BRAK-Mitteilungen 6/2025

ren. Zugleich ist die vorübergehende Fortgeltung der Altersgrenze bis zum 30.6.2026 anzuordnen. Anschließend ist die Regelung nicht mehr anwendbar. [188] Durch die Unvereinbarerklärung werden mit einer Nichtigerklärung verbundene gravierende Nachteile für die Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege sowie für die Rechte betroffener Berufsträger vermieden. Sie vermeidet insb. eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Status derjenigen Anwaltsnotare, deren Amt aufgrund der Altersgrenze bereits erloschen ist, und die mit ihr verbundene vorübergehende Fortgeltung der Regelung bis zum 30.6.2026 schützt die Rechte derjenigen Anwaltsnotare und der mit ihnen verbundenen Berufsträger (vgl. § 9 II BNotO), die im Vertrauen auf den Bestand der Altersgrenze bereits rechtliche und wirtschaftliche Dispositionen getroffen haben. Auch wird den Landesjustizverwaltungen eine Anpassung an die neue Rechtslage ermöglicht. [189] 3. Unberührt bleibt das Recht des Beschwerdeführers und anderer Anwaltsnotare, deren Notaramt nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO erloschen ist, sich nach Ablauf der Fortgeltungsfrist erneut auf ausgeschriebene Notarstellen zu bewerben. Soweit diese Personen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5b BNotO nicht erfüllen, weil diese erst nach ihrem erstmaligen Berufseintritt eingeführt worden sind, werden die Landesjustizverwaltungen im Blick behalten müssen, dass diese Norm Soll- bzw. Regelvoraussetzungen statuiert (vgl. § 5b I und IV 2 BNotO), von denen im begründeten Einzelfall abzuweichen ist. [190] 4. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, ein obligatorisches Erlöschen des Notaramtes älterer Anwaltsnotarinnen und -notare neu zu regeln. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass erhebliche Spielräume für eine verfassungskonforme Ausgestaltung bestehen, etwa die Einführung einer bloß regional geltenden Altersgrenze, einer erst in höherem Lebensalter eingreifenden Grenze oder einer Regelung, die das Fortbestehen des Notaramtes an die Leistungsfähigkeit des Amtsträgers knüpft. [191] III. Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des BGH hat trotz der hier festgestellten Unvereinbarkeit der Regelung der Altersgrenze mit Art. 12 I GG Bestand, weil die Regelung mit den genannten Maßgaben weiter anzuwenden ist (vgl. BVerfGE 158, 282 ‹ 388 Rn. 261 8 ; 166, 196 ‹ 289 Rn. 247 8 – Gefangenenvergütung II). Die Verfassungsbeschwerde bleibt deshalb ohne Erfolg, soweit sie sich gegen diese Entscheidung richtet (vgl. BVerfGE 115, 276 ‹ 319 8 ). [192] IV. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a II und III BVerfGG. ANMERKUNG: Die Entscheidung markiert eine wichtige Zäsur im Anwaltsnotariat. Das Gericht erklärt die in §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO normierte Altersgrenze von 70 Jahren für unvereinbar mit Art. 12 I GG, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft, lässt sie aber bis zum 30.6. 2026 fortgelten. Auf das hauptberufliche Notariat bleiben die Regelungen zur Altersgrenze hingegen unverändert anwendbar. Einordnung der Entscheidung des BVerfG Die Entscheidung reiht sich in die Linie der bisherigen Rechtsprechung zur Altersgrenze für Notarinnen und Notare1 1 Grundlegend BVerfG, NJW 1993, 1575. insofern ein, als dass das Gericht die mit der Altersgrenze verfolgten Ziele – insb. die gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und den Schutz der Rechtspflege vor altersbedingten Leistungseinbußen – weiterhin als legitim anerkennt. In der aktuellen Entscheidung vertritt das Gericht nunmehr aber die Auffassung, dass diese Ziele für das Anwaltsnotariat nicht mehr in verhältnismäßiger Weise erreicht würden. Während bei Einführung der Altersgrenze 1991 ein erheblicher Bewerberüberhang bestanden habe, herrsche heute in nahezu allen OLG-Bezirken des Anwaltsnotariats ein Bewerbermangel.2 2 BVerfG, Urt. v. 23.9.2025 – 1 BvR 1796/23, BRAK-Mitt. 2025, 474 (in diesem Heft) Rn. 183. Ausgeschriebene Notarstellen könnten oft nicht mehr besetzt werden, sodass die Altersgrenze in vielen Regionen des Anwaltsnotariats den Zweck, jüngeren Juristinnen und Juristen den Berufszugang zu ermöglichen, nicht mehr in angemessener Weise erfülle.3 3 BVerfG, a.a.O., Rn. 165. Zugleich hebt das Gericht hervor, dass sich die individuelle Leistungsfähigkeit nicht verlässlich am Lebensalter bemessen lasse.4 4 BVerfG, a.a.O., Rn. 180. Bewerbermangel ist nicht gleich Unterversorgung der Bevölkerung Im Rahmen seiner Erwägungen zum Bewerbermangel geht das BVerfG nicht darauf ein, dass unbesetzte Notarstellen nicht zwangsläufig bedeuten, dass zu wenige Anwaltsnotarinnen und -notare bestellt wurden. Vielmehr sind diese Ausdruck tiefgreifender Veränderungen in der Struktur des Berufsbilds. Im Anwaltsnotariat – wie in der Anwaltschaft insgesamt – ist ein Trend zur Spezialisierung zu beobachten. Auch wenn das Notaramt formal als Nebenberuf ausgestaltet ist (§ 3 II BNotO), kann es in der Realität den Schwerpunkt der Berufstätigkeit bilden. Die bisherigen Mechanismen der Stellenausschreibung in den Ländern berücksichtigen dies nicht: Verzeichnet eine Notarin oder ein Notar ein besonders hohes Urkundsaufkommen, führt dies dazu, dass in seinem bzw. ihrem Amtsbereich mehrere Stellen ausgeschrieben werden, auch wenn sie oder er den Bedarf an notariellen Leistungen bereits abdeckt. Die Berechnung der auszuschreibenden Stellen geht davon aus, dass das Urkundsaufkommen durch mehrere Personen aufgefangen werden muss – obwohl dieses in der Realität bereits durch eine Person bewältigt wird. In der Folge gibt es oftmals keine oder nur wenige Bewerbungen auf die in diesem Amtsbereich ausgeschriebenen Notarstellen. NOTARRECHT BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 486

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0