BRAK-Mitteilungen 4/2020

können (und müssen), zudem wurde über § 30 OWiG eine Durchgriffsmöglichkeit auf das Gesamtunterneh- men geschaffen, die eine Geldbuße nach sich ziehen kann. 117 117 KK-OWiG/ Rogall , § 130 OWiG Rn. 6. Nach § 30 OWiG wird dem Unternehmen, also der juristischen Person, die Ordnungswidrigkeit des Vor- stands nach § 130 OWiG zugerechnet. 118 118 BeckOK-OWiG/ Beck , § 130 OWiG Rn. 6; KK-OWiG/ Rogall , § 130 OWiG Rn. 4. Durch §§ 30, 130 OWiG gibt es daher in Unternehmen eine doppelte Absicherung des Legalitätsprinzips. Nach § 130 OWiG begeht der Inhaber eines Unternehmens selbst eine Ordnungswidrigkeit, wenn er eine Zuwiderhandlung ge- gen unternehmensbezogene Pflichten durch Aufsichts- maßnahmen nicht verhindert. Dabei muss nicht einmal die handelnde Leitperson individualisierbar sein, solan- ge feststeht, dass die Bezugstat von einem Verantwort- lichen begangen wurde. 119 119 BeckOK-OWiG/ Meyberg , 24. Ed. 15.9.2019, § 30 Rn. 57. Diese und selbst begangene Verstöße werden nach § 30 OWiG dem Unternehmen zugerechnet. 120 120 BT Drs. 18/4817, 6. Das Auseinanderfallen von Handeln und Verpflichtung wurde schon früh 121 121 „Die Wurzeln der Sanktionierung einer betrieblichen Aufsichtspflichtverletzung reichen zurück bis ins 19. Jahrhundert, vgl. § OWIG § 188 PrGewO (1845).“, BeckOK-OWiG/ Beck , § 130 OWiG Rn. 1. gesehen und die entsprechende Zurechnungslücke geschlossen. 122 122 BeckOK-OWiG/ Beck , § 130 OWiG Rn. 6; KK-OWiG/ Rogall , § 130 OWiG Rn. 4. 2. FEHLENDE LÖSUNG IM BERUFSRECHTLICHEN KONTEXT Im Berufsrecht fehlt eine entsprechende Lösung der §§ 30, 130 OWiG bislang. Während auch in Berufsaus- übungsgesellschaften die Vorteile eines großen perso- nellen und sachlichen Verbundes geschätzt werden, werden die damit verbundenen Folgen bislang im Hin- blick auf die Berufsrechtssanktion ignoriert. Nach im- mer noch herrschendem Verständnis begeht ein Berufs- träger einen Berufsrechtsverstoß und nicht die Einheit, in der ein solcher begangen worden ist. Dies führt eben- so wie bei Wirtschaftsunternehmen zu einer Strafbar- keitslücke für Pflichtverletzungen, die durch den Zusam- menschluss, das Kollektiv der (Groß-)Kanzlei, erst mög- lich werden. Ein Verstoß gegen anwaltliche Berufspflichten begrün- det in den meisten Fällen keine Ordnungswidrigkeit oder Straftat, an die §§ 30 oder 130 OWiG anknüpfen. Die theoretische Brüchigkeit der vom BayObLG vor 26 Jahren eingeleiteten Öffnung der anwaltlichen Be- rufsausübungsgesellschaften zeigt sich auch daran, dass bis heute eine entsprechende Übertragung des §§ 30, 130 OWiG zugrundeliegenden Gedankens auf das anwaltliche Berufsrecht nicht stattgefunden hat. Das eigene Sanktionssystem der Anwaltschaft geht im- mer noch vom Bild des Einzelanwalts aus, der für sein Tun alleine verantwortlich ist. Der Wandel der Governance-Struktur, der mit der Zulas- sung der Berufsausübungsgesellschaften als Kapitalge- sellschaften verbunden war und der durch eine Öffnung der sozietätsfähigen Berufe und von Fremdkapital wei- ter verstärkt wird, weist hier eine deutliche Lücke zu an- deren Gebieten des Wirtschaftsverwaltungsrechts auf. 123 123 Zum besonderen Wirtschaftsverwaltungsrecht schon Wolf , in: Gaier/Wolf/Gö- cken, Vor § 1 RDG Rn. 4 und Einl. Rn. 110. Auch und vielleicht gerade in Berufsausübungs- gesellschaften müssten entsprechende Vorschriften ein- geführt werden. 124 124 So schon Wolf , Stn. zum Gesetzesentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Neuord- nung des Rechts der Syndikusanwälte, bezogen auf die Absicherung der anwalt- lichen Berufspflichten der Syndikusrechtsanwälte, BT-Drs. 18/5201“. Bisher hat man sich in Deutschland darauf verlassen, dass der einzelne Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege die Möglichkeit hat, die berufsrechtlichen Verpflichtungen selbst einzu- halten und deren Einhaltung auch durchzusetzen. Sowohl der Gewerbeordnung als auch dem Unterneh- menssanktionsrecht liegt der Gedanke zugrunde, dass in hierarchischen Organisationen die Einhaltung der einschlägigen Bestimmung durch die Leitungsorgane garantiert werden muss. Für das anwaltliche Berufs- recht kann im Kern nichts Anderes gelten. Dies zeigt auch das Beispiel Englands. Zwar ist die Ausgliederung der Berufsaufsicht aus dem Bereich der anwaltlichen Selbstverwaltung nicht nachahmenswert, wohl aber die Erweiterung des Adressatenkreises der berufsrecht- lichen Verpflichtungen und Sanktionen auf die jeweili- gen Berufsausübungsgesellschaften. 125 125 Zu nennen sind die Law Society of England and Wales, die die Aufsicht über alle Solicitor und deren Berufsausübungsgemeinschaften führt, sowie beispielhaft das Bar Standards Board, welches die Aufsicht über Barrister und sog. Alternative Business Structures (ABS) führt. Beide Institutionen üben eine berufsrechtliche Aufsicht über die Einhaltung von Berufspflichten auch bei Berufsausübungs- gemeinschaften aus. Im Hinblick auf die Neuerungen im Gesellschaftsrecht sieht nun auch das BMJV in Eckpunkt 12 Berufsaus- übungsgesellschaften in ihrer Gesamtheit als neue und zusätzliche Aufsichtsobjekte vor, die aus ihrer gesell- schaftsrechtlichen Struktur eine Verantwortung für die Einhaltung des Berufsrechts durch ihre Organe über- nehmen müssen. Eine solche Implementierung ins an- waltliche Berufsrecht sollte vergleichbar zu den §§ 30, 130 OWiG geschehen, um sowohl individualisierbare als auch strukturelle Berufspflichtverletzungen aufde- cken und sanktionieren zu können und so Gesetzeslü- cken zu schließen. V. ZUSAMMENFASSUNG Das anwaltliche Berufsrecht sah ursprünglich den Ein- zelanwalt oder die Berufsausübungsgesellschaft als GbR vor. In den letzten 26 Jahren wurde ein weiter- gehender Wandel des anwaltlichen Gesellschaftsrechts vorangetrieben. Rechtsanwalts-AG, Rechtsanwalts- GmbH und die Verbindung von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern wurden durch die Rechtspre- chung ermöglicht. Hinzu kamen die LLP und PartGmbB. Nun soll der nächste große Schritt der Deregulierung und Liberalisierung gemacht werden. Die GmbH & Co. KG soll als weitere Berufsausübungsgesellschaft zuge- lassen werden, obwohl diese als Gesellschaftsform über BRAK-MITTEILUNGEN 4/2020 AUFSÄTZE 194

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