BRAK-Mitteilungen 4/2023

kaufmännische Vertrieb eines Produkts oder einer standardisierten Dienstleistung. Die Beschränkung auf freie Berufe ist zudem geboten, weil die Berufsausübungsgesellschaft nicht nur Instrument der Berufsausübung der in ihr verbundenen Personen, sondern sie auch selbst Erbringerin rechtsbesorgender Dienstleistungen i.S.d. § 3 BRAO ist. Die zugelassene Gesellschaft unterliegt daher den gleichen Anforderungen und Pflichten wie ein Rechtsanwalt. Zu den wesentlichen Kennzeichen des anwaltlichen Berufs gehört ferner, dass dieser einen freien Beruf und kein Gewerbe ausübt, § 2 II BRAO. Eine gemeinschaftliche Berufsausübung innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft, die eine anwaltliche Beratung mit der Ausübung eines rein gewerblichen Berufs verbindet, ist hiermit unvereinbar. Diese Argumente sind auch auf den Fall übertragbar, dass ein Geschäftsanteil einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf eine Person übertragen wird, die keinen freien Beruf ausübt bzw. die nicht die besonderen beruflichen Anforderungen erfüllt, die nach dem deutschen Recht an den Erwerb eines Geschäftsanteils geknüpft sind. Der Bayerische AGH ist in seiner Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass das Verbot der Drittbeteiligung ein geeignetes Mittel ist, um den Einfluss von Finanzinvestoren auf das operative Geschäft einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu verhindern (vgl. Rn. 47). Dieses Verbot ist auch weiterhin erforderlich. Entscheidend gegen Fremdkapital spricht, dass sich – unabhängig vom Umfang einer Kapitalbeteiligung – die bisherige Struktur, den gleichen Zugang durch eine auch intrinsische Motivation der in einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft tätigen Berufsträger zu sichern, nicht mehr aufrechterhalten lässt.30 30 Vgl. hierzu auch Wolf, BRAK-Mitt. 2020, 250. VI. KOHÄRENZ UND SYSTEMATIK Zur in Frage gestellten Kohärenz: Aus der Rechtsprechung des EuGH geht hervor, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie auch tatsächlich dem verfolgten Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.31 31 EuGH, Urt. v. 6.3.2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 – Placanica u.a.; EuGH, Urt. v. 17.7.2008 – C-500/06 Rn. 39 f. – Corporaci´on Dermoest´etica. Die Frage der Kohärenz ist damit gebunden an den als Ziel verfolgten zwingenden Grund des Allgemeininteresses, welches mit dem angestrebten Schutzniveau den Maßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form der Kohärenz bildet. Dieser Schutz und die Regulierung des Einzelanwalts muss sich folgelogisch – zwecks Gewährleistung eines kohärenten Systems – auch auf die anwaltlich tätige rechtliche Einheit erstrecken: Wenn sich der nationale Gesetzgeber mithin dazu entschließt, eine bestimmte Regulierung der als natürliche Personen agierenden Rechtsanwälte zu schaffen, ist es gerechtfertigt, die Berufsausübungsgesellschaften denselben Regeln zu unterwerfen. Die Herangehensweise, dann auch zu verlangen, dass die Gesellschafter aus dem Kreis der regulierten Personen stammen, ist erforderlich, um ein kohärentes System der Regulierung zu gewährleisten. Hat sich ein Mitgliedstaat entschlossen, die zu sichernden Rechtsgüter mittels einer Regulierung der Gesellschaften zu gewährleisten, ist dies Teil seines Regulierungssystems, das ihm im Rahmen des insoweit nicht harmonisierten Unionsrechts anvertraut bleiben muss. Originäre berufsrechtliche Bindung Der Schritt, die Aufnahme eines nicht regulierten Gesellschafters in eine Rechtsanwaltsgesellschaft auszuschließen, verlässt den Rahmen des kohärenten Regulierungsrahmens nicht. Die Aufnahme nichtsozietätsfähiger Gesellschafter wäre geeignet, eine grundsätzliche Gefahr für das System zur Bewahrung der schützenswerten Rechtsgüter zu begründen. Ein nichtsozietätsfähiger Gesellschafter würde nicht der originären persönlichen Bindung unterliegen, die der nationale Gesetzgeber zur Grundlage seines berufsrechtlichen Systems gemacht hat. Wenn jeder Gesellschafter, ob Einzelperson oder Gesellschaft, einer berufsrechtlichen Überwachung unterliegt, darf unterstellt werden, dass im Zweifel jeder Gesellschafter ein Fehlverhalten innerhalb der Gesellschaft vermeidet. Ein nicht regulierter Gesellschafter ist hiervon nicht bedroht. Der nationale Gesetzgeber, der sein System der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften auf die Gleichbehandlung natürlicher Personen und Gesellschaften stützt, baut auf ein kohärentes System, wenn er die persönliche Bindung auch der einzelnen Gesellschafter fordert. Dann erfordert dieselbe Kohärenz aber auch, dass eine Gesellschaft, die sich an einer Gesellschaft beteiligt, den für Gesellschaften vorgesehenen Bindungen unterliegt. Ob natürliche Person als Gesellschafter oder Gesellschaft als Gesellschafter: Wenn eine originäre Bindung des Gesellschafters an eine berufsrechtliche Regulierung vorgeschrieben wird, ist dies Ausdruck der inneren Logik und der Kohärenz des Systems. Ein anderes Vorgehen ist dem nationalen Gesetzgeber dann verschlossen. Weder kann er anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften als tätige Anbieter anwaltlicher Leistungen noch als Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften privilegieren, ohne sein System dem Vorwurf einer Ungleichbehandlung, der fehlenden Kohärenz und nicht zuletzt der Verletzung der Wettbewerbsgleichheit auszusetzen. Der nationale Gesetzgeber handelt mithin innerhalb des ihm eingeräumten Rahmens, wenn er an diesem System festhält. Nach alledem ist festzustellen, dass das in dem Ausgangsverfahren in Frage gestellte Regelungsgefüge des DAHNS/FLEGLER/NITSCHKE, FREMDBESITZVERBOT AUF DEM PRÜFSTAND AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 211

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