BRAK-Mitteilungen 6/2022

ANWALT MUSS TERMINSVERZÖGERUNGEN EINKALKULIEREN 1. Bei seiner Zeitplanung für einen anberaumten Gerichtstermin muss der zu einer bestimmten Uhrzeit geladene Rechtsanwalt nicht nur damit rechnen, einige Zeit auf den Beginn der Verhandlung warten zu müssen, sondern auch einkalkulieren, dass auch der Termin selbst eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Ist seine Zeitplanung zu knapp und verlässt er deshalb den Terminsort vor Aufruf der Sache, ist sein Ausbleiben in dem Termin nicht unverschuldet. 2. Wenn sich der Aufruf der Sache wegen der Verhandlungsdauer vorangehender Termine verzögert, der Rechtsanwalt deswegen den Terminsort verlässt und einen Terminverlegungsantrag stellt, weil er nicht länger warten könne, müssen die Gründe dafür so genau vorgetragen werden, dass dem Gericht eine Prüfung ihrer Erheblichkeit ohne weitere Rückfrage möglich ist. 3. Für den Rechtsanwalt, dem nach § 128a ZPO gestattet ist, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen, gelten insoweit keine anderen Maßstäbe. OLG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2022 – 7 W 57/22, NJW-RR 2022, 1073 Das LG Hamburg hatte einen Verhandlungstermin auf 12:30 Uhr anberaumt. Einem der Prozessbevollmächtigten war nach § 128a ZPO gestattet worden, an dem Termin in seiner Kanzlei in Berlin per Videokonferenz teilzunehmen. Weil der vorausgehende Termin des Gerichts länger dauerte, informierte es den Anwalt telefonisch um 12.30 Uhr, dass der Terminsbeginn in seiner Sache sich verzögern werde. Gegen 13:00 Uhr teilte der Anwalt dem Gericht per E-Mail und per beA mit, dass er von einer Aufhebung des 12:30 Uhr-Termins ausgehe und dass er ab 14:00 Uhr einen anderen, „unaufschiebbaren Termin“ habe, und regte eine Verlegung auf einen anderen Tag an. Das LG rief die Sache um 13:25 Uhr auf. Die Gegenseite beantragte den Erlass eines Versäumnisurteils. Das Gericht kam dem Antrag nicht nach, sondern vertagte den Termin. Dagegen legte die Gegenseite sofortige Beschwerde ein. Das OLG entschied, dass das LG dem Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zu Unrecht nicht entsprochen habe. Der Anwalt habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seinem Verlegungsantrag entsprochen werde. Die Begründung des Antrags habe den Anforderungen des § 227 ZPO nicht genügt. Art und Ort des weiteren Termins waren nicht vorgetragen. Zudem müsse ein Anwalt bei seiner Zeitplanung sowohl eine Verzögerung des Aufrufs seiner Sache um bis zu eine Stunde4 4 BVerwG, NJW 1999, 2131. als auch eine längere Dauer seines Verhandlungstermins (Erörterung schwieriger Rechts- oder Sachverhaltsfragen, Beweisaufnahme mittels präsenter Beweismittel) einkalkulieren. Tue er dies nicht, sei seine Verhinderung an der Terminswahrnehmung nicht unverschuldet. Dies gelte gleichermaßen für Präsenztermine als auch für Termine per Videokonferenz nach § 128a ZPO. Das OLG gab dem LG gem. § 336 I 2 ZPO auf, einen neuen Termin anzuberaumen und hierzu den säumigen Anwalt nicht zu laden. Der Erlass eines Versäumnisurteils durch das Beschwerdegericht ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Gegenseite kann in dem neuen Termin erneut den Erlass eines Versäumnisurteils beantragen. Wenn aber der nicht geladene Anwalt gleichwohl zum Termin erscheint (nun aber nicht nach § 128a ZPO) und zur Sache verhandelt, muss das LG ein Urteil aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung erlassen.5 5 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 703. Insofern könnte die Sache für den Anwalt noch folgenlos ausgehen. (hg) BERATUNGSPFLICHT BEI RECHTSSCHUTZVERSICHERTEM MANDANTEN UND BEWEISLAST Bei ex ante objektiv aussichtslosen Rechtsmitteln muss der Rechtsanwalt auch rechtsschutzversicherten Mandanten von deren Einlegung abraten. In diesem Fall spricht zugunsten des Rechtsschutzversicherers ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Mandant bei pflichtgemäßer Aufklärung durch den Anwalt von der Einlegung der Rechtsmittel abgesehen hätte. Diesen Anscheinsbeweis zu entkräften, obliegt dem Anwalt. OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.9.2022 – 17 U 22/21, NJOZ 2022, 1333 Eine Rechtsschutzversicherung macht Regressansprüche gegen den Anwalt ihres Versicherungsnehmers aus übergegangenem Recht nach § 86 I VVG geltend, weil dieser dem Mandanten die Einlegung aussichtsloser Rechtsmittel empfohlen habe. Das LG wies die Regressklage ab, das OLG gab ihr statt. Der Anwalt habe seine Beratungspflicht gegenüber dem rechtsschutzversicherten Mandanten verletzt, indem er ihm zur Einlegung objektiv aussichtsloser Rechtsmittel (Berufung, Nichtzulassungsbeschwerde) geraten habe. Das OLG wendet das Grundsatzurteil des BGH v. 16.9. 20216 6 BGH, MDR 2021, 1357; Bespr. v. Grams, BRAK-Mitt. 2021, 370. an. Auch im rechtsschutzversicherten Mandat ist der Anwalt danach verpflichtet, den Mandanten über die Erfolgsaussichten bzw. Risiken einer beabsichtigten Rechtsverfolgung zu belehren. Ist eine Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos, muss der Anwalt dem Mandanten abraten. Zwar ist ein rechtsschutzversicherter Mandant eher bereit, sich auf einen Rechtsstreit mit ungewissem oder zweifelhaftem Ausgang einzulassen, weil sein Kostenrisiko durch die Versicherung reduziert ist. Eine aussichtslose Rechtsverfolgung liege aber nicht im Interesse des Mandanten, der hierdurch seinen Rechtsschutzversicherungsvertrag belastet. JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 311

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