stehen (vgl. Rn. 129 ff.). Insofern unterscheidet sich der Notarberuf von anderen Berufen, die auf schnelle kognitive Informationsverarbeitung angewiesen sind, etwa dem Beruf des Piloten. [180] Diesen Gegebenheiten wird die Altersgrenze Notar ≠Pilot nicht gerecht, indem sie typisierend sämtliche Amtsträger mit dem siebzigsten Lebensjahr ausschließt, ohne dass deren persönliche Disposition berücksichtigt wird. Zwar ist auf Grundlage der empirischen Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Altersgrenze einzelne altersbedingt leistungsunfähige Anwaltsnotare erfasst und damit ihren Zweck im Einzelfall erfüllt (vgl. dazu Rn. 131). Das ist aber nicht der Regelfall. Vielmehr wird die große Mehrzahl von Amtsträgern gezwungen, mit Vollendung des siebzigsten Lebensjahres ihr Amt aufzugeben, obwohl sie weiterhin in der Lage wären, den Notarberuf ordnungsgemäß auszuüben. Umgekehrt erfasst die Altersgrenze solche Amtsträger nicht, die bereits vor Erreichen des siebzigsten Lebensjahres altersbedingt nicht mehr ausreichend leistungsfähig sind. [181] dd) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres gem. §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO ist für das Anwaltsnotariat nach alledem unter den gegebenen tatsächlichen Umständen nicht mehr angemessen und verletzt die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG). [182] Die Altersgrenze greift gravierend in das GrundVerstoß gegen Art. 12 GG recht der Berufsfreiheit ein. Sie führt dazu, dass Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotaren die weitere Ausübung ihres Berufs vollständig versagt ist, von der Möglichkeit punktueller Tätigkeiten der Notarvertretung und Notariatsverwaltung abgesehen. [183] Konnte die Altersgrenze zum Zeitpunkt ihrer Einführung infolge einer zunehmenden Zahl von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die ins Anwaltsnotariat strebten, jedenfalls die mit ihr verfolgten Zwecke, im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs und eine gerechte Verteilung der Berufschancen zu erreichen, erheblich fördern, so ist dies heute nicht mehr der Fall. Die tatsächlichen Umstände haben sich gewandelt. Zwar gilt weiterhin, dass mit der Altersgrenze schützenswerte Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht verfolgt werden, die zu erreichen sie auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet ist. Ein im Verhältnis zur Altersgrenze milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Jedoch ist ihre Bedeutung für die Erreichung der Zwecke der funktionstüchtigen Rechtspflege und der gerechten Verteilung der Berufschancen aufgrund des fast flächendeckenden Bewerbermangels im Anwaltsnotariat evident geschwunden. Der Bewerbermangel ist zeitlich nachhaltig; er hat sich – wie oben dargestellt – über Jahre verstetigt und ist auch dem Gesetzgeber schon länger bekannt (vgl. BT-Drs. 19/26828, 113 f.). Eine Anpassung der für die Bedarfsermittlung festgesetzten Urkundszahlen ist nur begrenzt möglich und kann die Situation auch nicht maßgeblich ändern. Aufgrund dieser Entwicklung, die im Entstehungszeitpunkt des Gesetzes nicht absehbar war, treffen die der Einführung der Altersgrenze zugrundeliegenden Annahmen nicht mehr zu. Dadurch ist die damalige Einschätzung des Gesetzgebers entscheidend in Frage gestellt und nicht länger tragfähig (vgl. BVerfGE 158, 282 ‹ 346 Rn. 155 8 ). Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger steht nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den deutlich verminderten Vorteilen, die dem Gemeinwohl aus der angegriffenen Regelung erwachsen. [184] Eine andere Bewertung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die Altersgrenze weiterhin vor Gefahren durch altersbedingt weniger leistungsfähige Berufsangehörige schützt. Auch die zusätzliche Berücksichtigung dieses weiteren Zwecks führt nicht dazu, die Regelung als angemessen einzustufen. Denn insofern ist – wie dargelegt – der Grad der Zweckerreichung ebenfalls nur gering. Der Gesetzgeber ist zwar grundsätzlich berechtigt, mit Blick auf den Schutz Dritter berufliche Altersgrenzen als typisierende Regelungen zu schaffen. Eine bei siebzig Jahren angesetzte Grenze trifft jedoch nicht den Regelfall eines nicht mehr ausreichend leistungsfähigen Notars, unbeschadet des Umstands, dass für andere Berufe abweichende Maßstäbe gelten mögen. [185] Insgesamt erweist sich die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres im Anwaltsnotariat nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO als nicht mehr angemessen und belastet die Grundrechtsträger unzumutbar. Sie ist wegen Verstoßes gegen Art. 12 I GG verfassungswidrig. [186] II.1. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit keine Nichtigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das BVerfG, wie sich aus § 31 II 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das BVerfG dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entzöge und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist (vgl. BVerfGE 141, 220 ‹ 351 Rn. 355 8 ; 165, 363 ‹ 440 Rn. 174 8 – Automatisierte Datenanalyse; stRspr). [187] 2. Die Regelung nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a Fortgeltung bis zum 30.6.2026 BNotO ist, soweit sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist, nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erkläNOTARRECHT BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 485
RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0