BRAK-Mitteilungen 6/2025

ordnungsgemäßen Berufsausübung beeinträchtigt sein und Rechtsgüter gefährden, die von der Berufstätigkeit betroffen sind. Solchen Gefahren vorzubeugen, hat das BVerfG bereits mehrfach als legitimen Zweck gesetzlicher oder tariflicher Altersgrenzen für die Berufsausübung angesehen (vgl. BVerfGE 9, 338 ‹ 345 8 –Hebammen; 64, 72 ‹ 83 8 – Prüfingenieure; BVerfGK 4, 219 ‹ 221 f. 8 – Verkehrspiloten; 10, 227 ‹ 233 8 – Verkehrspiloten; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats v. 31.3.1998 – 1 BvR 2167/93 u.a. Rn. 30 – Vertragsärzte). [117] Zu dieser Zweckbestimmung steht in rechtssystematischer Hinsicht nicht im Widerspruch, dass die Altersgrenze nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO für Notarvertreter i.S.d. § 39 BNotO und für Notariatsverwalter i.S.d. § 56 BNotO nicht gilt (vgl. BGH, Beschl. v. 31.7.2000 – NotZ 12/00, MDR 2000, 1462 ‹ 1463 8 ; Bosch, in Eschwey, BeckOK BNotO, § 56 Rn. 38 (Aug. 2025)). Denn diese Ämter stellen von Gesetzes wegen weniger hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Berufsträger als das Notaramt selbst. Der Notarvertreter wird lediglich in Vertretungsfällen tätig (vgl. § 39 BNotO). Der Notariatsverwalter nimmt das Amt nur vorübergehend wahr und wickelt regelmäßig nur laufende Geschäfte ab (vgl. § 56 I und II BNotO). Dementsprechend sind die Voraussetzungen einer Bestellung als Notarvertreter und Notariatsverwalter gegenüber denjenigen einer Bestellung zum Notar insgesamt abgesenkt (vgl. §§ 39 III, 56 VI BNotO). [118] Ebenso wenig spricht gegen diese Zweckbestimmung, dass die Bundesnotarordnung auch über einen rechtlichen Mechanismus verfügt, um die Rechtspflege vor im konkreten Einzelfall nicht mehr leistungsfähigen Notaren zu schützen. Ein Notar kann zwar gem. § 50 I Nr. 7 BNotO wegen Amtsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen seines Amtes enthoben werden. Dazu zählt auch die Amtsunfähigkeit aufgrund einer altersbedingten allgemeinen Schwäche der Körper- oder Geisteskräfte (vgl. Bremkamp, in Frenz/Miermeister, BNotO, 6. Aufl. 2024, § 50 Rn. 73); auch ist eine vorläufige Amtsenthebung möglich (vgl. § 54 BNotO). Eine solche anlassbezogene Regelung schließt aber den Zweck einer weitergehenden typisierenden Regelung durch eine Altersgrenze rechtssystematisch nicht aus. [119] Dem Zweck ist nicht deshalb die Legitimität abzusprechen, weil er die Gefahr einer stereotypen Sicht auf das Alter birgt, wonach ältere Menschen generell als körperlich und kognitiv weniger leistungsfähig eingestuft werden (vgl. dazu die Stellungnahme der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, S. 10 ff.). Der Umstand, dass das Altern ein individueller Prozess ist (vgl. Rn. 129 ff.), stellt nicht die Legitimität des Zwecks an sich, sondern allenfalls Eignung, Erforderlichkeit oder Zumutbarkeit der Altersgrenze als Instrument in Frage. [120] (4) Kein Zweck der Altersgrenze ist es demgegenüber, die Personalplanung der Landesjustizverwaltungen für das Anwaltsnotariat zu erleichtern. Dies wird zwar in einigen Stellungnahmen angenommen. Aufgrund der Altersgrenze hätten die Justizverwaltungen Kenntnis vom (spätesten) Zeitpunkt des Ausscheidens eines jeden Notars. Dies erleichtere es, Notarstellen zeitnah nachzubesetzen. Doch ergibt sich zu einem solchen Zweck weder etwas aus dem Wortlaut der Bundesnotarordnung noch aus den Gesetzesmaterialien. Auch ist objektiv ein Bedürfnis für eine erleichterte Personalplanung nicht ersichtlich. Die Tätigkeit der Justizverwaltung beschränkt sich im Anwaltsnotariat im Wesentlichen darauf, in regelmäßigen Abständen gem. § 4 BNotO den Bedarf für die Bestellung von Notaren zu ermitteln und gegebenenfalls Notarstellen auszuschreiben. Beides ist unabhängig vom Bestehen einer Altersgrenze erforderlich. Damit unterscheidet sich die Situation im Anwaltsnotariat von derjenigen des hauptberuflichen Notariats, wo bereits die Zahl der Anwärterstellen (vgl. §§ 5a, 7 BNotO) mit Blick auf die Zahl später frei werdender Notarstellen bemessen werden muss, sowie des öffentlichen Dienstes. [121] b) Die Altersgrenze nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a noch geeignet BNotO ist trotz veränderter tatsächlicher Rahmenbedingungen zur Erreichung der Gesetzeszwecke im verfassungsrechtlichen Sinne noch geeignet. Insoweit genügt bereits die Möglichkeit, durch die Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen. Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (BVerfGE 158, 282 ‹ 336 Rn. 131 8 ; 163, 107 ‹ 149 Rn. 111 8 ; st.Rspr.). [122] aa) Die Altersgrenze trägt zu einer geordneten Altersstruktur des Notariats im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege und zur gerechten Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen (vgl. Rn. 114) bei. [123] (1) Der gesetzlichen Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres liegt zugrunde, dass Berufsanwärtern der Berufseintritt grundsätzlich nur möglich ist, wenn und soweit bestehende Notarstellen in ausreichender Zahl frei werden. Denn die Stellenzahl ist gesetzlich kontingentiert, um das Entstehen wirtschaftlich nicht tragfähiger Zwergnotariate zu verhindern (vgl. § 4 BNotO). Die Altersgrenze forciert das Freiwerden von Stellen, indem sie kontinuierlich das Ausscheiden lebensälterer Notare erzwingt und ihr Verweilen im Beruf zeitlich begrenzt. Auf diese Weise kann sie lebensjüngeren Berufsanwärtern den Zugang zum Notarberuf eröffnen und den Beruf verjüngen. [124] (2) Gewandelte tatsächliche Gegebenheiten, namentlich der mittlerweile eingetretene Bewerbermangel im Anwaltsnotariat, schränken die Eignung der Altersgrenze im verfassungsrechtlichen Sinne ein, heben sie aber nicht vollständig auf. [125] Der Gesetzgeber hatte mit der Einführung der Altersgrenze im Jahr 1991 auf eine Situation reagiert, in der die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte stark angestiegen war. Von 1980 bis 1990 hatte die Zahl der NOTARRECHT BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 477

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0