BRAK-Mitteilungen 4/2020

BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN *LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ) UNTREUEVORWURF GEGEN EINEN RECHTSANWALT StGB § 266 I; BORA § 4 II 1 * 1. Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines be- stehenden Anwaltsvertrages zur Weiterleitung be- stimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto ein- zahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, kann sich der Untreue in der Variante des Treu- bruchtatbestands (§ 266 I Var. 2 StGB) strafbar ma- chen. * 2. Nach § 4 II 1 BORA ist ein Rechtsanwalt ver- pflichtet, eingegangene Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, Man- danten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und da- für Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang ent- sprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Be- rechtigten zur Verfügung steht. * 3. Unbeschadet der Frage, welche konkrete Zeit- spanne als unverzüglich anzusehen ist, was sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, kann diese Verzögerung als solche regelmäßig noch kei- nen Vermögensnachteil begründen. Ebenso wenig kann allein der Verstoß gegen die Pflicht zur Füh- rung eines Anderkontos und zur Weiterleitung von Fremdgeldern auf dieses einen Nachteil begründen. * 4. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn in der unter- lassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die einge- nommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die Gelder zwar nicht auf Dauer auch für sich behalten will, aber ein dem Geldein- gang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten wird, oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem unabwendbaren und unausgleichbaren Zugriff von Gläubigern offenstehen. BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 2 StR 588/18 AUS DEN GRÜNDEN: [1] Das LG hat gegen den Angeklagten J. wegen Un- treue in 22 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt und deren Vollstreckung zur Bewäh- rung ausgesetzt. Den Angeklagten W. hat es wegen Un- treue in neun Fällen zu einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr ver- urteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigespro- chen. Zudem hat es ein Berufsverbot gegen den Ange- klagten J. von zwei Jahren angeordnet und Einziehungs- entscheidungen getroffen. Die auf die Verletzung for- mellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen haben mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§ 349 IV StPO), ohne dass es auf die erhobenen Ver- fahrensrügen ankommt. [2] I. 1. Nach den Feststellungen des LG fassten die in Aachen als Rechtsanwälte tätigen Angeklagten, deren Kanzlei sich wirtschaftlich zunehmend schlechter entwi- ckelte, spätestens im Jahr 2009 mindestens in den zur Aburteilung gelangten Fällen jeweils den Entschluss, an sie überwiesene oder ihnen übergebene Gelder bewusst pflichtwidrig nicht oder teilweise nicht oder nicht unver- züglich an ihre Mandanten weiterzuleiten, sondern zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten bzw. Begleichung von Kosten ihrer Kanzlei zu verwenden. Durch die wie- derholte Tatbegehung in der Zeit von 2009 bis 2015 verschafften sie sich insbesondere mittels verzögerter Auszahlung zum Nachteil ihrer Mandanten unberech- tigte Kredite und damit eine fortlaufende Einnahme- quelle von längerer Dauer und erheblichem Umfang. Dabei ließen die Angeklagten die Mandanten über den Eingang ihnen zustehender Gelder bzw. deren Höhe im Unklaren, verschwiegen – auch auf Nachfrage – Geld- eingänge oder hielten sie vereinzelt auf sonstige Weise hin. In anderen Fällen behielten die Angeklagten von Mandanten gezahlte Selbstbehalte oder an Dritte wei- terzuleitende (Sicherheits-)Beträge über Wochen und Monate hinweg, ohne den betreffenden Sachverhalt weiter zu verfolgen. Ratenüberzahlungen der Gegensei- te ließen sie weiterlaufen, Erstattungen an die Rechts- schutzversicherung der Mandanten erfolgten erst Mo- nate oder Jahre später bzw. mangels Reaktion erst auf unmittelbare Nachfrage der Versicherungen bei den Mandanten. Hinsichtlich der ihnen aus ihrer anwalt- lichen Tätigkeit gegenüber den Mandanten zustehen- den Honoraransprüche, die insbesondere bei Dauer- mandaten zu reduzierten oder wegfallenden Ansprü- chen der Mandantschaft auf Auszahlung der auf Kanz- leikonten eingegangenen Fremdgelder führen konnten, erstellten sie keine Abrechnungen und gaben auch kei- ne Aufrechnungserklärungen ab. [3] 2. Zur Kanzleiführung durch die Angeklagten und zur finanziellen Situation der Kanzlei hat die Strafkam- mer folgende Feststellungen treffen können: [4] Die juristische Bearbeitung einer Sache wurde in- tern den jeweiligen Anwälten nach Rechtsgebiet zuge- BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 210

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