BRAK-Mitteilungen 1/2024

Die Entscheidung ist für alle Fälle der direkten Inanspruchnahme von Haftpflichtversicherern nach Insolvenz des Schädigers durch Rechtsschutzversicherte gem. § 115 I 1 Nr. 2 VVG relevant. 3. SPEZIAL-STRAF-RECHTSSCHUTZ (SSR) ALS AUSSCHNITTDECKUNG SSR-Versicherungskonzepte finden sich teilweise als Baustein „Erweiterter Straf-Rechtsschutz“ in ARB-Policen, teilweise als selbstständige Versicherungen und nicht erst seit dem Wirecard-Prozess inzwischen häufig als (wesensfremde) Ausschnittdeckung in D&O-Verträgen. Deren Kernfunktion ist die Abwehr unbegründeter und Befriedigung begründeter Vermögensschadenhaftpflichtansprüche, die Unternehmen oder Dritte gegen Organe und bestimmte leitende Angestellte des Unternehmens erheben. Versichert sind insoweit Kosten der Verteidigung der versicherten Personen ab dem Zeitpunkt der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das im Zusammenhang mit einer versicherten Pflichtverletzung steht. Vorsatztaten sind im SSR grundsätzlich mitversichert. Allerdings steht der Versicherungsschutz unter der auflösenden Bedingung der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Vorsatztat. Bei kombinierten D&O-Policen mit SSR-Ausschnittdeckung kann es dabei konzeptionell zu Friktionen kommen, weil unter der Haftpflichtdeckung Versicherungsschutz schon bei vorsätzlicher Schadenverursachung (nicht Straftat!) oder wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen ist. In einer der seltenen gerichtlichen Entscheidungen zum SRR löste das OLG Hamm13 13 Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 13.7.2023 – 20 U 64/22 m. zust. Anm. Guntermann, r+s 2023, 1054 f. und Günther, FD-VersR 2023, 460972. Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig unter IV ZR 171/23. diese überzeugend auf und äußerte sich auch zur Reichweite der sich in allen SSR-Deckungskonzepten findenden Unterrichtungsobliegenheit des Versicherungsnehmers. Gegen den unter der Kombipolice versicherten Geschäftsführer einer GmbH war wegen eines behaupteten Umsatzsteuervergehens ermittelt und in der Folge Anklage erhoben worden. Nicht gehört werden konnte der Versicherer mit dem Einwand, das dem Versicherten vorgeworfene Betreiben eines Umsatzsteuerkarussells gehöre nicht zu den versicherten Aufgaben eines Geschäftsführers. Die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen, an die der Tatvorwurf knüpfte, gehöre ersichtlich zu typischen Geschäftsführeraufgaben. Ebenso wenig war es dem Versicherer nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der AVB erlaubt, sich auf (vom Versicherten bestrittene) Wissentlichkeit einer Pflichtverletzung im Rahmen der bedingungsgemäß zugesagten vorläufigen Deckung zu berufen, solange solche nicht durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgestellt war. Er ist vielmehr – gegebenenfalls – auf Rückforderung verwiesen. Auch der in mehrfacher Hinsicht vom Versicherer erhobene Einwand vorsätzlicher Verletzung von Unterrichtungsobliegenheiten ging ins Leere. Derartige, im Bedingungswerk der kombinierten Police aufgeführte umfängliche Obliegenheiten könnten, so überhaupt auf den SSR anwendbar und nicht nur auf die Haftpflichtdeckung bezogen, einzig so weit gehen, es dem Versicherer zu ermöglichen, den Umfang seiner Leistungspflicht, insb. die vom Verteidiger regelmäßig auf Basis eines Stundenhonorars fakturierte Vergütung zu prüfen. Sinn und Zweck einer Strafrechtsschutz-Versicherung sei Übernahme der Kosten strafprozessual zulässigen Verteidigungsverhaltens, also etwa von seinem Schweigerecht sanktionslos Gebrauch zu machen oder auch sich mit wahren, aber auch unwahren Behauptungen einzulassen. Dem liefe es ersichtlich völlig zuwider, müsste der Versicherte sich gegenüber dem Versicherer offenbaren oder gar zu den Anklagevorwürfen „vernehmen“ lassen. Dem Versicherer stehe, anders als im Haftpflichtprozess, auch nicht die Befugnis zur Verfahrensführung oder auch nur Einflussnahme auf die Verteidigungsstrategie zu. Schon deshalb könne es keine, zudem gegebenenfalls nach den AVB unter der Voraussetzung von Billigkeit und Zumutbarkeit stehende Obliegenheit geben, den Versicherer über Mitteilungen, Aufzeichnungen und Beweismittel zu unterrichten oder gar die Verteidigerhandakte zu überlassen. Dies erst recht deshalb, weil diese in den Händen des Versicherers nicht beschlagnahmefrei wären und seine Mitarbeiter als Zeugen vernommen werden könnten. Die Ausschöpfung derartiger strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse durch die Staatsanwaltschaften entspreche inzwischen durchaus auch der Praxis. Auch eine Obliegenheit des Versicherten, dem Versicherer Einsicht in die Ermittlungsakten zu ermöglichen, komme nicht in Betracht. Der Versicherte selbst habe kein eigenes Einsichtsrecht. Seine akteneinsichtsberechtigten Verteidiger seien berufsrechtlich (§ 14 BORA) daran gehindert, Ablichtungen hieraus an den Rechtsschutzversicherer herauszugeben. Dass entsprechende Obliegenheiten bei Inanspruchnahme der zivilrechtlichen Abwehrdeckung bestünden, stehe nicht entgegen, da es dem Versicherten ja freistehe, diesen Teil des Versicherungsschutzes in Anspruch zu nehmen oder dies – um der ihn dann treffenden Offenbarungspflicht zu entgehen – zu unterlassen. 4. AUSSCHLUSS FÜR WAHRNEHMUNG RECHTLICHER INTERESSEN BEI SELBSTSTÄNDIGER TÄTIGKEIT Auf der Linie mit der wohl herrschenden Meinung liegt ein die Erfolgsaussichten einer Berufung verneinender Beschluss des OLG Hamm,14 14 Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 14.8.2023 – I-20 U 65/23, beck-online Rn. 5; ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 24.10.1986 – 2 U 68/86, NJW-RR 1987, 341; Piontek, in Prölss/Martin, VVG, § 23 ARB 2010 Rn. 7; Harbauer/Obarowski, § 23 ARB 2010 Rn. 27. A.A. aber etwa OLG München, Urt. v. 10.11.2006 – 25 U 3142/06, NJWRR 2007, 241. das einen insoweit § 26 I 2 ARB entsprechenden Risikoausschluss des Zusammenhangs mit einer selbstständigen Tätigkeit für eine Streitigkeit im Gefolge behaupteter Schlechterfüllung AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 29

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