BRAK-Mitteilungen 1/2024

im Gerichtssaal sowohl sehen als auch hören konnte. Das genügte dem LG nicht, wobei es sich dafür auf den Wortlaut des § 128a ZPO („Bild und Ton“) beziehen konnte. Es wertete das damit verbundene Fernbleiben des Prozessbevollmächtigen auch als schuldhaft, weil dieser offenbar nicht rechtzeitig dafür gesorgt hatte, die Einsatzfähigkeit einer Webcam oder ihre Kompatibilität mit dem Videokonferenzsystem der Justiz sicherzustellen. Daher erging in der Sache ein Versäumnisurteil. (bc) KEINE TERMINVERLEGUNG BEI KURZFRISTIGEM FLUGAUSFALL Die Aufhebung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wegen kurzfristigen Ausfalls eines geplanten Flugs ist jedenfalls dann nicht geboten, wenn der Prozessbevollmächtigte weder darlegt noch glaubhaft macht, dass er kein alternatives Verkehrsmittel nutzen konnte, und ihm die Teilnahme durch eine Videokonferenz angeboten wurde. (eigener Ls.) BFH, Urt. v. 26.7.2023 – II R 4/21, DB 2023, 2866 KEINE AMTSHAFTUNG WEGEN UNNÖTIGER REISEKOSTEN Ein Klägervertreter, der zu einem Verhandlungstermin, der nachmittags in München stattfindet, bereits am Vortag morgens um 9.00 Uhr mit seinem Auto aus Lübeck abreist, muss damit rechnen, dass ihn an diesem Tag noch eine Abladung per beA erreicht; sein Mandant kann dann jedenfalls keine Amtshaftungsansprüche wegen der unnötigen Reisekosten geltend machen. (eigener Ls.) LG München I, Urt. v. 11.10.2023 – 15 O 7223/23, BRAK-Mitt. 2024, 63 Ls. (in diesem Heft) Im ersten Fall plante der Prozessvertreter der Klägerin, zur mündlichen Verhandlung vor dem BFH, die in München auf 9:30 Uhr angesetzt war, mit dem Flugzeug am frühen Morgen desselben Tages aus Düsseldorf anzureisen. Der Flug sei am Vorabend gestrichen worden, einen anderen Flug habe es nicht gegeben. Daher beantragte er die Verlegung des Termins, woraufhin das Gericht ihm die Möglichkeit der Teilnahme per Videokonferenz ermöglichte. Das lehnte er ab, weil dadurch ein beteiligter Steuerberater nicht hätte teilnehmen können. Der BFH verhandelte dennoch mündlich gem. § 91 II FGO. Erhebliche Gründe für eine Terminverlegung erkannte der Senat nicht. In seiner Begründung bezweifelt der Senat, ob eine Entscheidung des BVerwG,4 4 BVerwG, Urt. v. 10.12.1985 – 9 C 84.84, NJW 1986, 1057. nachder sich ein Prozessbevollmächtigter auf die Einhaltung der planmäßigen Beförderungszeiten öffentlicher Verkehrsmittel verlassen darf, „auf die heutige Zeit, in der Zugund Flugausfälle zum Regelfall gehören“, überhaupt noch übertragbar sei. Diese Frage bleibt aber letztlich unbeantwortet, weil zumindest die Möglichkeit der Videoschaltung hätte wahrgenommen werden müssen, die technisch auch durchführbar war. Dabei handele es sich um ein mittlerweile anerkanntes und vielfältig genutztes Verfahren. Beim zweiten Fall handelt es sich um eine Amtshaftungsklage, die auf ein arbeitsgerichtliches Verfahren folgte, das ebenfalls in München verhandelt wurde. In jenem Verfahren musste der bereits auf den 11.1.2023, 15.30 Uhr, festgesetzte Gütetermin durch das Gericht kurzfristig abgesagt werden, weil die Klageschrift wegen einer fehlerhaften Adressenangabe nicht zugestellt werden konnte. Dazu hatte der Klägervertreter Gelegenheit zur Stellungnahme bis 5.1.2023 gehabt, nutzte diese aber nicht. Das Gericht hob den Termin schließlich auf und teilte ihm dies am 10.1.2023 um 10.39 Uhr per beA mit. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Klägervertreter allerdings schon auf der Anreise nach München, die er an diesem Tag morgens um 9.00 Uhr mit seinem Auto in Lübeck angetreten hatte. Er rechnete für diese Anreise mit ca. 11 Stunden Fahrzeit und wollte nach eigenen Angaben in München übernachten, wo ihn dann die beA-Nachricht erst erreichte. In der Kanzlei des Bevollmächtigten sei niemand anwesend gewesen, der Zugriff auf das beA-Postfach gehabt habe. Allerdings sei das Kanzleitelefon auf das Mobiltelefon des Klägervertreters umgestellt worden, was seine telefonische Erreichbarkeit über die ganze Zeit gewährleistete. Das LG gab der Klage auf die Reisekosten und Abwesenheitsgelder, die der Mandant hätte zahlen müssen, nicht statt. Die Benachrichtigung am Vortag der Verhandlung per beA sei in Ordnung gewesen. Nachrichten in das beA seien bei entsprechender Einrichtung auch mobil abrufbar; die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle mussten nicht damit rechnen, dass der Klägervertreter die Nachricht vor Abreise nicht mehr wird lesen können. Es wäre naheliegender gewesen, eine Flugreise von Hamburg nach München am Terminstag zu wählen oder früh morgens mit dem Zug von Lübeck aus anzureisen. Dem BFH mag zugestimmt werden, dass zumindest die Teilnahme per Videokonferenz vom Bevollmächtigten nicht so einfach hätte abgelehnt werden dürfen. Dennoch sollte man bedenken, dass weder Gerichte noch die übrigen Verfahrensbeteiligten auf die Teilnahme nach § 128a ZPO bzw. verwandten Normen verpflichtet werden können. Die Verhandlung vor Ort ist immer noch die Norm und die Videokonferenz die Abweichung, wenn sie sinnvoll erscheint. Schwer verständlich sind allerdings die Ausführungen dazu, dass man sich „heutzutage“ wohl nicht mehr auf Flug- oder Bahnverbindungen verlassen darf. Wenn man das ernst nehmen möchte, wirft man damit sofort die Frage auf, wieviele Flüge oder Züge man sich denn als „Puffer“ einplanen muss. Oder ist dann doch das Auto der in diesem Sinne „sicherste Weg“? Nach Ansicht des LG München I ist das offenkundig der vollkommen falsche Gedanke! Eine Anreise mit dem Auto und mit ausreichend Zeitpuffer ist – wie uns die Kammer belehrt – gerade nicht das probate Mittel, wenn AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 37

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