BRAK-Mitteilungen 6/2022

überhaupt ein unternehmerisches Risiko verlangt wird, wäre ein solches Risiko auch in diesem Fall zwar nur dann ein Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (BSG 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, BSGE 120, 99-113). Genau dies war hier aber in geradezu klassischer Weise der Fall: Der Beigeladenen stand es frei, so viele Mandate zu bearbeiten wie sie wollte. Die mit dem Kl. vereinbarte Vergütungsregelung war sogar darauf angelegt, die Beigeladene zur Erreichung eines möglichst großen Umsatzes anzuhalten. Je höher der Umsatz der Beigeladenen war, desto höher war auch der dem Kl. zustehende Betrag. Dass die Beigeladene aus eigenem Entschluss auf eine Mandantenakquise verzichtete, kann nicht dem Kl. angelastet werden. Die Beigeladene stellte zudem die von ihren Mandanten geschuldete Vergütung diesen selbst in Rechnung, konnte als zumindest in gewissen Umfang darüber befinden, ob sie alle erbrachten Leistungen von den Mandanten tatsächlich einforderte. Soweit der Kl. die Abrechnungspraxis der Beigeladenen kritisiert haben sollte, vermag dies eine prägende Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Kl. nicht zu begründen. Mit kritischen Anmerkungen durch Kollegen müssen auch Partner einer Kanzlei rechnen, wenn sie keine oder zu geringe Vorschusszahlungen verlangen oder angefallene Honorare nicht abrechnen. [58] Die Auffassung der Beigeladenen, der Kl. habe durch seine Gestaltung des Kanzleibriefkopfes, in welchem die Namensnennung sämtlicher Anwälte ohne Einschränkungen erfolgt sei sowie durch das Kanzleischild, auf welchem ebenfalls sämtliche Anwälte aufgeführt gewesen seien, für Außenstehende bzw. Mandanten den Eindruck einer umfassenden Sozietät erweckt, trifft zu. Die Beigeladene hat ihre Tätigkeit im Rechtsverkehr (Außenverhältnis) als gleichberechtigtes Mitglied (Sozia) der Anwaltssozietät des Kl. wahrgenommen. Bei der Erteilung eines Anwaltsmandats handelt es sich in der Regel um ein sog. unternehmensbezogenes Geschäft. Demnach kommt zwar ein Anwaltsvertrag, zumal wenn er in einer Kanzlei geschlossen wurde, grundsätzlich nur mit demjenigen Berufsträger zustande, der die Stellung des Kanzleiinhabers nach außen hin einnimmt (OLG Bamberg, Hinweisbeschl. v. 13.2.2012, 4 U 205/11, BeckRS 2013, 5452). Der Mandatsvertrag kommt jedoch nach Rechtsscheingrundsätzen mit allen Sozien und Scheinsozien zustande. Selbst der angestellte Anwalt, der nach außen wie ein Sozius agiert, gilt haftungsrechtlich als Sozius (BGH v. 21.7. 2011, IV ZR 43/10, AnwBl. 2011, 783). Diese Gestaltung des Kanzleibriefkopfes ist aber kein Kanzleibriefkopf kein Indiz Indiz für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung mit dem Kl. (Innenverhältnis). Ohne Erteilung einer Vollmacht, wäre die Bearbeitung eines von der Beigeladenen übernommenen Mandats durch den Kl. nicht möglich gewesen. Eine Haftung nach Rechtsscheingrundsätzen ersetzt nicht die Erteilung einer Vollmacht durch den Mandanten. Die Beigeladene hat zu keinem Zeitpunkt darauf hingewirkt, auf dem Briefkopf als angestellte Anwältin gekennzeichnet zu werden. Daraus könnte allenfalls der Schluss gezogen werden, dass sie selbst von Anfang an – und für die gesamte Dauer ihrer Tätigkeit beim Kl. – davon ausgegangen ist, eine selbstständige Tätigkeit auszuüben. (...) ANMERKUNG: Die Ausführungen des LSG Baden-Württemberg zu den Tatbestandsmerkmalen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sind zunächst einmal in arbeitsrechtlicher Hinsicht aufschlussreich, ermöglichen sie doch eine praktikable Abgrenzung einer freien Mitarbeit in einer Kanzlei von einer (verdeckten) abhängigen Beschäftigung. Bei der Entscheidung, ob freie Mitarbeit oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, konkretisiert das Gericht die Voraussetzungen des § 7 I 2 SGB IV, d.h. das Vorliegen eines Weisungsrechts sowie die Eingliederung in einen fremden Betrieb (Rn. 49). Es führt zutreffend aus, dass die Weisungsgebundenheit bei Diensten höherer Art eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert werden kann. Große Bedeutung misst das Gericht dem Umstand zu, ob der Kanzleiinhaber ein Weisungsrecht hinsichtlich der Übernahme und der Bearbeitung von Mandaten hat (Rn. 55). Zudem nennt das Gericht den Grad des unternehmerischen Risikos als entscheidungserhebliches Kriterium (Rn. 57).1 1 Vgl. hierzu auch Kilian, BRAK-Mitt. 2015, 64 (65). So spielt im Rahmen der Betrachtung auch eine Rolle, ob ein fester Stundenlohn oder ein festes Monatsgehalt vereinbart wurde. Das Gericht führt in überzeugender Weise aus, dass dem unternehmerischen Risiko gegenüberstehende größere Freiheiten beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft sowie bessere Verdienstmöglichkeiten ebenfalls für eine Selbstständigkeit sprechen. Dies drücke sich vorliegend in eigenen Entscheidungsbefugnissen hinsichtlich der von der Rechtsanwältin bearbeiteten Mandate sowie der Honorarforderungen gegenüber Mandanten aus. Das Gericht führt überdies aus, dass die vom Kläger gegenüber der Beklagten ausgesprochene Bitte, Abwesenheitszeiten in einen Kalender einzutragen, keine verbindliche Regelung über eine konkrete Arbeitszeit sei (Rn. 52). Interessant sind auch die Ausführungen des Gerichts zur unentgeltlichen Nutzung der personellen und sächlichen Ressourcen der Kanzlei. Zwar hatten die Rechtsanwältin und die Kanzlei vorliegend keine separate Vereinbarung zur Nutzung der Kanzleiressourcen geschlossen. Die pauschale Abtretung von 60 % der Honorareinnahmen der freien Mitarbeiterin an den Kanzleiinhaber beinhaltet aber nach zutreffender Auffassung des Gerichts den finanziellen Beitrag zur Mitbenutzung der Kanzleiressourcen, so dass das Fehlen einer eigenständigen Vereinbarung hierzu einer Selbstständigkeit nicht entgegensteht (Rn. 56). OhneELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 351

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