genügen, die bis zu sieben Jahre vor der Zu- lassung liegen. Details sind nach § 59 II Nr. 1 lit. h BRAO n.F. der Satzungsversammlung und damit der BORA überwiesen. 12 12 Vgl. BT-Drs. 19/30516, 45, 48. II. MÖGLICHKEIT DIGITALER LEHRE Auch wenn bereits bislang den Defiziten bei Berufs- rechtskenntnissen durch verbesserte Ausbildung in Stu- dium und Referendariat begegnet werden sollte, 13 13 Vgl. BT-Drs. 18/11468, 10. so sind Art und Ort der Ausbildung nach wie vor weder im Studium noch im Referendariat noch bei den Kammern noch bei privaten Anbietern exklusiv verortet. Allerdings geht aus dem Gesetz auch nicht ausdrücklich hervor, ob und wie die Kenntnisse in digitaler Form vermittelt und erlangt werden können. Gerade in der Übergangszeit nach dem Inkrafttreten der Regelung, wenn viele Jung- anwälte den „Berufsrechtsschein“ in Studium und An- waltsstation nicht haben „erschlagen“ können, wird es eine starke Nachfrage nach Lehrveranstaltungen ge- ben, die dann u.a. auch durch Online-Lehre befriedigt werden kann (und bis zum Abklingen der Corona-Pan- demie wohl auch muss). 1. WORTLAUT Der Wortlaut der Norm selbst scheint – anders als die Gesetzesbegründung (s.u. 3.) – eher auf eine herkömm- liche Präsenzlehrveranstaltung hin ausgerichtet. An- knüpfungspunkt hierfür ist neben dem Tatbestands- merkmal „teilzunehmen“ vor allem die Bezugnahme auf die (zehn) „Zeitstunden“. Allerdings bedeutet „Teilnahme“ nicht zwingend körper- liche Anwesenheit, wie – auch unabhängig von dem Di- gitalisierungsschub für Konferenzen und die Hochschul- lehre durch Corona – schon immer die Existenz von Fernlehrgängen nahelegt, an denen ebenfalls „teilge- nommen“ wird. Dies zeigt sich auch mit Blick auf die Re- gelung des § 15 FAO. Dort ist in Abs. 1 von der „Teilnah- me“ an fachanwaltlichen Fortbildungsveranstaltungen die Rede, die ebenfalls nach Stunden bemessen sind (§ 15 III FAO: 15 Stunden), aber auch in § 15 II und IV FAO Varianten kennen, die „nicht in Präsenzform“ statt- finden. Vergleichbares ergibt sich aus § 4 FAO, der sei- nem Wortlaut nach die „Teilnahme“ an einem „Lehr- gang“ i.S.d. § 4 I FAO den außerhalb dessen erworbe- nen Kenntnissen (§ 4 III FAO) gegenüberstellt. Im Schrifttum und der Aufsichtspraxis war aber schon vor Corona anerkannt, dass der traditionelle Lehr- gangsbegriff (i.S.e. Erforderlichkeit körperlicher Anwe- senheit) angesichts der Entwicklungen moderner Unter- richtsformen erweitert werden muss. 14 14 Nach Offermann-Burckart , in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 4 FAO Rn. 11 ist der traditionelle Lehrgangsbegriff „längst überholt“; ebenso Scharmer , in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl. 2020, § 4 FAO Rn. 17. Nach andert- halb Jahren pandemiebedingten Einschränkungen wird hieran niemand mehr zweifeln können. 2. SYSTEMATIK Ein systematischer Vergleich mit anderen berufsrecht- lichen Vorschriften ist hinsichtlich der Öffnung für elek- tronische Lehrveranstaltungen dagegen nicht eindeu- tig: Während § 43f BRAO n.F. sich in seiner Kürze zur Frage des Lehrformats nicht verhält, erkennt § 4 III FAO „außerhalb des Lehrgangs“ erworbene Kenntnisse an, 15 15 Beispiele bei Scharmer , in Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 6. Aufl. 2016, § 4 FAO Rn. 69 ff. und § 15 II FAO spricht von „[V]eranstaltungen, die nicht in Präsenzform durchgeführt werden“. Man kann in diesen ausdrücklichen Regelungen der FAO sowohl Ausnahmeregelungen als auch Ausprägungen des (un- geschriebenen) allgemeinen Gedankens sehen, dass Freiberufler nicht an eine bestimmte Lehrveranstal- tungsform gebunden sind (s. dazu 4.). 3. ENTSTEHUNGSGESCHICHTE Für die Auslegung der neuen Berufspflicht bleiben die Gesetzgebungsmaterialien zum wortgleichen, aber nie in Kraft getretenen § 43e BRAO-E 2017 von Bedeutung, da der Gesetzgeber mit Verweis auf das damalige Ge- setzgebungsverfahren hieran ausdrücklich anschließt. 16 16 BT-Drs. 19/30516, 45. Bereits aus der Gesetzesbegründung zu § 43e BRAO-E 2017 ging dezidiert hervor, dass eine Vielfalt von Veran- staltungsformen und Veranstaltungsanbietern erwartet und gewünscht ist. 17 17 BR-Drs. 431/16, 127 f., s.a. 110. Ausdrücklich waren und sind auch elektronische Fernlernformen angesprochen. 18 18 BR-Drs. 431/16, 128 Zeile 3–4; wortgleich BT-Drs. 18/9521, 111, Zeile 17–18. Dies ent- spricht dem Verständnis des anstoßgebenden Deut- schen Anwaltvereins: Nach seiner Vorstellung soll eine größtmögliche Flexibilität bestehen, wie Kenntnisse im Berufsrecht erworben werden. 19 19 DAV-Stn. 87/2020, 47 f.; Kilian , ZRP 2015, 206, 207. Insbesondere dass VON LEWINSKI, DIGITALE TEILNAHME AN LEHRVERANSTALTUNGEN ZUM ANWALTLICHEN BERUFSRECHT BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 AUFSÄTZE 224

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