BRAK-Mitteilungen 6/2021

ungesetzlichen oder gar (verfassungs-)rechtswidrigen Titelverleihung in zwei von 16 Bundesländern zu halten ist. Ein Regelungsauftrag könnte sich jedoch im Hinblick auf die Satzungsermächtigung nach § 59b III BRAO ergeben. Danach kann die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten „im Zusammenhang mit der Werbung und Angaben über selbst benannte Interessenschwerpunkte“ näher regeln. Die Bundesnotarkammer sieht ihrerseits für das Berufsrecht der Notare seit Bestehen der Richtlinienempfehlungen einen entsprechenden Regelungsbedarf, neu ist lediglich die Bezeichnung des Justizratstitels als „Ehrentitel“ (dazu vorstehend). Blendet man die vorstehend erwähnten verfassungsrechtlichen Fragen aus, so wird doch offenbar, dass im Zusammenhang mit der Führung des Justizratstitels eine Irreführungsgefahr entsteht. Wenn selbst in den offiziellen Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer im Zusammenhang mit dem Justizratstitel von einem „Ehrentitel“ die Rede ist und auch ein Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer den Titel als einem „Verdienstorden“ gleichstehend bezeichnet, obgleich sich die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz nach Kräften darum bemüht, den Titel weg von einem Ehrentitel hin zu einer Berufsbezeichnung zu bringen, dann liegt es wohl auf der Hand, dass wesentliche Verkehrskreise keine zutreffende Vorstellung davon haben können, was sich eigentlich tatsächlich hinter dem Titel verbirgt. Da der Titel ohne gesetzliche Grundlage verliehen wird, gibt es für das angesprochene Publikum nicht einmal eine echte Recherchemöglichkeit, was es mit der Bezeichnung auf sich hat. Die Irreführungsgefahr lässt sich wohl auch nicht mit Singer, der sich seit Jahren als engagierter Verteidiger des Justizratstitels gibt, mit folgender Argumentation ausräumen: „Gegen eine Irreführung des Verkehrs spricht schließlich entscheidend, dass sich die Mandanten relativ leicht über die Bedeutung der Bezeichnung Justizrat informieren können. Ein „angemessen aufmerksamer und kritischer Durchschnittsverbraucher“ [...] wird bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts [...] die Informationsmöglichkeiten nutzen, die ihm zur Verfügung stehen. Häufig wird man schon auf der Webseite des betreffenden Rechtsanwalts nachlesen können, dass der Titel Justizrat für besondere Verdienste bei der Berufsausübung oder ehrenamtliches Engagement verliehen wurde.“5 5 Singer, Privilegierte Justizräte, NJW-aktuell 37/2017, 15; ähnlich bereits ders., BRAK-Mitt. 2017, 271. Kollegen aus Rheinland-Pfalz (keine Justizräte) berichten davon, im Wettbewerb einen spürbaren Wettbewerbsnachteil gegenüber benachbarten „Justizratskanzleien“ wahrzunehmen. Die Rechtsuchenden würden einerseits von einer besonderen fachlichen Qualifikation der Titelträger ausgehen, andererseits aber auch von einem besonderen Näheverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und den Gerichten. Damit verbleibt noch die Frage der Zweckmäßigkeit: Irreführende Werbung ist (ohnehin) nach § 5 UWG unzulässig. Man könnte die Beantwortung der Frage nach der Irreführung daher kurzerhand den Zivilgerichten überlassen. Allerdings wird man davon ausgehen müssen, dass die entsprechenden Fälle gar nicht dorthin gelangen. Dies wiederum hängt damit zusammen, dass insbesondere die Verbraucher, deren Schutz das UWG dient (vgl. § 1 UWG), selbst nicht klagebefugt sind. Damit verbleibt allein noch die Klagebefugnis der Mitbewerber und der qualifizierten Einrichtungen und Verbände, einschließlich der Rechtsanwaltskammern (§ 8 III UWG), auf deren Initiative hier aus naheliegenden Gründen nicht vertraut werden kann. Selbst wenn aber der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass die Frage nach der Irreführung im Zusammenhang mit dem Justizratstitel irgendwann einmal ein Wettbewerbsgericht erreichen sollte, kann man kaum unterstellen, dass dieses die Hintergründe um den Justizratstitel und dessen Verleihung ebenso gut aufarbeiten und beurteilen kann wie die Satzungsversammlung. Insofern halte ich es durchaus für geboten, dass die Satzungsversammlung die Frage der Irreführung diskutiert und einer satzungsmäßigen Regelung zuführt. Um zu vermeiden, dass hierbei die Regelungskompetenz überschritten wird – die Satzungsversammlung darf nicht die Titelverleihung als solche bewerten –, würde ich von einem ausnahmslosen Verbot der Titelführung im Rahmen der Berufsordnung allerdings abraten und eine nur klarstellende Regelung befürworten. Ein ähnlicher, im Detail aber doch unterschiedlicher, Ansatz liegt auch der Regelung des § 6 II 1 BORA zugrunde, wonach die Werbung mit Erfolgsquoten und Umsatzzahlen unzulässig ist, „wenn sie irreführend ist“. Die Satzungsversammlung hat diese – von der materiellen Regelung her eigentlich überflüssige – Regelung seinerzeit damit gerechtfertigt, dass sie es ermögliche, die irreführende Werbung mit Erfolgs- oder Umsatzzahlen auch im Wege der Berufsaufsicht der Rechtsanwaltskammern und der Anwaltsgerichtsbarkeit zu ahnden. Im Zusammenhang mit dem Justizratstitel würde ich allerdings nicht bestimmen, dass die Führung desselben unzulässig ist, wenn sie irreführend ist, sondern – umgekehrt – die Irreführungsgefahr unterstellen und die Führung nur dann für zulässig erklären, wenn durch flankierende Maßnahmen eine Irreführung ausgeschlossen werden kann. V. CONCLUSIO Nach meinem Dafürhalten hätte die Satzungsversammlung spätestens nach der Änderung der Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer auch für das anwaltliche Berufsrecht darüber befinden sollen, ob eine Regelung über die Führung des Justizratstitels erforderlich und zweckmäßig ist. Ein absolutes Verbot der Titelführung birgt jedoch die Gefahr, dass der Rahmen der Satzungskompetenz verlassen wird, weil dann unter dem Deckmantel des Berufsrechts tatsächlich eine der Satzungsversammlung nicht zustehende (landes-)verMÖLLER, (EHREN-?)TITEL „JUSTIZRAT“ AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2021 365

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