BRAK-Mitteilungen 4/2022

Zum 1.1.202239 39 Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 5.10.2021. hat der Gesetzgeber die Vorgaben an elektronische Dokumente nach § 130a ZPO entschärft. Die bis dahin geltenden zwingenden formalen Vorschriften (ausdruckbar, kopierbar, durchsuchbar, Einbettung aller Schriftarten) hat der Gesetzgeber dahingehend ersetzt, dass die Dokumente nunmehr lediglich vom Gericht bearbeitbar sein müssen.40 40 Hierzu Müller, NJW 2021, 3281, 3285. Damit hat sich ein Fallstrick der elektronischen Kommunikation nunmehr erledigt.41 41 Zur Frage der Formwirksamkeit von unter Verstoß gegen § 2 I ERVV a.F. eingereichter Schriftsätze BAG, Beschl. v. 12.3.2020 – 6 AZM 1/20, NZA 2020, 607 (unwirksam); OLG Koblenz, Beschl. v. 9.11.2020 – 3 U 844/20, MMR 2021, 250 Rn. 24 f. (wirksam); BAG, Beschl. v. 25.4.2022 – 3 AZB 2/22, NZA 2022, 803 Rn. 13 (offenlassend). § 173 ZPO n.F. regelt seit 1.1.202242 42 Gesetz v. 5.10.2021 (Fn. 39). die „Zustellung von elektronischen Dokumenten“. Die Zustellung erfolgt bei von Berufs wegen zuverlässigen Personen (§ 173 II und III ZPO) per elektronischem Empfangsbekenntnis. Bei anderen Personen ist eine elektronische Zustellung von elektronischen Dokumenten nur mit deren Einverständnis möglich. Ebenfalls zum 1.1.2022 mit § 130a IV Nr. 4 ZPO, § 55a IV Nr. 4 VwGO, § 46c IV Nr. 4 ArbGG, § 65a IV Nr. 4 SGG, § 52a IV Nr. 4 FGO, § 32a IV Nr. 4 StPO, jeweils i.V.m. §§ 10 ff. ERVV die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung und Nutzung der besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfächer (eBO) geschaffen.43 43 Gesetz v. 5.10.2021 (Fn. 39). Zum 1.8.2022 wird das besondere elektronische Anwaltspostfach für Berufsausübungsgesellschaften eingeführt, § 31b BRAO.44 44 Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 7.7.2021. 2. RESTRUKTURIERUNGSGERICHTSSTAND Das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) führte zur Schaffung eines neuen Gerichtsstandes mit Wirkung zum 1.1.2021. Die sachliche (ausschließliche) Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus § 71 II Nr. 6 GVG. Die örtliche (ausschließliche) Zuständigkeit bestimmt sich nach dem Sitz des für die Restrukturierungssache zuständigen Restrukturierungsgerichts. Dessen örtliche Zuständigkeit folgt grundsätzlich dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, § 35 S. 1 StRuG. Die Bundesländer können durch Verordnung die örtliche Zuständigkeit für die unter § 19b ZPO fallenden Rechtsstreitigkeiten gerichtsbezirksübergreifend auf einzelne Landgerichte konzentrieren. Bislang hat davon kein Bundesland Gebrauch gemacht. 3. INTERNATIONALES a) ZUSTELLUNG IM PARTEIBETRIEB Gemäß § 1080 I 2 ZPO a.F. war die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 9 EuVTVO dem Schuldner von Amts wegen zuzustellen. Seit dem 1.8.2021 ist es nicht mehr zwingend. Nach § 1080 I 3 ZPO kann eine Zustellung auch im Parteibetrieb vorgenommen werden, wenn die antragstellende Person die Übermittlung an sich zur Zustellung im Parteibetrieb beantragt. Das gleiche gilt für Bescheinigungen über die Vollstreckbarkeit nach Art. 53, 60 EuGVVO, § 1111 ZPO. b) NEUE ZUSTELLUNGS- UND BEWEISVERORDNUNGEN Der europäische Gesetzgeber hat das europäische Zustellungs- und Beweisrecht reformiert und die EuBVO und EuZVO mit Wirkung zum 1.7.2022 modernisiert. Nach Art. 7 EuZVO n.F. haben sich die Mitgliedstaaten gegenseitig Hilfe bei der Ermittlung von Anschriften zu leisten. Das ist eine Reaktion auf die bislang unbefriedigende Rechtslage, wonach Titel gegen Beklagte mit unbekanntem Wohnsitz nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden können.45 45 EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – C-325/11, EuZW 2013, 187; EuGH, Urt. v. 15.3.2012 – C-292/10, EuZW 2012, 381. Ferner eröffnet Art. 19 EuZVO n.F. nun die Möglichkeit einer elektronischen Zustellung unmittelbar durch elektronische Mittel, vorausgesetzt, dass sie der lex fori für die inländische Zustellung von Schriftstücken bekannt sind. Im Rahmen der Amtshilfe im Beweisrecht nach der EuBVO darf das ersuchte Gericht das Ersuchen nicht mehr mit dem Argument zurückweisen, das Schriftstück sei elektronisch übermittelt worden, Art. 8 EuBVO n.F. Nach Art. 17 EuBVO a.F. war es dem ersuchenden Gericht gestattet, die Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat selbst vorzunehmen, es sei denn, dass die Beweisgewinnung auf unfreiwilliger Grundlage oder unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen erfolgen müsste. Diese Regel bleibt in Art. 19 EuBVO erhalten, neu ist allerdings die dabei vorgesehene Zustimmungsfiktion. Antwortet die Zentralbehörde des ersuchten Mitgliedstaates innerhalb von 15 Tagen auf die Bitte nicht, wird von einer Zustimmung ausgegangen, Art. 19 V 2 EuBVO n.F. c) FAMILIENRECHT Für ab dem 1.8.2022 eingeleitete gerichtliche Verfahren, förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden und eingetragene Vereinbarungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführung ersetzt die neue EuEheVO („Brüssel IIb“) die bisherige Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 („Brüssel IIa“). Damit entfällt nun auch in diesen Angelegenheiten das Exequaturverfahren.46 46 Hasselblatt/Sternal/Ultsch, Beck’sches Formularbuch Zwangsvollstreckung, 4. Aufl. 2021, R.I Anm. 2 und R.XI.1 Anm. 2. BRAK-MITTEILUNGEN 4/2022 AUFSÄTZE 198

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