Das Sachlichkeitsgebot erstreckt sich auf die Berufsausübung der Anwältin oder des Anwalts. Es gilt nicht für Äußerungen, die keinen Bezug zu konkreten Mandaten haben, wie etwa politische Stellungnahmen oder allgemeine Justizkritik. Ein sanktionierbarer Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot liegt nach § 43a III 2 Alt. 1 BRAO vor, wenn die Anwältin oder der Anwalt bewusst Unwahrheiten verbreitet (sog. „Lügeverbot“). Erforderlich ist dafür direkter Vorsatz; bedingter Vorsatz oder das leichtfertige Aufstellen einer ungeprüften Behauptung genügen nicht. Bei den unwahren Umständen muss es sich um Tatsachen handeln. Unrichtige Rechtsauffassungen oder Mindermeinungen unterfallen hingegen nicht dem Sachlichkeitsgebot; denn eine juristische Argumentation auch gegen eine absolut herrschende Meinung soll durch § 43a III BRAO nicht unterbunden werden. Allerdings werden falsch zitierte Gesetze oder Entscheidungen in Teilen der Literatur als Tatsachen – und damit Falschzitate als falsche Tatsachenbehauptungen – angesehen. Im Zivilprozess, für den nach § 138 ZPO eine Wahrheitspflicht gilt, kann bewusst falscher Vortrag auch als Prozessbetrug strafbar sein (§ 263 StGB). Legt die Anwältin oder der Anwalt aussichtslose Anträge oder Rechtsmittel ein, verletzt sie/er damit jedoch nicht das „Lügeverbot“, vielmehr dürfen prozessual zulässige Rechtsbehelfe grundsätzlich ausgenutzt werden; gleichwohl können aussichtslose Rechtsbehelfe zivilrechtliche Haftungsfolgen haben. Nicht als Verstoß gegen das „Lügeverbot“ eingeordnet wird auch die Verteidigung eines schuldigen Angeklagten, solange die Anwältin oder der Anwalt dazu nicht Unwahres vorträgt oder Beweise verfälscht. Für die Mandantschaft belastende Umstände darf die Anwältin bzw. der Anwalt verschweigen. Aktuell wird das Sachlichkeitsgebot unter dem Gesichtspunkt des „Lügeverbots“ im Zusammenhang mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) zur Erstellung anwaltlicher Schriftsätze diskutiert. Die ungeprüfte Übernahme fehlerhafter Zitate und Textpassagen, die durch sog. Halluzinationen der KI generiert wurden, kann nach Ansicht einiger Stimmen in Literatur und Rechtsprechung eine wissentliche Falschbehauptung sein und wäre damit als Verletzung von § 43a III 2 BRAO berufsrechtlich sanktionierbar. Der dafür erforderliche direkte Vorsatz wird sich indes selten nachweisen lassen. Daher stellen sich KI-Blindzitate vorrangig als Probleme der zivilrechtlichen Anwaltshaftung und nicht der Berufsethik bzw. des Berufsrechts dar. Ein sanktionierbarer Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot liegt außerdem nach § 43a III 2 Alt. 2 BRAO vor, wenn die Anwältin oder der Anwalt herabsetzende Äußerungen tätigt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben. Herabsetzend ist aber nicht bereits jede polemische oder scharfe Äußerung. Vielmehr sind Äußerungen nur dann berufsrechtlich sanktionierbar, wenn sie auch die strafrechtliche Schwelle zur Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) überschreiten. Was strafrechtlich nicht relevant ist, ist auch berufsrechtlich hinzunehmen. Daher spielt der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Im „Kampf ums Recht“ dürfen Anwältinnen und Anwälte nach der Rechtsprechung des BVerfG daher auch starke und eindringliche Formulierungen verwenden, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen. Steht dabei jedoch nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund, ist dies nicht mehr gerechtfertigt. In der Rechtsprechung finden sich zahlreiche Beispiele, wann das berufsrechtlich noch zu tolerierende Maß überschritten ist, etwa die Bezeichnung der Gegenseite als „Lügner und Betrüger“, die Anklage sei in „völliger Trunkenheit“ verfasst worden oder ein Vergleich des zuständigen OLG-Senats mit dem NS-Richter Freisler. (tn) In der Rubrik „Stichwort Berufsrecht“ werden in jeder Ausgabe der BRAK-Mitteilungen Grundbegriffe des anwaltlichen Berufsrechts kurz erklärt. Die BRAK-Mitteilungen wollen so eine schnelle Information über wichtige Bereiche des Berufsrechts wie etwa die Selbstverwaltung oder die anwaltlichen Core Values ermöglichen. Die Stichworte verfassen abwechselnd u.a. Daniela Neumann (DN), Christian Dahns (Da), Dr. Tanja Nitschke (tn) und Prof. Dr. Christian Wolf (CW). AUS DER ARBEIT DER BRAK DIE BRAK IN BERLIN RECHTSANWÄLTIN DR. TANJA NITSCHKE, MAG. RER. PUBL., BRAK, BERLIN Der Beitrag gibt einen Überblick über die Tätigkeit der BRAK auf nationaler Ebene im September und Oktober 2025. Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildete dabei der Beschluss der Hauptversammlung zur Absicherung von Sammelanderkonten durch eine automatisierte Prüfung sowie die hierzu geführten vorbereitenden Gespräche auf ministerieller Ebene. Auch die verschiedenen Gesetzesvorhaben zur weiteren Digitalisierung der JusBRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 AUS DER ARBEIT DER BRAK 444
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