verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist. Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres greift schwerwiegend in das Grundrecht der Berufsfreiheit von Anwaltsnotaren ein (aa). Demgegenüber stehen zwar Gemeinwohlbelange, die ebenfalls erhebliches Gewicht haben (bb). Mit Blick darauf, dass der Grad der Zweckerreichung durch die Altersgrenze im Anwaltsnotariat mittlerweile gering ist (cc), besteht aber kein verfassungsrechtlich angemessener Interessenausgleich mehr (dd). [148] aa) Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Anwaltsschwerer Eingriff notare wiegt schwer, auch unter Berücksichtigung mildernder Faktoren. [149] (1) Die qualitative Intensität des Eingriffs ist erheblich. Die Altersgrenze ist eine Berufswahlregelung (vgl. BVerfGE 7, 377 ‹ 406 8 ). Das Amt des Anwaltsnotars erlischt mit ihrem Erreichen zwingend. Da das maßgebliche Kriterium des Lebensalters unverfügbar ist, haben die Berufsträger keine Möglichkeit, den Endpunkt ihrer Berufstätigkeit zu beeinflussen und an ihre Lebensumstände anzupassen. Ausnahmen von der Altersgrenze oder ein gleitender Übergang in den Ruhestand sind gesetzlich nicht vorgesehen. Der Eingriff betrifft beide Schutzrichtungen der Berufsfreiheit – die Sicherung einer wirtschaftlichen Lebensgrundlage und die Persönlichkeitsentfaltung (vgl. Rn. 103) – gleichermaßen. [150] (2) Gemildert wird der Eingriff durch die Möglichkeit der ausgeschiedenen Anwaltsnotare, als Notarvertreter oder Notariatsverwalter im gleichen Berufsfeld tätig zu bleiben oder als Rechtsanwalt ihren Hauptberuf fortzuführen. Der Grad der Milderung ist allerdings jeweils als gering einzuschätzen. [151] Notarvertretung und Notariatsverwaltung kommen der regulären Tätigkeit des Notars nicht annähernd gleich. Der Notarvertreter wird nur in Vertretungsfällen tätig (§ 39 I BNotO); die Notariatsverwaltung ist von vornherein vorübergehend und bezieht sich im Wesentlichen auf Abwicklungstätigkeiten (§ 56 BNotO, vgl. dazu auch Rn. 117). Damit fehlt es jeweils am spezifischen Charakter eines freien Berufs mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem ist die Übernahme einer Vertretung oder Verwaltung davon abhängig, dass hierfür Bedarf besteht und der ausgeschiedene Notar entsprechend bestellt wird. Dies hat er nicht selbst in der Hand, erst recht besteht kein Anspruch auf Bestellung. [152] Durch die Möglichkeit, den Rechtsanwaltsberuf weiter auszuüben, wird der Eingriff in das Recht, sich zur Persönlichkeitsentfaltung gerade als Notar zu betätigen, nicht abgemildert. Das Eingriffsgewicht ist allenfalls mit Blick auf die Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage verringert. Dies gilt auch nur insoweit, als ein ausgeschiedener Anwaltsnotar faktische Erwerbschancen als Rechtsanwalt besitzt. [153] Der Wegfall der wirtschaftlichen Lebensgrundlage durch das Erlöschen des Notaramtes wird ferner zum Teil durch das Bestehen von Versorgungsansprüchen ausgeglichen. Anwaltsnotare sind gesetzliche Pflichtmitglieder der Rechtsanwaltsversorgungswerke (vgl. beispielhaft § 2 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung Nordrhein-Westfalen). Überdies können sie sich auf die Altersgrenze einstellen und private Vorsorge treffen (vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats v. 29.10.1992 – 1 BvR 1581/91 Rn. 10). Auch insoweit ist die Milderung der Eingriffsintensität aber begrenzt, da die Schutzrichtung der freien Entfaltung der Persönlichkeit nicht erfasst wird und im Übrigen Versorgungsleistungen typischerweise nicht das Niveau der früheren beruflichen Einkünfte erreichen. [154] (3) Eine Milderung des Eingriffsgewichts lässt sich hingegen nicht allein daraus ableiten, dass die Altersgrenze erst mit dem vollendeten siebzigsten Lebensjahr – und damit deutlich später als die Regelaltersgrenzen für den Renteneintritt bzw. den Eintritt der Beamten in den Ruhestand – einsetzt. Die Bundesnotarkammer hat in ihrer Stellungnahme zwar geltend gemacht, dadurch verbleibe für die Berufsausübung und den mit ihr verbundenen „ökonomischen und inhaltlichen Gewinn“ eine hinreichend lange Zeitspanne. Diese Erwägung ist jedoch nicht durch Tatsachen belegt. [155] Anwaltsnotare treten verglichen mit anderen akademischen Berufen und mit den höheren Laufbahnen des öffentlichen Dienstes regelmäßig erst in einem deutlich höheren Alter in den Notarberuf ein. Grund ist insb. die mindestens fünfjährige Wartezeit nach § 5b I Nr. 1 BNotO. Dementsprechend sind derzeit auch nur rund 5 % der bestellten Anwaltsnotare jünger als vierzig Jahre (vgl. Rn. 31). [156] Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kommt hinzu, dass Berufs- und Erwerbsbiographien flexibler geworden sind und die schematische Abfolge von Ausbildung, Berufstätigkeit und Ruhestand zunehmend durchbrochen wird. Dies zeigt sich beispielsweise an der Zunahme von Teilzeittätigkeiten und an häufigeren Unterbrechungen der Berufstätigkeit durch Kindererziehungszeiten (vgl. Statistisches Bundesamt, Teilzeitquote nach Geschlecht in der Altersgruppe 15 bis unter 65 Jahren; Personen in Elternzeit). Auch hat die Erwerbstätigkeit im Alter in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Waren 2013 noch 50 % der 60- bis 64jährigen erwerbstätig, lag der Anteil 2023 bereits bei 65 %. In der Gruppe der 65- bis 69-jährigen stieg er von 13 % auf 20 % an. Dabei gewinnt mit zunehmendem Alter die Erwerbsform der Selbstständigkeit an Bedeutung. Im Jahr 2023 waren 31 % der Erwerbstätigen ab 65 Jahren selbstständig. Damit lag der Anteil um ein Vielfaches höher als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen (9 %) (vgl. Statistisches Bundesamt, Erwerbstätigkeit älterer Menschen). Hintergrund dieser Entwicklungen sind unter anderem demographische Veränderungen, die auch auf die gestiegene Lebenserwartung und die – im vorliegenden Verfahren von der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie herausgestellNOTARRECHT BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 481
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