BRAK-Mitteilungen 6/2021

aa) Nach dem Wortlaut von § 112f I BRAO ist Rechtsfolge eines Wahlfehlers nicht, dass die Wahl für ungültig erklärt werden muss, sondern für ungültig erklärt werden kann. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, BeckRS 2020, 38578 Rn. 74 m.w.N.) wird die Ungültigerklärung einer Wahl damit jedoch nicht in das Belieben des Gerichts gestellt. Ein solches Verständnis wäre mit dem Zweck der Wahlanfechtung, die Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben für die Wahl, aber auch die diesen Vorgaben entsprechende Teilhabe der Kammermitglieder an dem Wahlvorgang sicherzustellen, unvereinbar (BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (Brfg) 80, 112/09, BeckRS 2010, 10579 Rn. 17). Vielmehr kann eine Wahl, die gegen Gesetz oder Satzung verstößt, nur bei solchen Fehlern Bestand haben, die sich auf das Wahlergebnis weder tatsächlich ausgewirkt haben noch konkret und nicht nur theoretisch haben auswirken können (BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, a.a.O. m.w.N.). Hierauf stellt auch § 20 III der Wahlordnung der Bekl. ab, der für die Ungültigerklärung einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren fordert sowie das Bestehen der Möglichkeit, dass durch den Wahlverstoß das Wahlergebnis beeinflusst worden ist. bb) Vorliegend kann ein konkreter Einfluss des AusKonkreter Einfluss auf das Wahlergebnis möglich schlusses des Kl. auf das Wahlergebnis nicht verneint werden. Denn für den fraglichen Wahlbezirk besteht unzweifelhaft die Möglichkeit, dass der Kl. gewählt worden wäre. Denn er ist bei den Mitgliedern der Bekl. durch seine Tätigkeit gut bekannt, konnte schon bei seiner Wahl zum Vorstandsmitglied im Jahr 2018 viele Stimmen auf sich vereinigen und ist mit der Unterstützung der bei der angefochtenen Wahl durchaus erfolgreichen „Seehaus-Initiative“ angetreten. Auch wenn man von einer sicheren Wiederwahl turnusgemäß ausgeschiedenen Mitglieder ausgehen würde, haben sich doch drei ausgeschiedene Mitglieder nicht wieder zur Wahl gestellt, so dass jedenfalls für diese Sitze und den im Wege der Nachwahl zu besetzenden Sitz die Besetzung völlig offen war. Jedenfalls aber ist der Senat davon überzeugt, dass der Kl. eine deutliche Anzahl von Wählerstimmen erhalten hätte mit der Folge, dass diese nicht an andere Kandidaten vergeben worden wären, wodurch sich die Zusammensetzung des neu gewählten Vorstands anders darstellen konnte als nunmehr. Denn die Wahl ist keineswegs eindeutig: Zwischen dem letzten im Wege der Neuwahl gewählten Vorstandsmitglied und dem Kandidaten mit dem besten Ergebnis, der nicht gewählt wurde (im konkreten Fall aber im Weg der Nachwahl gewählt sein soll), liegen lediglich 11 Stimmen. cc) Trotz eines ergebnisrelevanten Fehlers wäre zwar davon abzusehen, die angefochtene Wahl nach § 112f I BRAO für ungültig zu erklären, wenn dies ausnahmsweise aufgrund des wahlprüfungsrechtlichen Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs geboten erschiene. Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt regelmäßig einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Vertretung unerträglich erschiene (BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, a.a.O. Rn. 88 m.w.N.). Zudem könnte in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zur Wahlprüfung nach Art. 41 GG auch dann davon abgesehen werden, die Wahl für ungültig zu erklären, wenn das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Vorstands den festzustellenden Wahlfehler überwiegt (BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, a.a.O. m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall: Der nicht gerechtfertigte Ausschluss des Kl. von der Wählbarkeit zur Neu- und zur Nachwahl stellt einen gravierenden und auch im konkreten Fall schwerwiegenden Eingriff in elementare Grundsätze des Wahlrechts dar. Dass der Kl. – wie die Bekl. einwendet – aufgrund seiner vorzeitigen Amtsniederlegung nur eingeschränkt schutzwürdig wäre, liegt fern. Die Bekl. behauptet schon nicht, dass ihr durch das Verhalten des Kl. ein Schaden entstanden sei. Dass dem Mitglied eine vorzeitige Amtsniederlegung zum Nachteil gereichen könnte, es jedenfalls aber die durch seinen rechtsgrundlos erfolgten Ausschluss von der Wahl geschaffenen Zustände hinzunehmen hätte, ist nicht ersichtlich. Zudem ist zu bedenken, dass von dem rechtsgrundlosen Ausschluss eines Kandidaten auch das aktive Wahlrecht der Wähler betroffen ist; dass diese nur eingeschränkt schutzwürdig wären, behauptet auch die Bekl. nicht. Soweit die Bekl. damit argumentiert, dass der Kl. bei der nächsten turnusgemäßen Neuwahl antreten könne, rechtfertigt dies schon deshalb nicht, die mit erheblichen Wahlfehlern behaftete Wahl aufrechtzuerhalten, weil sich hierdurch an der auf dem Wahlfehler beruhenden Zusammensetzung der einen Hälfte des Kammervorstands nichts änderte. Aber auch sonst spricht angesichts des schweren Eingriffs in das aktive und passive Wahlrecht nichts für ein Überwiegen des Bestandsschutzes. Dass eine Neuwahl mit erheblichen Kosten verbunden sein mag, rechtfertigt nicht, die fehlerhafte Wahl aufrechtzuerhalten. Ebenso wenig hindert es die Aufhebung der Wahl auch aller Beigeladenen, dass diesen das Verhalten des Wahlausschusses nicht zugerechnet werden kann, sie also keine Verantwortlichkeit für den Wahlfehler trifft (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, a.a.O. Rn. 90). Entscheidend ist allein, dass ein erheblicher Wahlfehler mit Ergebnisrelevanz auch für ihre Wahl vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, a.a.O. Rn. 90). dd) Dass die Wahl nur für den Wahlbezirk des Landgerichtsbezirks München I aufgehoben wird, begegnet keinen Bedenken (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19, Rn. 110 ff.). BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 387

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