BRAK-Mitteilungen 5/2022

macht und er dafür einen individualisierten Vertragstext für eigene Zwecke erhält.95 95 Zweifelnd insoweit auch Thole, Anm. zu BGH, NJW 2021, 3125 (3129); wie hier auch Singer, RDi 2022, 53, 55 Rn. 10; Seichter, JM 2022, 51, 53; zuvor schon zu Recht krit. Wolf/Künnen, BRAK-Mitt. 2019, 274 (276); Krenzler, BRAK-Mitt. 2020, 199 (122); Brechmann, Legal Tech und Anwaltsmonopol, Tübingen 2021, S. 60f. Würden die Fragen von einem Rechtsanwalt per Chat oder E-Mail automatisiert gestellt, vom Nutzer beantwortet und auf der Basis vorprogrammierter Textbausteine vom Rechtsanwalt ein Vertragsdokument überlassen, würde vermutlich niemand daran zweifeln, dass der Rechtsanwalt in einer konkreten Angelegenheit der Nutzer tätig wird. Wieso dies bei einem nichtanwaltlichen Anbieter bei identischer Leistung anders zu beurteilen ist, erschließt sich nicht. 3. FOLGEN FÜR AUTOMATISIERT ERSTELLTE RECHTSTEXTE Die Entscheidung gilt nicht nur für Vertragsgeneratoren, sondern für alle vergleichbaren Rechtstexte, die aus vorgefertigten Textbausteinen on demand zusammengestellt werden können wie z.B. AGB- und Datenschutzgeneratoren, einseitige Schreiben wie Kündigungsformulare oder DSGVO-Auskunfts- und Löschungsverlangen, aber auch Schriftsatzentwürfe wie online bereitgestellte Klagemuster. Auch bei Letzterem handelt es sich um eineaußergerichtlicheTätigkeit.96 96 Bestätigt zuletzt BGH, Urt. v. 13.6.2022 – VIa ZR 418/21 Rn. 12, BRAK-Mitt. 2022, 277 Ls.; Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass das BGHUrteil keinen Freibrief für darüber hinausgehende Angebote darstellt. So besteht weitgehend Einigkeit, dass die Rechtsprechung nicht für künftige technische Entwicklungen, insb. unter Einsatz von „künstlicher Intelligenz“ (KI), gilt.97 97 Thole, Anm. zu BGH, NJW 2021, 3125 (3129); Hartung, LTZ 2022, 67 (68); Uwer, LRZ 2022, Rn. 53 (68); Leeb, RDi 2021, 619 (620); Ring, LRZ 2021, Rn. 295 (334); Höfling, BB 2021, 2900; Solmecke, Cologne Technology Review & Law (CTRL) 2022, 128, 130; bei KI ausdrücklich offenlassend auch OLG Köln, BRAK-Mitt. 2020, 222 = NJW 2020, 2734, 2739 Rn. 31. Die BGH-Entscheidung ist auch nicht ohne weiteres auf Fälle anwendbar, wenn die Bereitstellung von Rechtstextgeneratoren mit weiteren Funktionen kombiniert wird, etwa mit einer im Vorfeld oder durch Rückfragen ermöglichte und über allgemeine rechtliche Hinweise hinausgehende rechtliche Einzelfallberatung.98 98 Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Nutzer auch keine dahingehende Erwartungshaltung, BGH, NJW 2021, 3125 (3128) Rn. 39 – Vertragsdokumentengenerator. Dasselbe gilt bei der Berücksichtigung von über den Standardfall hinausgehende Einzelfallumstände des Nutzers im Rechtsdokument oder wenn im Anschluss an den Download zusätzlich angeboten wird, das Dokument an den Gegner, an das Gericht oder eine Behörde zu versenden.99 99 Thole, Anm. BGH, NJW 2021, 3125, 3129. Insoweit bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung diese Geschäftsmodelle nach dem RDG bewertet. 4. ZUR ERFORDERLICHKEIT EINER RECHTLICHEN PRÜFUNG Da eine Rechtsdienstleistung in der BGH-Entscheidung bereits daran scheiterte, dass keine konkrete Angelegenheit vorlag, konnte die mit Spannung erwartete Frage, ob für die Zusammenstellung der Verträge objektiv betrachtet eine rechtliche Prüfung erforderlich ist, vom BGH offenbleiben. Der Nutzer erwarte in dem konkreten Fall jedenfalls keine rechtliche Prüfung. Er gehe vielmehr davon aus, dass anhand seiner Angaben ein standardisiertes Vertragsformular erzeugt wird, ohne dass sein konkreter Fall geprüft und einer auf seine individuellen Verhältnisse zugeschnittenen rechtlichen Lösung zugeführt werde.100 100 BGH, NJW 2021, 3125, 3129 Rn. 40; Das Erfordernis einer rechtlichen Prüfung verneinend Kraetzig/Krawietz, RDi 2022, 145, 149 f. Es kam deshalb auch nicht auf die Frage an, ob hinsichtlich der Komplexität der Vertragsdokumente und/oder der jeweiligen Zielgruppe (Verbraucher, Rechtsanwälte oder Unternehmer) differenziert werden muss.101 101 So ist es ein Unterschied, ob ein einfacher Mietvertrag oder ein komplexer IP-Lizenzvertrag bereitgestellt wird. Eine höchstrichterliche Klärung zur Abgrenzung von schematischer Rechtsanwendung und erforderlicher Rechtsprüfung bei automatisierten Rechtsprodukten102 102 S. dazu allg. Remmertz, in Hamm, Beck’sches RA-Hdb., 12. Aufl. 2022, § 64 Rn. 51 ff. steht damit noch aus. V. AUSBLICK In der Rechtsprechung stehen höchstrichterliche Entscheidungen zur Zulässigkeit von Inkasso-Geschäftsmodellen in komplexen Rechtsgebieten wie dem Kartellrecht und zu einzelnen Fallgestaltungen nach § 4 RDG noch aus. Gerade das Kartellrecht ist für Interessenkollisionen besonders anfällig, wenn die Zedenten auf verschiedenen Marktstufen tätig sind, wie die Urteile des LG Stuttgart zuletzt gezeigt haben. Mit Spannung zu erwarten sind auch erste Entscheidungen zur neuen Systematik nach den §§ 2, 5 RDG, insb. zu der Frage, welche Nebenleistungen zum Inkasso nach § 5 RDG erlaubt sind sowie zur Frage unzulässiger Einflussnahmen von Prozessfinanzierern, die über den Umfang nach § 4 S. 2 RDG hinausgehen. Insoweit bleibt abzuwarten, welche Grenzen der BGH für das Legal Tech-Inkasso setzen wird. 1. PROBLEM DER KOHÄRENZ Mit der Ausweitung der Inkassobefugnis durch die Rechtsprechung wächst der Druck auf den Gesetzgeber, für eine kohärente berufsrechtliche Regelung der Anwaltschaft einerseits und der Inkassodienstleister andererseits zu sorgen. Diese Problematik zeigt, dass der Reformprozess mit dem Legal Tech-Gesetz und mit dem geplanten Gesetz zur Stärkung der Aufsicht noch nicht abgeschlossen ist. Ob es zu weiteren Liberalisierungen für Legal Tech-Unternehmen kommt, bleibt abzuwarten. Im Koalitionsvertrag 2021 ist zwar vorgesehen, den Rechtsrahmen für Legal Tech-Unternehmen zu erweitern.103 103 Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“, 2021, 113. Das kann aber auch eine stärkere Regulierung bedeuten. Nach einer aktuellen Umfrage des Soldan Instituts befürwortet die Mehrheit der befragten Anwaltschaft eine stärkere Regulierung der nichtanwaltlichen REMMERTZ, AKTUELLE ENTWICKLUNGEN IM RDG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2022 AUFSÄTZE 254

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