BRAK-Mitteilungen 6/2025

verfassungsrechtlich legitimer Zweck [110] aa) Gesetzliche Eingriffe in Grundrechte können lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolgt. Ob dies der Fall ist, unterliegt der Prüfung durch das BVerfG. Es ist dabei nicht auf die Berücksichtigung solcher Zwecke beschränkt, die der Gesetzgeber selbst ausdrücklich benannt hat (vgl. BVerfGE 159, 223 ‹ 298 Rn. 169 8 m.w.N.; 161, 163 ‹ 269 Rn. 291 8 – Erziehungsaufwand; 163, 107 ‹ 138 Rn. 86 8 ; 167, 163 ‹ 212 Rn. 115 8 ). Der Normzweck ergibt sich regelmäßig aus dem objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 150, 244 ‹ 276 Rn. 74 8 ; 161, 63 ‹ 93 Rn. 57 8 – Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; 167, 163 ‹ 212 Rn. 115 8 – Contergan II) und ist mit Hilfe der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu ermitteln, das heißt anhand des Wortlauts der Norm, der Gesetzesmaterialien und ihrer Entstehungsgeschichte, der systematischen Stellung der Norm sowie nach ihrem Sinn und Zweck, wobei sich diese Methoden nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen (vgl. BVerfGE 144, 20 ‹ 212 f. Rn. 555 8 ; 161, 63 ‹ 93 Rn. 57 8 ). Insoweit sind insb., aber nicht ausschließlich, solche Zwecke bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung zu berücksichtigen, die nach dem gesetzgeberischen Willen naheliegen oder aber im verfassungsgerichtlichen Verfahren von den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen vorgebracht werden (vgl. BVerfGE 112, 226 ‹ 244 8 ; 120, 82 ‹ 115 8 ; 140, 65 ‹ 79 f. Rn. 33 8 ; 163, 107 ‹ 139Rn. 87 8 ). Die Berücksichtigung unbenannter oder erst nach Verabschiedung des Gesetzes objektiv hinzugetretener Zwecke findet allerdings dort ihre Grenze, wo das eindeutige gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht würde (BVerfGE 167, 163 ‹ 212 Rn. 115 8 ). [111] bb) Gemessen daran dient die Altersgrenze nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a BNotO legitimen Zwecken. Sie soll im Interesse funktionstüchtiger Rechtspflege eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs erreichen (1), die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht verteilen (2) und die Rechtspflege vor Gefahren durch eine altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren schützen (3). Kein Zweck der Altersgrenze ist es hingegen, die Personalplanung der Landesjustizverwaltungen für das Anwaltsnotariat zu erleichtern (4). [112] (1) Die Festlegung eines Höchstalters für die Befunktionstüchtige Rechtspflege rufsausübung soll eine funktionstüchtige Rechtspflege gewährleisten. Die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses stellt insoweit die Gewährleistung einer geordneten Altersstruktur des Notariats in den Vordergrund (vgl. BT-Drs. 11/8307, 18). Diese bildet jedoch nicht schon für sich genommen den Gesetzeszweck. Sie dient vielmehr als Mittel, um die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege zu gewährleisten. Rechtsuchenden sollen Notare unterschiedlichen Lebensalters zur Verfügung stehen, die aufgrund der Anzahl und Art ihrer Amtsgeschäfte auf allen Gebieten des Notariats über ein Mindestmaß an Berufserfahrung verfügen. Demgegenüber führte ein überaltertes Notariat dazu, dass den Rechtsuchenden in zunehmendem Maße nur noch lebensältere Notare zur Verfügung stünden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats v. 29.10.1992 – 1 BvR 1581/91 Rn. 7). Die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege wäre dadurch in zweifacher Hinsicht gefährdet. Einerseits wäre die Berufserfahrung der nachrückenden Amtsträger wegen ihrer späteren Zulassung geringer. Andererseits könnten Auftraggeber jedenfalls nur unter erschwerten Bedingungen einen Notar einer von ihnen bevorzugten Altersgruppe mandatieren, selbst wenn das persönliche Vertrauen für das Mandat gerade auch auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe beruht. [113] Die Altersgrenze steht insoweit in einem funktionellen Zusammenhang mit den weiteren im Zuge der Novelle 1991 ins Gesetz gelangten altersbezogenen Vorschriften, nämlich der Altersstrukturklausel nach § 4 S. 2 BNotO und der Altersgrenze für die erstmalige Bestellung zum Notar (heute § 5 IV BNotO). Auch diese Vorschriften zielen auf eine geordnete Altersstruktur des Notariats, wie § 4 S. 2 BNotO im Wortlaut ausweist, und sollen der Gefahr der Überalterung des Notarberufs begegnen (vgl. BT-Drs. 11/6007, 10). Eine funktionstüchtige Rechtspflege in dem Sinne zu gewährleisten, dass sowohl die größtmögliche Vielfalt als auch ein Mindestmaß an Berufserfahrung der Träger des Notarberufs gesichert sind, ist ein legitimes Ziel des Gesetzgebers. [114] (2) Die Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres ist ein Mittel, mit dem auch eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen bezweckt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats v. 5.1.2011 – 1 BvR 2870/10 Rn. 13). Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit der Novelle des Jahres 1991 zwar die Berufszugangsbestimmungen verschärfen, aber dennoch den Notarberuf für jüngere Berufsträger offenhalten (BT-Drs. 11/8307, 17). Hierin liegt ein legitimer arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Zweck. [115] (3) Die Altersgrenze nach §§ 47 Nr. 2 Var. 1, 48a nachlassende Leistungsfähigkeit BNotO verfolgt schließlich den legitimen Zweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notaren zu schützen. [116] Zwar lassen die Gesetzesmaterialien ein entsprechendes Anliegen nicht erkennen. Im Ausgangspunkt handelt es sich jedoch um einen sachlichen Zweck. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass die Leistungsfähigkeit des Menschen mit zunehmendem Alter nachlässt. Berufsträger höheren Alters können dadurch in ihrer BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 476

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