BRAK-Mitteilungen 4/2020

Im Kern geht es in der jetzt anstehenden Diskussion um folgenden Fragenkomplex: Soll man über die bereits enumerativ zugelassenen Berufsausübungsgesellschaf- ten (GbR, PartG einschließlich der PartG mbB, GmbH und AG sowie die LLP als Rechtsformimport) hinaus alle weiteren Gesellschaftsformen zulassen, also den Nume- rus clausus der Gesellschaftsformen im Anwaltsrecht aufheben? 15 15 Der Numerus clausus der Gesellschaftsformen ist eigentlich typisch für das Gesell- schaftsrecht, vgl. Mutter/Müller , in Gummert, Münchener Anwaltshdb. Personenge- sellschaftsrecht, 3. Aufl. 2019, § 1 Rn. 1. (s. hierzu unter II. und III.) Zum Zweiten stellt sich die Frage, ob das Berufsrecht, welches bisher nur den einzelnen Anwalt als Adressa- ten der Berufspflichten kennt, nicht auch den Verband adressieren muss. Der einzelne Anwalt, der in einer Be- rufsausübungsgesellschaft nicht das industrielle Sagen hat, wird häufig Berufsrechtsverstöße nicht verhindern können. Daher muss auch der Verband Adressat der Berufspflichten werden (s. hierzu IV.). Auf doppelte Weise wirft dabei die Governance-Struktur des Verbands Fragen auf. Charakterisiert die persön- liche Leistungserbringung nicht nur die freiberufliche Tätigkeit, sondern wird diese sogar zur Pflicht des Frei- beruflers erhoben, 16 16 So jüngst, wenngleich erstaunlich, Henssler , AnwBl. 2020, 155. stellt sich die Frage, wie sich die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung in die typi- sche Governance-Struktur von Kapitalgesellschaften einfügen lässt. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn man Fremdkapital zulässt. Zugleich wird damit ange- sprochen, ob ein System, das bislang den gleichen Zu- gang zum Recht auf der intrinsischen Motivation der in- dividuellen Berufsträger aufbaute, im Rahmen von Go- vernance-Strukturen dies noch sicherstellen kann. 17 17 Und hierzu bereits ausführlich Wolf , in FS BRAK, 2019, 63, 183 ff.; Wolf , BRAK- Mitt. 2018, 162, 163. Angesprochen ist damit die Funktion des Anwaltsrechts als Marktordnungsrecht. Grundsätzlich folgt der Wett- bewerb einem anderen Maßstab und damit einem an- deren Marktordnungsrahmen als das gemeinwohlorien- tierte Handeln des Staates. Im Wettbewerb ist das Han- deln der Marktteilnehmer gedanklich allein durch deren Gewinnstreben motiviert. Der inneren Logik des Markt- mechanismus entspricht es, dass der Vertragspartner alleine nach dessen Preisangebot und nicht nach des- sen Bedarf ausgewählt wird. 18 18 Kirchhof , in Kirchhof, Gemeinwohl und Wettbewerb, 2004, 8. Den Leistungsanbieter trifft dabei keine Verantwortung für eine flächendecken- de universelle Versorgung. 19 19 Blanke/Thumfart , in Blanke/Scherzberg/Wegner, Dimension des Wettbewerbs, 2010, 14 ff.; Kirchhof , in Kirchhof, Gemeinwohl und Wettbewerb, 2004, 18. Im Gegensatz hierzu orien- tiert sich der Grundsatz des Gemeinwohls am Prinzip der Verhältnismäßigkeit und Erfolgsverantwortung. 20 20 Kirchhof , in Kirchhof, Gemeinwohl und Wettbewerb, 2004, 8. Rechtsanwälte sind dem Gemeinwohlprinzip verpflich- tet, weil ohne sie ein Rechtsstaat nicht denkbar ist. Mit der Chiffre des „Freien Berufs“ soll diese Paradoxie, einerseits der Gemeinwohlverpflichtung und anderseits nicht der staatlichen Kontrolle und Bevormundung zu unterliegen, also nicht Teil des Staates zu sein, aufgelöst werden. In der Reformdiskussion wird regelmäßig die Frage, wie sich die Reformen auf das Anwaltsrecht als Marktordnungsrecht auswirken, ausgeblendet. Ein Bei- spiel hierfür ist die Abschaffung des Lokalisationsprin- zips. 21 21 Vgl. zur Rechtfertigung des Lokalisationsprinzips durch den Gesetzgeber der RAO von 1878: Es soll verhindert werden, dass der Antrag in den größeren Orten ver- mehrt und der Rechtsanwaltschaft in den entlegeneren Orten noch mehr Kräfte entzogen wird, Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 3. Legislaturperiode, II. Session, 1878, Bd. III, Anl. 5, 72. Heute wird ein Rückgang der Rechtsanwälte auf dem Land beklagt. 22 22 https://kanzleiforum.beck-shop.de/2018/06/04/land-ohne-anwaelte/ (zuletzt ab- ger. am 7.7.2020). Ein Zusammenhang mit der Aufhe- bung des Lokalisationsgebots wird jedoch nicht herge- stellt. Als 1994 durch das RABerufsNeuOG 23 23 BGBl. I 1994, 2278. das Loka- lisationsprinzip aufgehoben wurde, wurden einschlägi- ge Warnungen, hierdurch würde die Infrastruktur der Anwaltsversorgung, insb. auf dem Land, gefährdet, in den Wind geschlagen. 24 24 Wolf , in FS BRAK, 63, 86 und ders., in: FS Schlosser, 1121, 1127. Eine empirische Evaluierung der Auswirkungen der Aufhebung des Lokalisationsge- bots unterblieb damals genauso 25 25 Wolf , in FS BRAK, 63, 86. wie heute eine Refle- xion der Auswirkungen der Reform des anwaltlichen Ge- sellschaftsrechts auf das Marktordnungsrecht der Rechtsanwälte unterbleibt. II. ÜBERBLICK ÜBER DIE REFORMIDEEN Die Diskussion über eine Modernisierung des anwalt- lichen Berufsrechts wird zwar auf viele Regelungsele- mente bezogen, der größte Reformbedarf wird jedoch im Bereich des anwaltlichen Gesellschaftsrechts gese- hen. 26 26 Zu den einzelnen Reformvorhaben auch Westermann , NZG 2019, 1. Obwohl sich Rechtsanwälte schon seit mehr als zwanzig Jahren in der Rechtsform der GmbH 27 27 Weyland/ Brüggemann , BRAO, 10. Aufl. Vor § 59c BRAO Rn. 1. bzw. seit mehr als zehn Jahren in der Rechtsform der AG 28 28 BGH, NJW 2005, 1568; Ludwig , in Heussen/Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts Hdb., 11. Aufl. 2016, § 60 Rn. 133; Weyland/ Brüggemann , Vor § 59c BRAO Rn. 8. als Berufsausübungsgesellschaft zusammenschließen kön- nen, fehlen Vorschriften zur Implikation der gesell- schaftsrechtlichen Regelungen im Kontext des anwalt- lichen Berufsrechts bisher gänzlich. 1. ECKPUNKTEPAPIER DES BMJV Im Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für eine Neurege- lung des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsaus- übungsgesellschaften vom 27.8.2019 werden zwanzig Eckpunkte identifiziert, die bei der Neufassung des an- waltlichen Berufsrechts Beachtung finden sollten. Ziel sind klare, einheitliche und transparente Regelungen für alle, die im Interesse der Rechtsuchenden die Mög- lichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwäl- ten und anderen Berufsgruppen stärken. Geprägt ist der Reformvorschlag des BMJV von dem Ansatz, die Rechte und Pflichten der Berufsausübungs- gesellschaften auszuweiten. In den Eckpunkten 1 bis 3 BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 AUFSÄTZE 186

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