BRAK-Mitteilungen 6/2022

[9] Gegen diesen Bescheid legte der Kl., vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 5.10.2017 Widerspruch ein. (...) [11] Die Widerspruchsstelle der Bekl. wies den Widerspruch des Kl. mit Widerspruchsbescheid v. 16.3.2018 als unbegründet zurück. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung überwögen die Kriterien, die für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprächen. Dabei seien besonders die Umstände der festen Vergütung, des fehlenden unternehmerischen Risikos und der Eingliederung in den Betrieb der Kanzlei mit Weisungsabhängigkeit entscheidend. Die Verantwortung für das Qualitätsmanagement liege beim Kl. als Auftraggeber. Die zugesicherten Abläufe gegenüber den Mandanten könnten nur erfüllt werden, wenn der Kl. diese Arbeitsabläufe durch eine einheitliche Büroinfrastruktur und Bürohandlungsanweisungen verantwortlich steuere und die Umsetzung beaufsichtige, was denknotwendig Weisungen gegenüber der Auftragnehmerin voraussetze. Die Beigeladene habe auch inhaltlichen und fachlichen Weisungen unterlegen, wie sie allenfalls bei einer angestellten Assessorin und Rechtsanwältin denkbar seien. Ein nennenswerter Kapitaleinsatz der Beigeladenen, der auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werde, habe nicht vorgelegen. Räume, Arbeitsmittel und Personal hätte der Beigeladenen unentgeltlich zur Verfügung gestanden. Die Beigeladene habe folglich kein nennenswertes unternehmerisches Risiko getragen. [12] Am 19.3.2018 hat der Kl. Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er und die Beigeladene haben ihr Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Die Bekl. hat auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid verwiesen. [13] Das SG hat den Sachverhalt mit dem Kl. und der Beigeladenen am 19.5.2020 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. Die Beigeladene hat u.a. angegeben, sie habe im Prinzip durchgängig von 8:30 Uhr und 9:00 Uhr bis ungefähr 16:45 Uhr in der Kanzlei des Kl. gearbeitet. Insoweit sei sie von einer Vollzeitstelle ausgegangen. Eine Absprache bezüglich der zeitlichen Regelung habe es insoweit nicht gegeben. Habe sie einmal die Kanzlei früher als die genannten Zeiten verlassen müssen oder habe sie dies auch aus sonstigen Gründen getan, so habe sie diese frühere Abwesenheit in einen entsprechenden Kalender selbst eingetragen oder durch das Sekretariat eintragen lassen, da sie ansonsten immer habe erreichbar sein wollen. Auf den Hinweis des Kl., die Beigeladene habe selbstständig darüber entscheiden können, wann sie komme und wann sie gehe, hat die Beigeladene erwidert, dass zwar im Aufnahmegespräch über keine konkrete Arbeitszeit gesprochen worden sei, jedoch habe die Kanzlei des Kl. über feste Bürozeiten verfügt, in denen eine Erreichbarkeit habe gewährleistet werden sollen. Man habe ihr gesagt, dass sie, sollte sie nicht im Büro anwesend sein, sich entsprechend in einen Kalender einzutragen habe. [14] Mit Urteil v. 27.7.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. (...) [25] Am 8.8.2020 hat der Kl. gegen das Urteil des SG Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und diese mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten v. 6.1.2021 ausführlich begründet. Er verfolge in der zweiten Instanz weiter das Klageziel, welches er in der ersten Instanz verfolgt habe. Das die Klage abweisende Urteil des SG sei unrichtig. Tatsächlich sei die Beigeladene als selbstständige Rechtsanwältin tätig gewesen. (...) [35/36] Der Kl. beantragt, das Urteil des SG Konstanz v. 27.7.2020 sowie den Bescheid der Bekl. v. 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 16.3. 2018 aufzuheben und festzustellen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen als Rechtsanwältin in der Kanzlei des Kl. in der Zeit v. 1.1.2010 bis 31.3.2016 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. [37/38] Die Bekl. beantragt die Berufung des Kl. gegen das Urteil des SG Konstanz v. 27.7.2020 zurückzuweisen. [39/40] Die Bekl. hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Beigeladene stellt keinen Antrag. [41] Vor dem 10. Senat, bei dem das Berufungsverfahren zunächst anhängig war, ist am 19.7.2021 ein Erörterungstermin durchgeführt worden. (...) [42] Durch Beschluss des Präsidiums des LSG BadenWürttemberg ist das Verfahren zum 1.1.2022 an den 11. Senat abgegeben worden. [43] Mit Verfügung v. 11.3.2022 hat der Senatsvorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, von welchen Sachverhalt der Senat derzeit ausgeht. Hierzu hat sich zunächst der Kl. mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten v. 11.3.2022 geäußert; hierauf wird verwiesen. Mit Schreiben v. 28.7.2022 (Bl. 181/184 der Senatsakte) hat auch die Beigeladene zu der Verfügung des Gerichts Stellung genommen und erläutert, welche Vorgaben ihr gemacht worden seien. Der Kl. habe ihr gegenüber klar und deutlich kommuniziert, dass während der Bürostunden stets ihre Erreichbarkeit für die Mandanten gewährleistet sein müsse und daher ihre Anwesenheit zu den üblichen Bürozeiten erwartet werde. Sie habe ihre Anwesenheit zu den üblichen Bürozeiten als verbindliche Anweisung und ausdrückliche Anordnung verstanden und dementsprechend neben allen beruflichen Terminen auch alle notwendigen privaten Abwesenheiten wegen Arztterminen etc. dem Vorzimmer mitgeteilt und in den Bürokalender eintragen lassen. Der Kl. habe ihr zu keinem Zeitpunkt mehr als einen Anteil von 40 % ausbezahlt. Es habe keinerlei schriftliche Abmachungen gegeben. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte des Kl. mit Schriftsatz v. 1.8. 2022 erwidert (Bl. 185 f. der Senatsakte). Er hat u.a. daran festgehalten, dass die Beigeladene ab einem Nettoumsatz von monatlich mehr als 6.000 Euro einen Anspruch auf 50 % gehabt habe. (...) ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 347

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