BRAK-Mitteilungen 4/2020

teilt, der Sachbearbeiter führte im Verlauf die Akte und das Mandat. Grundsätzlich wurden von diesem Sachbe- arbeiter auch die Liquidationen erstellt und die techni- sche Ausführung der Abrechnung und der Mandatsbe- endigung vorgenommen. In einer Vielzahl von Fällen übernahm der Angeklagte J. aber auch die Abrechnung der von ihm nicht bearbeiteten Mandate. Er fertigte in der Regel auch mandatsübergreifende Zwischenab- rechnungen und führte die Konten der Kanzlei. Die Ak- tenführung im Tatzeitraum war geprägt von Rückstän- den und Unordnung in den Büros der Angeklagten, mangelnden Wiedervorlagen und fehlender Kontrolle insbesondere im Zusammenhang mit dem Eingang von Fremdgeldern und der Aktenablage. Dies führte bei blo- ßer Anordnung von Abrechnungen mithilfe eines Zettel- systems ohne buchhalterische Nachvollziehbarkeit zum Unterbleiben von Abrechnungen oder zumindest erheb- licher Verzögerung. [5] Im Tatzeitraum gab es im Wesentlichen ein allein von dem Angeklagten J. geführtes Konto bei der P. in K., zudem zwei auf die Angeklagten J. und W. lautende Kanzleikonten bei der A. B. bzw. der A. S. sowie erst ab dem Jahr 2011 ein Kanzleianderkonto, dessen Inhaber der Angeklagte J. war. Die Geschäftskonten bei der P. und der S. A. wurden im Tatzeitraum im Wesentlichen im Minus geführt, über lange Zeit im fünfstelligen Be- reich. Es erfolgten immer wieder Zuschüsse aus priva- ten Mitteln; zur Tilgung einer Steuerverbindlichkeit der Kanzlei nahm die Ehefrau des Angeklagten W. einen Kredit über 50.000 Euro auf, den sie noch heute ab- zahlt. Ins Einzelne gehende Feststellungen zur Solvenz der Kanzlei (zu den jeweiligen Tatzeitpunkten) hat die Strafkammer nicht getroffen. [6] Die Buchhaltung in der Kanzlei oblag allein der – freigesprochenen – Mitangeklagten D. Wenn sie nicht in der Kanzlei war, lag die Buchhaltung brach, teilweise über mehrere Wochen. Hinzu kamen Probleme mit dem Buchhaltungssystem der verwendeten Rechtsanwalts- software, so dass es zu erheblichen Rückständen in der Buchhaltung kam. Parallel dazu gab es Handaktenzet- tel in den Mandantenakten, auf denen handschriftlich sämtliche Buchungsschritte durch die Mitangeklagte D. vermerkt wurden, allerdings nicht taggenau und mit zum Teil erheblicher Verzögerung. [7] Mit der Kanzleientwicklung korrespondierend tätig- ten die Angeklagten J. und W. spätestens nach dem Jahr 2012 immer weniger Entnahmen, der Angeklagte W. etwa bis zum Jahr 2012 ca. 1.200 bis 1.500 Euro monatlich, danach lediglich noch 1.000 Euro oder weniger. [8] „Infolge dieses Missmanagements“ kam es zu den abgeurteilten Taten, die zum Teil von den Angeklagten auch gemeinschaftlich handelnd begangen wurden. [9] II. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. [10] 1. Das LG hat in sämtlichen Fällen eine Untreue durch Verwirklichung des Treubruchstatbestands, je- weils begangen durch Unterlassen, angenommen. Da- bei hat die Strafkammer zwischen folgenden Fallgestal- tungen unterschieden: Einzahlungen auf Geschäftskon- ten bei noch nicht eingerichtetem Anderkonto, nicht un- verzüglich vorgenommene Fremdgeldauszahlungen („Verzögerungsfälle“), nicht ausgekehrte Fremdgelder („wirtschaftlicher Schaden“) und nicht vorgenommene Verrechnung mit Honoraransprüchen aus Parallelman- daten („juristischer Schaden“). [11] In allen Fallkonstellationen ist die Strafkammer vom Vorliegen eines Vermögensschadens ausgegangen. Ein Nachteil i.S.d. § 266 StGB sei dann gegeben, wenn ein Rechtsanwalt, der sich bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lasse, weder uneinge- schränkt bereit noch fähig sei, einen entsprechenden Be- trag aus eigenen Mitteln vollständig auszukehren. Seien die Fremdgelder nicht auf einem Anderkonto verwahrt worden oder (bei Eingang auf dem Anderkonto) nicht unverzüglich weitergeleitet worden, sei bereits ein end- gültiger Schaden eingetreten, da bei den Angeklagten kein Ersatzwille vorhanden gewesen sei, die zur Auskeh- rung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszu- zahlen. Bei fehlendem Ersatzwillen mache sich auch ein solventer Schuldner grundsätzlich wegen Untreue straf- bar, weshalb es weiter gehender Ermittlungen zur Sol- venz der Kanzlei nicht bedurft hätte. Im Übrigen sei auch in den Fällen, in denen den Angeklagten mögli- cherweise Honoraransprüche in einer die Zahlungsein- gänge übersteigenden Höhe zugestanden hätten, ein Nachteil i.S.d. § 266 StGB anzunehmen, denn entgegen- stehende Honorarforderungen seien nur dann geeignet, den Auszahlungsanspruch der Mandanten zum Erlö- schen zu bringen, wenn die zugrundeliegenden Manda- te tatsächlich – was nicht der Fall gewesen sei – abge- rechnet worden seien. Zudem hätte die Verwendung der Mandantengelder auch nicht dem Zweck gedient, beste- hende Honoraransprüche zu befriedigen, weil diese nicht beziffert und geltend gemacht worden seien. [12] 2. Die Annahme des LG, in allen abgeurteilten Fäl- len sei den Mandanten ein Nachteil i.S.d. § 266 StGB entstanden, ist nicht tragfähig begründet. [13] a) Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines be- stehenden Anwaltsvertrags zur Weiterleitung bestimm- te Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, kann sich der Untreue in der Variante des Treubruchstatbestands (§ 266 I Var. 2 StGB) strafbar machen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.1.2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Se- nat, Beschl. v. 24.7.2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277 jeweils m.w.N.). Nach § 4 II 1 BORA ist ein Rechts- anwalt verpflichtet, eingegangene Fremdgelder unver- züglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und da- für Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang entspre- chender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1960 – 4 StR 544/59, NJW 1960, 1629, 1630). BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 211

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