BRAK-Mitteilungen 4/2020

REFORM DES ANWALTLICHEN GESELLSCHAFTSRECHTS PROF. DR. CHRISTIAN WOLF UND DIPL.-JUR. LISSA GERKING* * Der Autor Wolf ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Euro- päisches und Internationales Zivilprozessrecht und geschäftsführender Direktor des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht (IPA) an der Leibniz Universität Hanno- ver; die Autorin Gerking ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Der Beitrag erschien zuerst in den Mitteilungen der RAK München 4/2020 . Er wur- de für die Publikation in den BRAK-Mitt. geringfügig überarbeitet. Ausgehend vom Berufsbild des Einzelanwalts erlebte das anwaltliche Gesellschaftsrecht in den letzten 26 Jahren einen weitgehenden Wandel, als dessen Folgen die Rechtsanwalts-AG und -GmbH, die Sozietät mit Ärz- ten und Apothekern sowie die LLP und die PartGmbB möglich wurden. Nun soll mit der angestrebten Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts der nächste gro- ße Schritt der Deregulierung und Liberalisierung folgen. Als Kernpunkte sollen die GmbH & Co. KG als Gesell- schaftsform ermöglicht, die sozietätsfähigen Berufe er- weitert und Fremdkapital zugelassen werden. Die Auto- ren erörtern die in der rechtspolitischen Diskussion aus- geblendeten Fragen, welche Rückwirkungen dies auf den Zugang zum Recht und das berufsrechtliche Sank- tionensystem hat. I. EINLEITUNG Die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts wurde ganz wesentlich von den Gerichten, insbesondere dem BayObLG vorangetrieben. Zwar wird die Liberalisierung des Berufsrechts häufig mit den sog. Bastille-Entschei- dungen 1 1 BVerfGE 76, 171 und BVerfGE 76, 196. verbunden. Bezogen auf das anwaltliche Ge- sellschaftsrecht waren aber die eigentliche Revolution die beiden Entscheidungen des BayObLG zur Anwalts- GmbH 2 2 BayObLGZ 1994, 353. und zur Anwalts-AG. 3 3 BayObLG, NJW 2000, 1647. Noch 1994 entsprach die Entscheidung des LG Mün- chen, dass die mit der GmbH verbundene beschränkte Haftung mit dem Leitbild der anwaltlichen Berufsaus- übung nicht vereinbar sei, der herrschenden Meinung. Insbesondere müsse der Rechtsanwalt seinen Beruf per- sönlich ausüben. 4 4 So noch die Zusammenfassung der h.M. durch das LG München, NJW 1994, 1882 (1883). Das BayObLG hat 1994 in einem be- merkenswerten Beschluss entschieden, dass Rechtsan- wälte sich auch in der Form der GmbH organisieren dürfen. 5 5 BayObLGZ 1994, 353. Zwar spricht das BayObLG in der Entscheidung die Befürchtung der Anwaltschaft an, dass mit der Zu- lassung der Anwalts-GmbH eine Kommerzialisierung der Anwaltschaft weiter gefördert werden könnte: „Die insbesondere bei den Berufsorganisationen vorherr- schende Ablehnung der Anwalts-GmbH beruht darauf, daß ersichtlich einer erkennbar gewordenen fortschrei- tenden Kommerzialisierung des Anwaltsberufes entge- gengewirkt werden soll.“ 6 6 BayObLGZ 1994, 353 (355). Auf den referierten Gedanken kommt das BayObLG in seiner Entscheidungsbegrün- dung jedoch nicht weiter zurück. Vielmehr fußt sich die- se grundstürzende Entscheidung auf zwei Argumenten: Der BGH habe die Zahnarzt-GmbH zugelassen. 7 7 BGH, NJW 1994, 786. Auch habe der Gesetzgeber die Anwalts-GmbH nicht verbo- ten. Daher müsse diese nach Art. 12 GG zugelassen werden. Mit der Entscheidung des BayObLG wurde auf dem Ge- biet der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften eine Entwicklung angestoßen, welche vorerst ihren letz- ten Höhepunkt in der Horn-Entscheidung des BVerfG fand. 8 8 BVerfGE 141, 82. Danach ist § 59a I BRAO, soweit er einen Zusam- menschluss von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apo- thekern in Form einer Partnerschaftsgesellschaft unter- sagt, mit der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG unverein- bar. 9 9 Hierzu Wolf , BRAK-Mitt. 2018, 162. Zwar gab und gibt es für diese Entscheidung keine praktische Notwendigkeit. Im Partnerschaftsregister ist nur ein Zusammenschluss eines Rechtsanwalts mit einer Apothekerin und Ärztin eingetragen, und auch die Umfrage des Soldan Instituts zeigt, dass sich nur 3 % der Rechtsanwälte zu interprofessionellen Berufsaus- übungsgesellschaften zusammenschließen würden. 10 10 Kilian , AnwBl. 2018, 352, hierzu Wolf , BRAK-Mitt. 2018, 162. Hätte nicht das BVerfG so entschieden, sondern wäre dies als Idee in der Universität entstanden, hätte man wohl nicht völlig grundlos den Vorwurf des akademi- schen Elfenbeinturms erheben können. Die Horn-Entscheidung hat die weitere Diskussion des anwaltlichen Berufsrechts jedoch stimuliert. So hat Henssler für den DAV den Entwurf eines neuen anwalt- lichen Gesellschaftsrechts vorgelegt. 11 11 Henssler , AnwBl. Online 2018, 564. Das BMJV hat ein Eckpunktepapier zur Reform anwaltlicher Berufsaus- übungsgesellschaften verabschiedet. 12 12 Abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Berufsrecht_anw altl_Berufsaus%C3 %BCbungsgesellschaften.html (zuletzt abger. am 7.7.2020). Noch in diesem Jahr soll ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden. Schließ- lich wirft auch die Rechtspraxis die Frage auf, in wel- chem Umfang das derzeitige Berufsrecht den Entwick- lungen noch gerecht werden kann. Als Stichworte seien hier nur die Ermittlungen im Cum-Ex-Verfahren, auch gegen ehemalige Partner von law firms, 13 13 https://www.juve-steuermarkt.de/nachrichten/namenundnachrichten/2019/11/he imlicher-abgang-freshfields-steuerchef-beugt-sich-cum-ex-druck-2 (zuletzt abger. am 7.7.2020) und https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2020/ 06/cum-ex-aufarbeitung-auch-freshfields-partner-teufel-ausgeschieden (zuletzt ab- ger. am 7.7.2020). und die Re- gistrierung einer auch hier tätigen Kanzlei als Alternati- ve Business Structure (ABS) in London 14 14 https://www.lawgazette.co.uk/news/reed-smith-converts-to-abs-in-first-for-us-firm/ 5102043.article (zuletzt abger. am 7.7.2020). genannt. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 185

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