BRAK-Mitteilungen 5/2021

kehrs und der rechtsuchenden Kunden des Inkasso- dienstleisters eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 4 RDG geboten sein kann, wenn zwar deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, gleichwohl aber eine Interessenkollision besteht. Er hat dies für den seinerzeit zur Entscheidung anste- henden Sachverhalt aber verneint, da ein entsprechen- der Interessengegensatz jedenfalls dann nicht besteht, wenn der Inkassodienstleister nach dessen Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich widerrufliche Verglei- che abschließen darf und der Widerruf für den Kunden keine Kostennachteile nach sich zieht (BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 89, 224 Rn. 205 ff., 213). [62] Daraus folgt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass die dargestellte Interessenlage, wie sie sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kl. und der darin vereinbarten Kombination aus erfolgsabhän- giger Vergütung und Kostenfreihaltung einerseits und Berechtigung zum Abschluss auch unwiderruflicher Vergleiche andererseits ergibt, stets eine entsprechen- de Anwendung des § 4 RDG rechtfertigen könnte und damit die Unwirksamkeit der Forderungsabtretungen nach § 134 BGB nach sich zöge ( Stadler , JZ 2020, 321, 325; Deckenbrock , in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 4 Rn. 28f). Allein die Tatsache, dass auf Seiten des Inkassodienstleistungsunternehmens möglicherweise vom Kunden abweichende Interessen vorhanden sind, bedeutet nicht, dass es diese auch auf Kosten des Kunden verfolgen darf. Im Gegenteil ste- hen, sofern der Inkassodienstleister zum Nachteil sei- ner Kunden eigennützig seine Interessen verfolgt, die- sen entsprechende Schadensersatzansprüche zu ( De- ckenbrock, in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 4 Rn. 28f). [63] Der Kunde, zumal wenn es sich um einen Verbrau- cher handelt, dürfte zwar ein vertragswidrig eigennützi- ges Handeln des Inkassodienstleisters oftmals und je- denfalls ohne die Beratung durch einen außenstehen- den Dritten kaum erkennen. Gleichwohl hängt das Risi- ko eines derartigen Verhaltens des Inkassodienstleisters in hohem Maße von den Umständen des Einzelfalls ab, so dass ein struktureller Interessenkonflikt, der es gebo- ten erscheinen ließe, die Abtretung der Kundenforde- rungen pauschal für nichtig zu erachten, nicht vorliegt. Denn je aussichtsreicher die Forderungsdurchsetzung und je geringer die Kosten einer Prozessfortsetzung sind, umso höher fällt das Interesse an der Gewinnma- ximierung des Inkassodienstleisters ins Gewicht, das mit den Interessen des Kunden prinzipiell gleichgerich- tet ist ( Morell , JZ 2019, 809, 812; Deckenbrock , in De- ckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 4 Rn. 28f; Be- ckOGK RDG/ Grunewald , Stand: 31.12.2020, § 4 Rn. 24; Rillig, in Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., § 10 Rn. 46t). Entsprechendes gilt, wenn die Durchset- zung der Forderungen nicht sehr aussichtsreich er- scheint, da dann auch dem Zedenten daran gelegen sein wird, durch einen Vergleichsabschluss überhaupt eine Auszahlung zu erhalten, was wiederum mit dem In- teresse des Inkassodienstleisters an Kostenminimierung korrespondiert. [64] Hinzu kommt, dass der Kunde im Fall der Berechti- gung lediglich zum Abschluss eines widerruflichen Ver- gleichs in gleicher Weise kaum wird überblicken kön- nen, ob das vom Inkassodienstleister ausgehandelte Vergleichsergebnis tatsächlich angemessen ist oder nicht. Wenn der Kunde in diesem Fall, zumal angesichts begrenzter Widerrufsfristen, sein Widerrufsrecht im Vertrauen auf die Redlichkeit des Inkassodienstleisters nicht ausübt, verbleibt ihm gegenüber dem unredlichen Inkassodienstleister ebenfalls lediglich die sekundäre Schadensersatzhaftung. In dem einen wie in dem ande- ren Fall ist die Werthaltigkeit eines solchen Schadenser- satzanspruchs durch die zwingende Berufshaftpflicht- versicherung des Inkassodienstleisters (§ 12 I Nr. 3 RDG) gewährleistet. Für eine erweiternde Auslegung oder gar entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 4 RDG besteht im Hinblick auf die dargestellte Inte- ressenlage keine Veranlassung. (...) HINWEISE DER REDAKTION: Am 1.10.2021 ist das Gesetz zur Förderung verbrau- chergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungs- markt, auch Legal Tech-Gesetz genannt, in Kraft ge- treten (BGBl. 2021 I 3415). Mit dieser Reform wird das Anwaltsrecht dem Recht der Inkassodienstleister angepasst und eine bisher bestehende Ungleichbe- handlung zugunsten der Anwaltschaft abgemildert. Bei Geldforderungen bis 2.000 Euro ist die Vereinba- rung von Erfolgshonoraren nunmehr zulässig (vgl. § 4a I Nr. 1 RVG). Voraussetzung für eine Zulässig- keit ist indes, dass für den Erfolgsfall ein angemesse- ner Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung verein- bart wird. Eine erfolgsabhängige Vergütung bleibt unzulässig, soweit sich der Auftrag auf eine Forde- rung bezieht, die der Pfändung nicht unterworfen ist. Bei außergerichtlichen Inkassodienstleistungen so- wie in gerichtlichen Mahn- und Zwangsvollstre- ckungsverfahren ist die Vereinbarung eines Erfolgs- honorars nunmehr ohne Begrenzung erlaubt. Zum Legal Tech-Gesetz allgemein s. den Überblick bei Remmertz , BRAK-Mitt. 2021, 288; zu den gebühren- rechtlichen Regelungen Hinne , BRAK-Mitt. 2021, 278 (beide in diesem Heft). BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 319

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