BRAK-Mitteilungen 4/2021

1. ABFINDUNGSAUSSCHLÜSSE Aus der Möglichkeit einer Realteilung des Mandanten- stammes folgt, dass ein Abfindungsanspruch im Sozie- tätsvertrag auf den Substanzwert beschränkt – und da- her häufig de facto ausgeschlossen – werden kann, wenn nicht zugleich eine nachvertragliche Wettbe- werbsbeschränkung besteht. 39 39 Dazu bereits oben II.1. und 4. 2. BUCHWERTKLAUSELN Die bei älteren Sozietäten häufigen Buchwertklauseln begrenzen den nach § 738 I 2 BGB auszuzahlenden Be- trag auf die Rückzahlung unverbrauchter Einlagen, ein- behaltener Gewinne und sonstiger Rückstellungen und Rücklagen mit Eigenkapitalcharakter. 40 40 Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 32; Staub/ Schäfer , HGB, 5. Aufl. 2009, § 131 Rn. 170, 189; Sigle , ZGR 28 (1999), 659, 662. Da der Praxis- wert der Sozietät bei der Bemessung der Abfindung da- her außer Betracht bleibt, muss dem ausscheidenden Sozius der Wettbewerb um Mandanten eröffnet wer- den. Eine entgegenstehende nachvertragliche Wettbe- werbsbeschränkung wäre daher nach §§ 723 III, 138 I BGB nichtig. 41 41 LG München I, NJW 2014, 478 (481); vgl. oben II.3. 3. BEWERTUNGSVEREINBARUNGEN Eine ähnliche Wirkung können Vereinbarungen haben, die die Höhe des Abfindungsanspruchs aus § 738 I 2 BGB nur indirekt regeln, indem für die Bewertung des Geschäftsanteils eines ausscheidenden Sozius eine be- stimmte Bewertungsmethode vorgesehen wird. Soll der Anteil zu Liquidations- oder Substanzwerten bewertet werden, liegt hierin ebenfalls ein Ausschluss der Abfin- dung für den Praxiswert der Sozietät. Wie bei Abfin- dungsausschlüssen und Buchwertklauseln kann eine der Mandatsmitnahme entgegenstehende nachvertrag- liche Wettbewerbsbeschränkung daher gemäß §§ 723 III, 138 I BGB keine Geltung beanspruchen. Soll die Abfindung hingegen nach dem Ertragswertver- fahren bemessen werden, erhält der ausscheidende So- zius eine vollwertige Kompensation für den Verlust sei- ner Mitgliedschaft. Denn das Ertragswertverfahren schätzt aufgrund einer Vergangenheitsanalyse zukünfti- ge Unternehmenserträge, zinst sie auf den Prognose- zeitraum ab und bereinigt das Ergebnis um zukünftige, außerordentliche Ereignisse. 42 42 Ausführlich Fleischer/Hüttemann/ Böcking/Nowak , Rn. 4.30 ff. Bei Sozietäten ist der starken Personengebundenheit der beruflichen Leis- tungserbringung dadurch zu begegnen, dass nur eine begrenzte Reihe von Überschussjahren kapitalisiert wird und zudem ein Bewertungsabschlag für den Anteil des ausscheidenden Sozius vorgenommen wird. 43 43 Näher Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 140 ff. m.w.N. Da die Erträge den Praxiswert abgelten, ergibt sich aus einer ergänzenden Auslegung des Gesellschaftsver- trags, dass dieser ein zweijähriges Verbot der Mandats- mitnahme (sog. Mandantenschutzklausel) enthält. 44 44 Oben II.4. Zu- dem wird durch das Ertragswertverfahren konkludent der schwierig zu handhabende § 740 BGB abbedun- gen, der anderenfalls die Einbeziehung noch schweben- der Geschäfte erforderlich machen würde. 45 45 Habermeier , in Staudinger, § 740 Rn. 1; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 137 m.w.N. Selbiges gilt für das Umsatzverfahren, dass den anteili- gen Wert des Gesellschaftsvermögens nach dem Um- satz multipliziert mit einem Bewertungsfaktor ermit- telt. 46 46 Näher etwa Aktualisierte Richtlinien zur Bewertung von Anwaltskanzleien, BRAK- Mitt. 2018, 6 (7 ff.). Hierdurch wird die Berechnung gegenüber dem Ertragswertverfahren zwar vereinfacht, allerdings erge- ben sich Unschärfen, da der Umsatz keine Aussage über die Gewinne zulässt. 47 47 Janssen , NJW 2003, 3387 (3388); Römermann , NJW 2012, 1694 (1697). 4. AUSZAHLUNGSVEREINBARUNGEN Auszahlungsvereinbarungen betreffen in der Regel die Fälligkeit, die Verzinsung, die Einräumung von Sicher- heiten oder eine Ratenzahlung. Vor allem letztere ha- ben die Rechtsprechung beschäftigt. Ausgangspunkt je- der Überlegung muss sein, dass der volle Abfindungs- anspruch nach §§ 738 I 2, 271 I BGB spätestens fällig wird, sobald die für die Erstellung der Abfindungsbilanz erforderliche Zeitdauer verstrichen ist. 48 48 Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 9; MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 66 m.w.N. auch zu Gegenansichten. Eine über die- sen Zeitpunkt hinausgehende ratierliche Zahlung ist da- her im Hinblick auf die §§ 723 III, 138 I BGB rechtferti- gungsbedürftig. Angemessen ist unter dem Gesichtspunkt der Vermei- dung punktueller hoher Abfindungszahlungen eine Ra- tenzahlungsvereinbarung über fünf Jahre nach dem Ausscheiden. 49 49 Staudinger/ Habermeier , § 738 Rn. 34; MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 66. Für Zeiträume zwischen fünf und zehn Jahren ist eine Einzelfallbewertung anhand der Verzin- sung des Abfindungsguthabens, der Bemessung der Abfindung nach Buch-, Substanz- oder etwa Ertragswer- ten sowie der Anzahl und Höhe der einzelnen Raten er- forderlich. 50 50 OLGR Dresden 2000, 452 (454). Jedenfalls Zeiträume von zehn und fünf- zehn Jahren überschreiten aber auch bei hoher Verzin- sung von 8 % das zulässige Maß. 51 51 Zu zehn Jahren bei maximal 8 % p.a. OLGR Dresden 2000, 452 (454); ähnl. RGZ 162, 383 (393); zu fünfzehn Jahren bei 6 % p.a. BGH , NJW 1989, 2685 (2686). 5. VERSORGUNGSREGELUNGEN Ratenzahlungsvereinbarungen ähnlich sind Klauseln, die eine lebenslange Rentenzahlung an den Ausge- schiedenen vorsehen. Sie fungieren damit als funktiona- les Äquivalent einer Abfindung und müssen daher den- selben Maßstäben unterliegen. Da die Versorgungszah- lungen in der Regel einer Beamtenpension nachgebil- det sind, dürften sie den Wert des individuellen Ausei- nandersetzungsguthaben übersteigen, sodass dem Ausscheidenden darüber hinaus keine weitere Abfin- dung und keine Mitnahme von Mandanten gewährt werden muss. 52 52 Vgl. BGH, DStR 2010, 1898 (1898 f.); Frhr. v. Falkenhausen , AnwBl. 2020, 502 (504). PIERONCZYK, ABFINDUNGSVEREINBARUNGEN UND NACHVERTRAGLICHE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 AUFSÄTZE 240

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