BRAK-Mitteilungen 5/2021

rungsantrags und über eine Verlängerung dieser Frist erkundigt (Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.5. 2017 – VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 19; v. 30.5.2017 – VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13; v. 18.1.2018 – V ZB 166/17 Rn. 7; v. 2.12. 2020 – XII ZB 324/20, FamRZ 2021, 446 Rn. 9 f.; st. Rspr.). BGH, Beschl. v. 22.6.2021 – VIII ZB 56/20, MDR 2021, 1082 Der Anwalt beantragte sechs Tage vor Fristablauf per Post Verlängerung einer Berufungsbegründungsfrist. Auf Hinweis des Berufungsgerichts, dass keine Beru- fungsbegründung (konkludent: und kein Fristverlänge- rungsantrag) vorliege, beantragte er Wiedereinsetzung und begründete die Berufung. Das Berufungsgericht versagte Wiedereinsetzung und verwarf die Berufung als unzulässig. Der BGH hob die Entscheidung auf und gewährte Wiedereinsetzung. Die Fristversäumung sei unverschuldet, weil der Anwalt darauf habe vertrauen dürfen, dass sein – ausreichend begründeter – Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei Gericht eingehe und dass diesem stattgegeben werde. Die Aufgabe zur Post sei durch eidesstattliche Versiche- rung der Kanzleimitarbeiterin glaubhaft gemacht. Bei Fristverlängerungsanträgen müsse das hypotheti- sche Ende der beantragten Fristverlängerung in den Fristenkalender eingetragen (inklusive Vorfrist!) und als vorläufig gekennzeichnet werden und spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das tatsächliche Fristenende festgestellt werden könne. Der Rechtsanwalt sei aber nicht verpflichtet, vor Fristablauf beim Berufungsgericht nachzufragen, ob dem Verlängerungsantrag stattgegeben werde. 5 5 St. Rspr., z.B. BVerfG, NJW 2001, 812; BGH, VersR 1999, 1559; NJW-RR 2008, 367; NJW 2010, 1610; NJW-RR 2017, 564; NJW 2017, 2041; NJW-RR 2018, 569, FamRZ 2021, 446. (hg) KONTROLLPFLICHTEN BEI KORREKTUR FRISTWAHRENDER SCHRIFTSÄTZE Wird im Zuge der Unterzeichnung eines fristwahren- den Schriftsatzes durch den Anwalt festgestellt, dass dieser fehlerhaft ist und dass die Arbeit der an- sonsten zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin hier feh- leranfällig ist, ist der Anwalt zu einer erhöhten Kon- trolle verpflichtet. BGH, Beschl. v. 23.3.2021 – XI ZB 8/20 In diesem Fall sollte der Anwalt für zwei beklagte Man- danten, die erstinstanzlich unterlegen waren, Berufung einlegen. In Absprache mit dem Anwalt übertrug die Rechtsanwaltsfachangestellte B. die Erstellung des Schriftsatzes der Auszubildenden S. Diese legte den Schriftsatz dem Anwalt vor, der ihn unterzeichnete. Er erteilte aber die Anweisung, ihm den Schriftsatz noch- mals zusammen mit dem erstinstanzlichen Urteil vorzu- legen. Dabei stellte er fest, dass nur ein Mandant als Berufungskläger benannt war. Er wies daraufhin B. an, eine korrekte Berufungsschrift zu erstellen und den feh- lerhaften Schriftsatz zu vernichten. B. erstellte umge- hend den Schriftsatz und legte ihn dem Anwalt vor, der ihn unterzeichnete. B. teilte ihm mit, dass sie pünktlich weg müsse und den Schriftsatz am nächsten Tag, dem Tag des Fristablaufs, an das Gericht faxen werde. Dabei verwechselte B. die beiden Unterschriftsmappen auf ih- rem Schreibtisch und sandte den fehlerhaften Schrift- satz per Fax und per Post an das OLG, vernichtete die korrekte Fassung und strich die Frist im Kalender als er- ledigt. Das OLG lehnte Wiedereinsetzung für die zweite Mandantin ab und verwarf deren nachgeschobene Be- rufung als unzulässig. Der BGH verwarf die Rechtsbe- schwerde als unzulässig. Die Fristversäumung beruhe auf einem Anwaltsver- schulden (§ 85 II ZPO). Der Rechtsanwalt sei verpflich- tet, Rechtsmittelschriftsätze sorgfältig zu prüfen, insb. bei mehreren Beteiligten. Sei der Schriftsatz fehlerhaft, genüge es zwar grundsätzlich, eine zuverlässige Büro- kraft mit der Korrektur zu beauftragen. Er müsse die fehlerhafte Fassung nicht eigenhändig vernichten o.ä. 6 6 Z.B. BGH, NJW 2014, 700 m. Anm. Grams , BRAK-Mitt. 2014, 73; WM 2016, 142 m. Anm. Chab , BRAK-Mitt. 2015, 279; NJW-RR 2019, 315 m. Anm. Grams , BRAK- Mitt. 2019, 76. Hier sei aber aufgrund der besonderen Umstände die erteilte Weisung nicht ausreichend gewesen. Für den Rechtsanwalt sei erkennbar gewesen, dass B. den Schriftsatzentwurf der Auszubildenden nicht überprüft oder gar korrigiert hatte. Auch die von B. erstellte neue Fassung habe die Beklagte zu 2 fälschlich als „Beklagte und Berufungsbeklagte“ bezeichnet. Zudem habe sich aufgrund der Mitteilung von B., pünktlich gehen zu müssen und den Schriftsatz erst am nächsten Tag zu versenden, ein erkennbar erhöhtes Fehlerrisiko erge- ben. Trotz der bisherigen Zuverlässigkeit von B. habe der Rechtsanwalt daher hier nicht mehr auf eine korrek- te Handhabung vertrauen dürfen. Wir haben hier also den etwas kuriosen Fall, dass eine Mitarbeiterin, auf deren Zuverlässigkeit der Anwalt bis- lang vertrauen durfte, durch Fehler und Probleme in der aktuellen Fristsache aus Sicht des BGH so unzuverlässig wurde, dass der Rechtsanwalt deren Arbeit besser hät- te überwachen müssen. Auch wenn der BGH eine sol- che Pflicht weiterhin verneint, kann man angesichts der Häufigkeit solcher Probleme aus Praxissicht nur emp- fehlen: Wenn ein fehlerhafter Schriftsatz (z.B. falsches Rubrum, falsches Gericht, falsche Faxnummer o.ä.) in der Welt ist, insb. wenn er schon unterschrieben ist, soll- te der Anwalt diesen doch einfach durchstreichen oder zerreißen, dann können solche Fehler nicht mehr passie- ren. (hg) BRAK-MITTEILUNGEN 5/2021 AUFSÄTZE 300

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