BRAK-Mitteilungen 6/2025

II. DAS POSITIONSPAPIER Das BRAK-Papier unterbreitet einen konkreten Formulierungsvorschlag für eine Ergänzung des Grundgesetzes, der hier einschließlich seiner Begründung im Wortlaut wiedergegeben wird: Formulierungsvorschlag Art. 19 GG wird durch einen weiteren Abs. 5 mit folgendem Wortlaut ergänzt: „Jedermann hat das Recht, sich vor Gericht und in außergerichtlichen Rechtsangelegenheiten unabhängiger anwaltlicher Hilfe zu bedienen.“ Begründung 1. Die Herrschaft des Rechts sowie die Verteidigung und Durchsetzung der Rechte von Menschen und juristischen Personen sind weltweit unter Druck, auch in etablierten Demokratien. Demokratische Wahlen allein sind keine ausreichende Sicherung mehr gegen staatliche Eingriffe in die etablierte und noch als selbstverständlich angesehene Möglichkeit, sich in allen rechtlichen Angelegenheiten unabhängigen anwaltlichen Beistands bedienen zu können. 2. Deshalb ist eine Verankerung des Rechts auf eine unabhängige anwaltliche Unterstützung beim Zugang zum Recht geboten. Dabei sollte die verfassungsrechtliche Gewährleistung bei demjenigen anknüpfen, der Rechtsrat sucht. Ihm ausdrücklich ein Grundrecht zu gewähren, sich in Rechtsangelegenheiten unabhängiger anwaltlicher Hilfe bedienen zu können, wirkt sich – vermittelt über die Berufsfreiheit der Anwältinnen und Anwälte aus Art. 12 Abs. 1 GG – auch auf den anwaltlichen Berufsträger aus. Dieser Ansatz trägt auch dem dienenden Charakter anwaltlicher Rechte und Freiheiten Rechnung. 3. Richtiger Standort ist Art. 19 GG. Anstelle einer Einführung in oder Ergänzung am Ende von Abs. 4 erscheint ein neuer Abs. 5 sachgerecht. Durch die Regelung außerhalb von Abs. 4 wird auch systematisch klargestellt, dass das Recht, sich unabhängiger anwaltlicher Hilfe zu bedienen, nicht auf Gerichtsverfahren gegen die öffentliche Gewalt beschränkt ist, sondern auch zivilrechtliche Streitigkeiten und die Beratung und Vertretung in außergerichtlichen Rechtsangelegenheiten umfasst. 4. Die Ausrichtung auf anwaltliche Hilfe dient der Sicherung eines qualifizierten Beistandes. Sie dient auch der indirekten Einbeziehung der herkömmlichen, bislang aber nur einfach-gesetzlich festgeschriebenen Sicherungen der Unabhängigkeit und der übrigen Kernelemente anwaltlicher Berufsausübung. Gerade wegen dieser tradierten Ausgestaltung anwaltlicher Berufstätigkeit in Deutschland spricht das Bundesverfassungsgericht vom Rechtsanwalt als dem „berufenem unabhängigen Berater und Beistand“ (BVerfGE 110, 226 [252]). Es ist besser, dieses Qualifikations- und Schutzniveau beizubehalten und nicht wie in Art. 47 Satz 2 der Europäischen Grundrechte-Charta nur ein allgemeines Recht auf Beratung, Verteidigung und Vertretung durch wen auch immer einzuräumen. Im Übrigen hat die Ausrichtung eines neuen Verfassungstextes auf „anwaltliche Hilfe“ zugleich den – in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich klarzustellenden – Effekt, dass damit die für den Anwaltsberuf in Deutschland „hergebrachten Grundsätze“ in Bezug genommen und verfassungsrechtlich mit verankert werden. 5. Die vorgeschlagene Formulierung wird diesen Zielen gerecht. Sie geht vom insoweit grundrechtsberechtigten Jedermann aus. Sie ist auf alle gerichtlichen Verfahren und auch auf außergerichtliche Rechtsangelegenheiten bezogen, also umfassend. Sie greift mit dem „bedienen“ eine Wortwahl aus § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO auf. Sie bezieht das durch die Formulierung „anwaltliche Hilfe“ auf die Beratung und Vertretung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, und zwar in dem Rahmen, wie er in Deutschland seit über 100 Jahren einfach-gesetzlich festgeschrieben und in der Praxis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert ist. Die besondere Stoßrichtung, dabei im Interesse des anwaltlich Vertretenen die Unabhängigkeit seines anwaltlichen Beistands gegenüber staatlichen oder dem Staat zuzurechnenden Eingriffen zu schützen, wird als Kerngedanke der Regelung ausdrücklich hervorgehoben. Andere für das Mandanten-Anwalts-Verhältnis ebenfalls grundlegende Prinzipien werden durch die Formulierung anwaltlicher Hilfe ergänzend mit einbezogen. Zusätzliche Ansprüche auf staatliche Finanzierung anwaltlicher Beratung und Vertretung sollen durch die Norm nicht ausgelöst werden. III. PERSPEKTIVE Die Forderung der BRAK, nach der Verfassungsgerichtsbarkeit auch die unabhängige, selbstverwaltete Anwaltschaft resilienter gegen rechtsstaatsfeindliche politische Einflüsse zu machen, hat bereits im Vorfeld des Beschlusses der Hauptversammlung positive Resonanz erfahren.7 7 S. insb. Gerhold, Diabolus Advocati – Freie Advokatur in unruhigen Zeiten, Verfassungsblog v. 30.4.2025 – als Reaktion auf Wessels, BRAK-Mitt. 2025, 87. Das Positionspapier hat die BRAK u.a. den rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Bundestagsfraktionen, dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages sowie dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zugeleitet. Der Beschluss der Hauptversammlung fand breites Medienecho8 8 S. etwa Suliak, LTO v. 19.9.2025; beck-aktuell v. 19.9.2025; haufe.de v. 29.9.2025; ZAP v. 22.10.2025; s. ferner Remmers im Gespräch mit Harbarth, HAZ v. 6.10. 2025. und wird auch durch den Deutschen Anwaltverein unterstützt.9 9 So u.a. zuletzt dessen Präsident von Raumer, SWR Radio Report Recht v. 23.10. 2025. Die BRAK wird das Thema intensiv weiterverfolgen. Eine Änderung des Grundgesetzes erfordert große MehrheiAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2025 415

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