BRAK-Mitteilungen 5/2025

lichen Maßnahmen und Beschränkungen bedingen und eine Vergleichbarkeit i.S.d. Art. 3 I GG ausschließen. [59] f) Da sich nach alledem die Regelung in § 59f II Nr. 1 BRAO i.V.m. § 59i I 1 BRAO als verfassungsgemäß erweist, ist eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 I GG, §§ 80 ff. BVerfGG nicht veranlasst. Eine Vorlagepflicht besteht ohnehin nicht schon bei Zweifeln an der Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes, sondern nur, wenn das entscheidende Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Norm überzeugt ist (vgl. Senat, Beschl. v. 11.11.2024 – AnwZ (Brfg) 35/23, NJW 2025, 660 Rn. 69 m.w.N.). Dies ist nicht der Fall. [60] g) Entgegen der Auffassung der Kl. sind die §§ 59b ff. BRAO, soweit sie dem Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Rechtsanwaltsgesellschaft durch eine Steuerberatungsgesellschaft entgegenstehen und die Zulassung als Berufsausübungsgesellschaft nach der BRAO ausschließen, wenn an der die Zulassung begehrenden Gesellschaft eine berufsfremde Berufsausübungsgesellschaft – hier eine Steuerberatungsgesellschaft – beteiligt ist, mit Unionsrecht vereinbar. [61] Weder liegt ein Verstoß gegen Art. 15 II Buchst. c, kein Verstoß gegen Europarecht III der Richtlinie 2006/123/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) vor noch ist Art. 63 AEUV verletzt. [62] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) stehen Art. 15 II Buchst. c und III der Richtlinie 2006/123/EG und Art. 63 AEUV einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2024 – C-295/23, NJW 2025, 425 Rn. 47 ff.). Dies gilt für die hier vorliegende Konstellation entsprechend, selbst wenn die Steuerberatungsgesellschaft dem Vortrag der Kl. entsprechend nicht nur reine Finanzinvestorin ist, sondern aktiv Unterstützungsleistungen für die Kl. erbringt. [63] aa) Ein Verstoß gegen Art. 15 II Buchst. c und III der Dienstleistungsrichtlinie liegt nicht vor. Zwar fällt die Rechtsberatung, welche die von den Rechtsanwälten erbrachte Rechtsdienstleistung umfasst, in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie und liegt in der Beschränkung des Kreises der als Gesellschafter in Betracht kommenden Personen durch § 59i I 1 BRAO eine Anforderung i.S.d. Art. 4 Nr. 7 der Dienstleistungsrichtlinie, die sich im Kern auf die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen bezieht und damit unter Art. 15 II Buchst. c dieser Richtlinie fällt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12. 2024 – C-295/23, NJW 2025, 425 Rn. 59 f.). Diese Beschränkung ist indes zulässig, denn sie erfüllt die Bedingungen des Art. 15 III der Dienstleistungsrichtlinie. Sie hat keinen diskriminierenden Charakter und ist erforderlich sowie verhältnismäßig i.S.d. Vorschrift. [64] Erforderlich ist eine Regelung hiernach, wenn die dort aufgestellten Anforderungen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Dies ist bei der Beschränkung der Gesellschafterposition in einer doppelstöckigen anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft auf nach der BRAO zugelassene Berufsausübungsgesellschaften entgegen der Auffassung der Kl. der Fall. Diese dient – wie oben unter I 2 d cc (2) (a) ausgeführt – der Absicherung der anwaltlichen Grundpflichten und damit dem übergeordneten Gemeinwohlziel einer funktionierenden Rechtspflege. Die Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege, der Schutz der Rechtsuchenden und die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs stellen zwingende Gründe des Allgemeininteresses i.S.v. Art. 15 III, Art. 4 Nr. 8 der Dienstleistungsrichtlinie i.V.m. deren 40. Erwägungsgrund dar und werden auch bei der Auslegung des Primärrechts durch den Gerichtshof als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2024 – C-295/23, NJW 2025, 425 Rn. 65). [65] Auch die Verhältnismäßigkeit i.S.d. Art. 15 III der Richtlinie liegt vor. Diese setzt voraus, dass die hier in Rede stehende Beschränkung zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet ist, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden kann, die zum selben Ergebnis führen. Im Hinblick darauf, dass es den Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Harmonisierung der für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Berufs- und Standesregeln auf Unionsebene grundsätzlich freisteht, die Ausübung dieses Berufs in ihrem Hoheitsgebiet zu regeln, steht ihnen insoweit ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2024 – C-295/23, NJW 2025, 425 Rn. 72 f.). Unter Berücksichtigung dieses Beurteilungsspielraums durfte der Gesetzgeber die Beschränkung der Gesellschafterposition in doppelstöckigen Berufsausübungsgesellschaften für verhältnismäßig i.S.d. Art. 15 III Buchst. c der Dienstleistungsrichtlinie halten. Wie oben unter I 2 d cc (2) (b) und (c) bei den Erwägungen zu Art. 12 GG im Einzelnen ausgeführt, ist die Beschränkung zur Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Ziels der Absicherung der anwaltlichen Grundpflichten im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege geeignet und geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Auch ist – wie oben unter I 2 d cc (2) (b) und (c) (cc) ausgeführt – unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers seine Einschätzung, dass die Absicherung der anwaltlichen Berufspflichten nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen in gleichem Maße erreicht werden kann, nicht zu beanstanden. [66] bb) Auch ein Verstoß gegen die durch Art. 63 AEUV verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit liegt – entgegen der Auffassung der Kl. – nicht vor. Zwar wird durch § 59i I 1 BRAO der Erwerb von Gesellschaftsanteilen an BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 390

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