BRAK-Mitteilungen 4/2020

8.4.2013 (AnwZ (Brfg) 16/12) präzisierte der Senat für Anwaltssachen: „Ob der Fachanwalt Fortbildungsver- anstaltungen [...] besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest, ändert sich dann aber auch nicht mehr.“ Mit dem Abschluss eines Kalenderjahrs stehe zwar fest, ob die Fortbildungspflicht erfüllt sei; die Frage, ob die Fortbildung erfolgt ist, könne aber nicht aufgrund der im Verwaltungsverfahren unter- bliebenen Vorlage der Nachweise negativ beantwor- tet werden. Es stehe für den Prozess nur fest, dass die Nachweise nicht vorlagen. Die Vorlage kann daher noch im Prozess erfolgen. Der Verstoß gegen die Nachweispflicht genügt nicht für einen Widerruf, er bleibt aber auch bei Nachholung im Prozess nicht oh- ne Folge: Der Rechtsanwalt trägt bei richtiger prozes- sualer Reaktion die Kosten des Rechtsstreits und kann mit der Rüge (§ 74 BRAO) oder durch anwaltsgericht- liche Maßnahmen sanktioniert werden. Anwaltsgerichtshöfe haben einmalige Säumnis mit der Fortbildungspflicht als regelmäßig nicht ausrei- chend für den Widerruf der Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung angesehen, da den Um- ständen des Einzelfalls Rechnung getragen und die Gründe für unterbliebene oder lückenhafte Fortbil- dung berücksichtigt werden müssten. Nach BGH (Urt. v. 5.5.2014 – AnwZ (Brfg) 76/13) ist der Widerruf nach drei Jahre unterbliebener Fortbildung aber er- messensgerecht, auch wenn die unterbliebene Fortbil- dung „nachgeholt“ wird. Selbst wenn die Rechtsan- waltskammer umfangreichere Verstöße gegen die Fortbildungspflicht feststellt, bleiben Chancen für den säumigen Fachanwalt, seinen Titel zu behalten: Das Widerrufsverfahren richtet sich nach § 25 FAO und ist dem Widerruf eines Verwaltungsbescheids nach § 48 IV 1 i.V.m. § 49 II 2, III 2 VwVfG nachgebil- det. Der Widerruf der Erlaubnis zum Führen des Fach- anwaltstitels ist dabei nur innerhalb eines Jahres zu- lässig. Die Frist ist eine echte Entscheidungsfrist (BVer- wGE 118, 174, 179); sie beginnt erst zu laufen, wenn dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer sämtliche – auch für die Ermessenausübung – relevanten Tatsa- chen bekannt sind, mithin Entscheidungsreife einge- treten ist, wobei auch Fristverlängerungen im Rahmen der Ermittlungen den Zeitpunkt der Entscheidungsrei- fe verschieben (BGH, Urt. v. 26.11.2012 – AnwZ (Brfg) 56/11). Der AGH Nordrhein-Westfalen hatte nun Gelegenheit, an einem ungewöhnlichen Fall die Schwierigkeiten des Verfahrens über den Widerruf eines Fachanwalts- titels herauszuarbeiten: Die beklagte Rechtsanwalts- kammer hatte seit 2012 jeweils auf den unterbliebe- nen Nachweis der Fortbildung für die Vorjahre hinge- wiesen und die Nachholung der Fortbildung ange- mahnt. Im November 2019 erfolgte dann der streitge- genständliche Widerruf. Der Widerruf konnte nicht auf ein Fortbildungsdefizit von 14 Stunden aus dem Jahr 2017 und aus den Vor- jahren seit 2011 gestützt werden. Die Bekl. hatte nach beinahe sechsjährigem Zuwarten mit Schreiben aus dem März 2018 zu einem beabsichtigten Widerruf der Fachanwaltsbezeichnung wegen unterbliebener Fortbildung im Jahre 2017 angehört, da nahezu alle Stunden fehlten; in der Folge wurden zwei Stunden nachgewiesen. Über die noch fehlenden Stunden stand der Kl. mit der Bekl. im Austausch und legte wei- tere Fortbildungsnachweise vor, zu denen die Bekl. ihm im Dezember 2018 mitteilte, diese seien auf 2017, eine Stunde auf 2018 verbucht worden. Die Nichterfüllung der Fortbildungspflicht 2017 war der Bekl. also über ein Jahr vor dem Widerruf im Novem- ber 2019 bekannt, die Entscheidungsfrist für den Wi- derruf der Fachanwaltsbezeichnung aufgrund erheb- licher Versäumnisse in der Fortbildungspflicht in den Jahren 2011-2017 verstrichen. Der Widerruf konnte auch nicht darauf gestützt wer- den, der Kl. habe für 2018 keine ausreichende Fortbil- dung nachgewiesen. Die Bekl. selbst hat durch ihre Verrechnung der 2018 durch den Kl. besuchten Fort- bildungsveranstaltungen auf Defizite aus 2017 eine Art Fortbildungskonto mit Überziehungsmöglichkeit begründet. Sie selbst hatte die (entgegen AGH Hes- sen, Urt. v. 10.12.2012 – 1 AGH 1/12) unzulässige Verrechnung auf das Vorjahr vorgenommen und da- mit entsprechendes Vertrauen begründet. Noch im Sommer 2019 hatte die Bekl. mitgeteilt, man gehe davon aus, der Kl. werde seine Fortbildungspflicht er- füllen. Mangels Auseinandersetzung mit diesem Um- stand sah der AGH den Widerruf aufgrund des nach Auffassung der Bekl. verbliebenen Fortbildungsdefizits von fünf Stunden für 2018 als ermessensfehlerhaft an. Auf unterbliebene Fortbildung 2019 konnte der Be- scheid aus dem November 2019 auch nicht gestützt werden, denn: „Ob der Fachanwalt Fortbildungsveran- staltungen [...] besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest“. Bis auf den Verweis auf den AGH Hessen zur Nachholung der Fortbildungspflicht, die dogmatisch betrachtet eben keine Nachholung, sondern eine Berücksichtigung überobligater Fortbil- dung im Rahmen der Ermessensausübung war, ist der Entscheidung in Ergebnis und Begründung zuzustim- men. Rechtsanwalt Tilman Winkler, Freiburg BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 221

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