BRAK-Mitteilungen 1/2024

IV. SONSTIGES: REGRESS DES RECHTSSCHUTZVERSICHERERS GEGEN DEN ANWALT Nach der Grundsatzentscheidung des BGH39 39 Vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19 und ausf. hierzu Völker, BRAK-Mitt. 2022, 20 (24 f.) sowie zu Folgeentscheidungen ders., BRAK-Mitt, 2023, 18, 24 f. ebbt jedenfalls die Zahl veröffentlichter Gerichtsentscheidungen zu von Rechtsschutzversicherern gegen Anwältinnen bzw. Anwälte ihrer Versicherungsnehmer geführten Regressen wegen des Führens aussichtsloser Prozesse spürbar ab. In Umsetzung der höchstrichterlichen Vorgaben führte im Berichtszeitraum das OLG Zweibrücken einer verklagten Anwaltskanzlei vor Augen, dass es zu den von ihr unterlassenen Anwaltspflichten gehört hätte, jedenfalls vor Rechtsmitteleinlegung in einem Darlehenswiderrufsfall Ende September 2017, die zwei beiden Berufungsangriffen jeweils jede Erfolgsaussicht nehmenden Erkenntnisse des BGH, die im April 2017 in der NJW bzw. im Juli 2017 in der NJW-RR publiziert worden waren, auszuwerten und ihrem Mandanten in der Folge von der Berufungseinlegung abgeraten zu haben. Die zeitnahe Auswertung der gängigen Fachmedien gehöre, zumal bei einer Kanzlei, die eine Spezialisierung in dem betroffenen Rechtsgebiet kommuniziere, zum selbstverständlichen Pflichtenprogramm. Bei tatsächlich wegen höchstrichterlich geklärter Rechtslage vollständig aussichtslosen Fällen gelte auch bei rechtsschutzversicherten Mandanten die tatsächliche Vermutung beratungsgerechten Verhaltens, weshalb die unterlassene Aufklärung auch kausal für den Schaden geworden sei. Vor dem LG Gera40 40 Vgl. LG Gera, Urt. v. 17.2.2023 – 6 O 1175/20, VersR 2023, 1028 ff. scheiterte dagegen der Versuch eines Rechtsschutzversicherers, eine Anwaltskanzlei, die eine Vielzahl durch ein bestimmtes Anlagemodell geschädigte Kläger vertrat, und mit der er eine Regulierungsvereinbarung für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung getroffen, und die in der Folge im Ergebnis erfolglos rund 4.500 Klagen beim LG Göttingen eingereicht hatte, aus eigenem Recht wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung in Anspruch zu nehmen. Es habe nicht, wie hierfür erforderlich, festgestellt werden können, dass die Anwälte aus reiner Gewinnerzielungsabsicht ohne Rücksicht auf die Interessen ihrer jeweiligen Mandanten gehandelt hätten. Die Praxis für eine Vielzahl geschädigter Anleger in uniformer Massenabwicklung Schadenersatzansprüche gegen Verantwortliche einer gescheiterten Kapitalanlage geltend zu machen, sei ein heute allgemein akzeptiertes Geschäftsmodell. Auch die Inanspruchnahme aus übergegangenem Recht scheiterte, da die Anwälte die völlige Aussichtslosigkeit ihres Tuns in den entscheidenden Zeiträumen angesichts sich erst entwickelnder höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls nicht mit Sicherheit hätten voraussehen müssen. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG KENNTNISUNABHÄNGIGE VERJÄHRUNG BEIM NOTARREGRESS Besteht die Amtspflichtverletzung darin, einen wegen Verstoßes gegen § 2347 BGB unwirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrag beurkundet zu haben, verjähren Ansprüche der Erbin in diesem Zusammenhang regelmäßig nicht vor Versterben des Erblassers; das kann auch dann gelten, wenn im Zusammenhang mit den vertraglichen Abreden bereits zu einem früheren Zeitpunkt (Abfindungs-)Zahlungen geleistet wurden. (eigener Ls.) OLG Hamm, Urt. v. 12.7.2023 – I-11 U 148/22, r+s 2023, 822 Der beklagte Notar hatte im Jahr 2006 eine Vereinbarung zwischen dem Erblasser und seinen beiden Töchtern beurkundet; diese Vereinbarung war als Pflichtteilsverzichtsvertrag bezeichnet und schloss an eine testamentarische Verfügung aus dem Jahr 2005 an, durch die die Klägerin zur Hofes- und Alleinerbin eingesetzt worden war. In der Vereinbarung verzichtete die Schwester der Klägerin auf ihren Pflichtteil sowie auf weitere Abfindungsansprüche nach der Höfeordnung, während die Klägerin sich zu einer pauschalen Abfindung i.H.v. 30.000 Euro verpflichtete. Zur Beurkundung erschien der Erblasser nicht persönlich; er ließ sich durch eine Mitarbeiterin des Notars vollmachtlos vertreten. Drei Tage später genehmigte der Erblasser in einer eigenen Urkunde die Erklärungen AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 33

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