BRAK-Mitteilungen 2/2023

Beispielsweise werden Mindeststandards für die Zulassung zum Beruf, zur öffentlichen Meinungsäußerung und zu Disziplinarmaßnahmen sowie das Verbot der Gleichsetzung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mit ihrer Mandantschaft normiert. Grundlegende Berufsrechte, wie etwa der Zugang zu und die umfassende Beratung von Mandanten, Informations-, Teilnahme- und Stellungnahmerechte und insb. auch der Schutz des Berufsgeheimnisses bzw. der Vertraulichkeit werden formuliert. Zur effektiven Umsetzung der Maßgaben durch die Vertragsstaaten gibt es zudem erste Vorschläge für einen Vollzugsmechanismus. Das Vorhaben ist jedoch ein schwieriges Unterfangen und führt regelmäßig zu intensiven Diskussionen auf allen relevanten Ebenen. Zahlreiche Fragen, wie beispielsweise das Verhältnis des Instruments zu bestehenden und künftigen Instrumenten sowie zur EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, sind zu beachten. Besonders kontrovers diskutiert werden Fragen, denen ein Zielkonflikt zwischen Anspruch und politischer Umsetzbarkeit zugrunde liegt. Einerseits sollte nach ganz überwiegender Meinung der Anwaltsorganisationen ein Instrument geschaffen werden, das einen Mehrwert zur jetzigen Situation bietet und besonders im Krisenfall grundlegende Rechte und Garantien durch Normierung eines klaren Schutzbereichs wirksam absichert. Andererseits muss für eine bindende Ausgestaltung des Instruments wie erwähnt mit allen Staaten des Europarats Konsens gefunden werden. Dabei ist durchaus nicht nur Widerstand von Staaten zu erwarten, in denen der Rechtsstaat sich bereits in Schieflage befindet. Vor dem Hintergrund der Heterogenität der jeweiligen nationalen Rechts- und Justizsysteme haben auch gefestigte Demokratien in der Regel kein Interesse daran zur Umsetzung des neuen Rechtsinstruments z.B. ihr Verfahrensrecht und anwaltliches Berufsrecht samt Organisation von Anwaltsorganisationen grundlegend reformieren zu müssen. Insofern ist den Diskussionen die Gefahr inhärent, dass man sich auf unbestimmte und interpretationsoffene Formulierungen im Sinne eines kleinesten gemeinsamen Nenners einigt, die dem genannten Schutzzweck des Instruments kaum noch gerecht werden. Deutlich wird dieses Spannungsverhältnis beispielsweise bei den erforderlichen konkreten Definitionen der Termini „Lawyer“ (Rechtsanwalt), „Professional Association“ (Rechtsanwaltsorganisation) oder „Confidentiality/ Professional Secrecy/Legal Professional Privilege (sinngemäß etwa Berufsgeheimnis/Vertraulichkeit). Hier spielen das jeweilige nationale Vorverständnis und auch die verwendete Sprache regelmäßig eine wesentliche Rolle bei der Interpretation. In der Folge besteht bereits unter den im CCBE vertretenen europäischen Anwaltschaften ein sehr hoher Diskussionsbedarf, die Kompromissfindung gerade in Detailfragen erweist sich oft als herausfordernd. V. BEWERTUNG UND AUSBLICK Je nach Ausgestaltung hat das neue Instrument das Potenzial, die Rechtsstellung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Anwaltsorganisationen und der Mandantschaft in den Staaten des Europarats und ggf. auch darüber hinaus effektiv abzusichern. Gegenüber den bestehenden Instrumenten könnte das neue Rechtsinstrument wesentliche Vorteile entfalten. So könnten Schutzstandards gebündelt und kohärent, möglichst umfassend und detailliert und insb. rechtsverbindlich festgelegt sowie praktisch handhabbar werden. Insofern würden die Standards der bald 23 Jahre alten Empfehlung des Ministerkomitees im Lichte der in der Zwischenzeit entstandenen Rechtstexte, einschließlich der Entwicklungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, aktualisiert und neu gefasst werden. Zugleich wäre die Umwandlung bestehender nicht verbindlicher Normen in ein verbindliches Instrument ein wichtiges politisches Signal für die Anerkennung der Bedeutung der Anwaltschaft für den demokratischen Rechtsstaat. Es würde die Notwendigkeit unterstreichen, dass die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen ergreifen, um ihre Sicherheit und Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auch gilt es zu beachten, dass das Rechtsinstrument eine Vorbildwirkung für andere, künftige Instrumente entfalten könnte. So könnte z.B. neben dem Instrument des Europarats ein vergleichbares, potenziell verbindliches Rechtsinstrument auf EU-Ebene geschaffen werden. Dies wurde im Frühjahr 2022 erstmals im Rat der EU diskutiert. Dabei wurde jedoch entschieden, dass vor weiteren Beratungen zunächst der Abschluss der Arbeiten im Europarat abgewartet werden soll. Ein Mehrwert gegenüber den bestehenden Instrumenten wird freilich nur geschaffen werden, wenn nicht nur unbestimmte Kompromissformeln, unter denen sich der kleinste gemeinsame Nenner der jeweiligen nationalen Regelungen subsumieren lässt, sondern ein hinreichend ambitionierter und klarer Schutzbereich festgelegt wird.18 18 Eingehend dazu BRAK-Stn.-Nr. 45/2022 zum Draft Text for a Future Legal Instrument on the Protection of the Profession of Lawyer (working version 2, CJAV(2022)5). Schutzrechte wie der Schutz des Berufsgeheimnisses oder das Verbot der Gleichsetzung von Rechtsanwälten mit ihren Mandanten sollten präzise, detailreich und weitestmöglich ausgestaltet werden und zum Beispiel auch schon im Anbahnungsverhältnis, vor einer Mandatserteilung, greifen. Bei alledem sollte der Schutz hinreichend unabhängiger Anwaltsorganisationen für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft nicht vergessen werden. Wünschenswert wäre es überdies, wenn das Rechtsinstrument nicht nur Verpflichtungen der nationalen Gesetzgeber zum Erlass bestimmter Regelungen enthielte, sondern unmittelbare Rechte für Rechtsanwältinnen AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2023 73

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