BRAK-Mitteilungen 6/2025

ließen sich etwa die in § 5b I Nr. 1 und 2 BNotO geregelten Fristen für die vorherige anwaltliche Tätigkeit beziehungsweise die örtliche Gebundenheit abschaffen oder verkürzen. Auch die notarielle Fachprüfung gem. § 5b I Nr. 3 BNotO, die Pflicht zur Fortbildung nach bestandener Fachprüfung und die Praxisausbildung gem. § 5b IV BNotO könnten entfallen oder vereinfacht beziehungsweise weiter verkürzt werden. Denkbar wäre schließlich auch eine Kombination mehrerer dieser Maßnahmen. [142] Bei derartigen Reformen würden die Grundrechtsträger zwar weniger belastet als durch die Altersgrenze. Den Zweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren zu schützen, könnten sie allerdings von vornherein nicht erreichen. Ob sie die weiteren Zwecke – geordnete Altersstruktur im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen – in gleicher Weise wie die Altersgrenze förderten, kann dahinstehen. Denn ein erleichterter Berufszugang ginge voraussichtlich mit Belastungen für die Rechtsuchenden in Form von Qualitätseinbußen bei notariellen Leistungen einher. Es liegt jedoch auch insoweit im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, ein qualitativ hochwertiges Notariat sicherzustellen. Diesen Spielraum hat der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit genutzt, indem er die Altersgrenze in ein Gesamtkonzept eingebettet hat, das auf die Sicherung einer hohen Qualität notarieller Dienstleistungen abzielt. Schon mit dem Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare aus dem Jahr 1991, in dem die Altersgrenze eingeführt wurde, hat der Gesetzgeber den Zugang zum Anwaltsnotariat mit dem Ziel der Qualitätssicherung beschränkt (vgl. BT-Drs. 11/6007, 1, 9). Mit dem Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung im Jahr 2009 (BGBl I S. 696) wurde die notarielle Fachprüfung zur Zugangsvoraussetzung zum Anwaltsnotariat erhoben, um fachliche Mindeststandards zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 16/4972, 1). Beim Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts v. 25.6.2021 (BGBl I S. 2154) war dem Gesetzgeber der Bewerbermangel in bestimmten Regionen bereits bekannt (vgl. BT-Drs. 19/26828, 113 f.). Gleichwohl hat er im Wesentlichen davon abgesehen, den Zugang zum Notariat zu erleichtern. Lediglich das Erfordernis einer örtlichen Wartezeit wurde durch den neu eingeführten § 5b III BNotO modifiziert. Stattdessen hat der Gesetzgeber Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Notaramts auf anderem Wege ergriffen, etwa durch die Einführung der Möglichkeit, das Amt vorübergehend aus familiären Gründen – insb. zur Betreuung oder Pflege – ruhen zu lassen (§ 48b BNotO). Der Gesetzgeber ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit nicht gehalten, von diesen Qualitätsanforderungen Abstand zu nehmen. [143] ee) Eine Erhöhung der Gebühren für notarielle Dienstleistungen kommt schließlich ebenfalls nicht als milderes Mittel im verfassungsrechtlichen Sinne in Betracht. Zwar könnte eine Gebührenanpassung das Notariat wirtschaftlich noch attraktiver machen und dadurch das Interesse jüngerer Berufsträger fördern. Eine solche Maßnahme hätte jedoch zur Folge, dass die Rechtsuchenden finanziell stärker belastet würden. Dies könnte den Zugang zur vorsorgenden Rechtspflege erschweren und stünde damit auch dem öffentlichen Interesse entgegen. Der Schutz vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren wäre überdies nicht gleichermaßen gewährleistet. [144] d) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten nichtmehr verhältnismäßig Lebensjahres nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO ist jedoch nicht mehr verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. Sie belastet die Grundrechtsträger unzumutbar. [145] Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (vgl. BVerfGE 155, 119 ‹ 178 Rn. 128 8 – Bestandsdatenauskunft II; 161, 299 ‹ 384 Rn. 203 8 – Impfnachweis ‹ Covid-19 8 ; 166, 1 ‹ 71 8 ; st.Rspr.). Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Belastung, dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 152, 68 ‹ 137Rn. 183 8 – Sanktionen im Sozialrecht). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Zwecke andererseits gegenüberzustellen (vgl. BVerfGE 159, 355 ‹ 413 8 ; 166, 1 ‹ 71 f. Rn. 155 8 ). Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssen hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt werden. Die Intensität des Eingriffs wird in qualitativer Hinsicht bestimmt durch das Maß der Verkürzung der grundrechtlich geschützten Handlungen und Rechtspositionen einschließlich der damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen (vgl. BVerfG, Beschl. des Ersten Senats v. 24.10.2024 – 1 BvL 10/20 – Namensrecht Volljährigenadoption, Rn. 64; BVerfGE 166, 1 ‹ 65Rn. 144 8 – Kinderehe – insoweit in Bezug auf die Erforderlichkeit). [146] Um das Gewicht des Eingriffs zutreffend einzuordnen, sind insb. die Schutzdimensionen des Art. 12 I GG zu beachten. Die Berufsfreiheit hat eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension (vgl. Rn. 103). Art. 12 I GG konkretisiert damit das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab (vgl. BVerfGE 82, 209 ‹ 223 8 ; 163, 107 ‹ 134 Rn. 73 8 ). [147] Nach diesen Maßstäben erweist sich die Regelung nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO als nicht mehr BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 480

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