BRAK-Mitteilungen 5/2023

nen Weg verstärkt in die alternative Streitbeilegung nimmt. Die Hauptursachen für den Rückgang der Eingangszahlen liegen hingegen in der ausgebauten Praxis von Unternehmen, Streitigkeiten durch vorbeugende Vertragsgestaltung zu verhüten bzw. im Rahmen des Beschwerdemanagements kulant beizulegen, in der verstärkten Vorsortierung und Verweisung von Fällen durch Rechtsschutzversicherungen und in der im Lichte von Kosten, Dauer und Ungewissheit des Ausgangs eines Gerichtsverfahrens häufigeren Entscheidung von Rechtsuchenden, ihre zivilrechtlichen Konflikte nicht vor Gericht zu bringen. V. DER RÜCKGANG DER EINGANGSZAHLEN AUS DER SICHT VON RECHTSANWÄLTINNEN UND RECHTSANWÄLTEN Der anwaltliche Rat für oder gegen eine zivilgerichtliche Klage hat für die Entschlussbildung von unternehmerischen und privaten Mandanten große Bedeutung. Sehen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Chancen für eine erfolgreiche Klage, wird sich die Klagebereitschaft der Mandanten erheblich erhöhen. Und umgekehrt: Das anwaltliche Abraten von einer Klage hat mit einiger Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass die ins Auge gefasste Klage nicht erhoben wird. Das ist nicht nur anwaltliche Selbstwahrnehmung, sondern findet seinen Ausdruck auch in Ergebnissen der erwähnten Bevölkerungsbefragung. Von denjenigen 57 % der Befragten, die angaben, in den letzten zehn Jahren wenigstens ein lösungsbedürftiges Problem zivilrechtlicher Art gehabt zu haben, ließ sich fast die Hälfte anwaltlich beraten (44 %), ein knappes Fünftel ließ sich von der Rechtsschutzversicherung bzw. einem Vertrauensanwalt der Rechtsschutzversicherung beraten; ein gutes Viertel nahm keine professionelle Beratung in Anspruch.29 29 S. 98 f., Tab. 23. Wer sich anwaltlich beraten lässt, wird geneigt sein, dem Rat zu folgen. Dafür gibt einen hochsignifikanten Beleg. Für (spätere) Kläger wie Beklagte ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren zivilrechtlichen Streit gerichtlich klären lassen, um jeweils über das Sechsfache erhöht, wenn ihnen von professionellen Ratgebern, im Regelfall von Anwältinnen und Anwälten, hierzu geraten wurde.30 30 Anhang, Tab. 102 und 103. Unter diesem Blickwinkel erhält die Angabe von 31 % der Anwältinnen und Anwälte, seltener zu einer Klage zu raten als noch vor zehn bis fünfzehn Jahren, erhebliches Gewicht.31 31 S. 145. Mit dieser Aussage steht in Zusammenhang, dass die eigene forensische Tätigkeit nach Angaben von fast vier von zehn Befragten aus der Anwaltschaft deutlich abgenommen hat, etwas stärker ausgeprägt bei den bereits über zehn Jahre als Anwälte tätigen Antwortenden (43 %).32 32 S. 145, Tab. 36. Ein noch etwas stärkeres Gewicht hat der von ihnen zu mehr als einem Drittel (35 %) wahrgenommene Rückgang der Klagebereitschaft ihrer Mandanten.33 33 S. 146, Tab. 36. Auch hier sind die entsprechenden Aussagen der Berufsälteren mit 38 % noch einmal stärker ausgeprägt. Die drei wichtigsten Gründe gegen gerichtliche Klagen sind auf Seiten der Anwältinnen und Anwälte dieselben wie bei ihren Mandanten, nur anders gewichtet. Nach den anwaltlichen Erfahrungen vermeiden Mandanten Klagen vor allem wegen der Länge der Verfahren (71 %), der Kosten (59 %) und der nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten (56 %). Für sie selbst als professionelle Rechtsvertreter stehen die nicht abschätzbaren Erolgsaussichten an der Spitze der Gründe für das Abraten von einer Klage (66 %), gefolgt von der Länge der Verfahren (60 %) und den Kosten (52 %).34 34 S. 146 f. und Tab. 37. Auf die Frage „Welche Gründe haben Sie generell dafür, Ihren Mandanten von einer Klage abzuraten?“ finden sich in den offenen Angaben beispielsweise die folgenden Aussagen: „Für den Anwalt ist das Wichtigste, dem Mandanten eine belastbare Aussage über die Risiken eines Klageverfahrens machen zu können. Wenn das [...] nicht mehr möglich ist, rät man dem Mandanten lieber ab.“ (Berlin, Allgemeines Zivilrecht, Gewerblicher Rechtsschutz, vertritt überwiegend kleine und mittlere Unternehmen) „Die Abläufe im Wirtschaftsleben, einschließlich der Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse, haben sich in den vergangenen 20 Jahren erheblich beschleunigt. Demgegenüber haben sich die Bearbeitungszeiten bei den Eingangs- wie auch einigen Instanzgerichten teils bis zur Unzumutbarkeit verlängert.“ (Berlin, Allgemeines Zivilrecht, Gesellschafts-/Wirtschaftsrecht, Insolvenzrecht, vertritt überwiegend kleine und mittlere Unternehmen) „Eine besondere Belastung sind auch die Kosten eines Prozesses. Spezialisierte Rechtsanwälte rechnen i.d.R. nach Zeithonorar ab. Dieses übersteigt aber regelmäßig die RVG-Gebühren, so dass die Mandanten selbst im Fall des Obsiegens regelmäßig draufzahlen. Komplexere Verfahren mit Streitwerten von unter 0,5 Mio. Euro sind bei einem Zeithonorar i.d.R. nicht wirtschaftlich zu führen.“ (Hamburg, Gesellschafts-/Wirtschaftsrecht, vertritt überwiegend kleine und mittlere Unternehmen) Mitteilsam sind die an der Anwaltsbefragung teilnehmenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auch in einer anderen Hinsicht, die ebenfalls den Ursachen für die Rückbildung der Zahlen zivilgerichtlicher Klagen zugerechnet werden kann, den von uns sog. justizinternen Faktoren. Rund die Hälfte der Freitextantworten benennt solche Faktoren, die aus anwaltlicher Sicht gewachsene Unzufriedenheit mit der Effektivität gerichtHÖLAND, DER RÜCKGANG DER EINGANGSZAHLEN BEI DEN ZIVILGERICHTEN AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 279

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0