BRAK-Mitteilungen 5/2025

Art. 8 II EMRK vorsehen muss. Besonders bei Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung seien effektive verfahrensrechtliche Garantien erforderlich. Im konkreten Fall sah der EGMR Art. 8 EMRK ungerechtfertigt als verletzt an, da weder eine richterliche Vorabkontrolle noch eine wirksame nachträgliche Überprüfung möglich war. Der Schutzbereich des Art. 8 EMRK, der sich auch auf Kanzleiräume erstreckt und das Berufsgeheimnis umfasst, gilt zudem nicht nur für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, sondern sinngemäß auch für andere rechtsberatende Berufe.19 19 Die hohen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit betonte jüngst auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Juli 2025 – 1 BvR 398/24. IV. MEINUNGSFREIHEIT VERSUS ERFOLGSHONORAR Nachdem 2023 die Entscheidung des EuGH zur Transparenz von anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen für Rechtsunsicherheit gesorgt hat,20 20 EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C-395/21, BRAK-Mitt. 2023, 173 mit Anm. Kunze. Zur Unterstützung der anwaltlichen Praxis wurden auf der 84. Tagung der Gebührenreferentinnen und -referenten am 6.4.2024 in Stuttgart Handlungshinweise für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verabschiedet. verhielt sich 2024 einzig das EGMR in einem Urteil v. 12.11.2024 (Beschwerdenr. 37398/21) zu anwaltlicher Vergütung. Konkret ging es in dem zugrundeliegenden Ausgangsverfahren um eine vor Gericht unterlegene beklagte Verlagsgesellschaft – die britische Daily Mail –, die aufgrund einer persönlichkeitsverletzenden Berichterstattung über einen lybischen Geschäftsmann nicht nur zum Schadensersatz verurteilt wurde, sondern auch zur Kostenerstattung des klägerischen anwaltlichen Erfolgshonorars i.H.v. 250.000 GBP. Der EGMR sah mit Blick auf die als unangemessen befundene Höhe des Erfolgshonorars eine Verletzung der Meinungsfreiheit i.S.d. Art. 10 EMRK. Extrem hohe anwaltliche Erfolgshonorare könnten das Prozesskostenrisiko für Medienunternehmen derart erhöhen, dass sie im Zweifel auf eine Berichterstattung verzichten könnten. V. RECHTSBERATUNG UNTER SANKTIONEN – ABGRENZUNG NOTARIELLER AMTSTÄTIGKEIT Mit Urteil v. 5.9.2024 in der Rechtssache C-109/23 „Jemerak“ hat die Zweite Kammer des EuGH erstmals grundlegend zur Reichweite des im Zuge des achten Sanktionspakets gegen Russland eingeführten Rechtsberatungsverbots in Art. 5n II Buchst. b VO (EU) 833/ 2014 Stellung genommen. Dem Wortlaut zufolge ist es „verboten, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung [...] für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erbringen“. Vorliegend streitig war, ob dieses Verbot auch die notarielle Beurkundung eines Immobilienkaufvertrags erfasst, wenn die veräußernde Partei eine in Russland ansässige juristische Person ist und sich das Kaufobjekt im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats befindet. Der EuGH verneinte dies und stellte klar, dass eine solche notarielle Tätigkeit nicht unter das unionsrechtliche Beratungsverbot fällt. Entscheidend war für den Gerichtshof zunächst die funktionale Einordnung der Amtstätigkeit: Die notarielle Beurkundung diene nicht der parteilichen Interessenvertretung, sondern erfolge neutral, unabhängig und im öffentlichen Interesse an der Rechtssicherheit. Die Tätigkeit des Notars sei – im Gegensatz zu klassischer Rechtsberatung – nicht parteigebunden, sondern staatlich reguliert und objektivrechtlich determiniert.21 21 EuGH, Urt. v. 5.9.2024 – Jemerak Rn. 44. Damit falle die Notartätigkeit auch nicht unter die vom EuGH vorgenommene Bestimmung des Begriffs „Dienstleistungen [im Bereich der] Rechtsberatung“ i.S.v. Art. 5n II der Verordnung Nr. 833/2014.22 22 EuGH, Urt. v. 5.9.2024 – Jemerak Rn. 41 ff., 45. Besondere Bedeutung misst der Gerichtshof überdies dem Umstand bei, dass das Verständnis der Vorschrift nicht zu einer inkohärenten Wirkung im Binnenmarkt führen dürfe. Würde man das Verbot auf die notarielle Mitwirkung erstrecken, könnten Immobilientransaktionen in Mitgliedstaaten, in denen Notare zwingend einzubeziehen sind, de facto nicht mehr durchgeführt werden, während sie in anderen Mitgliedstaaten mit freier Vertragsform weiterhin möglich wären. Der EuGH wertet diese potenzielle „Wirkungsvielfalt des Verbots“, die allein auf unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Notariatsordnungen beruht, als unionsrechtlich unerwünscht. Eine derart systemfremde Ungleichbehandlung im Binnenmarkt lasse sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der Sanktionsverordnung ableiten.23 23 EuGH, Urt. v. 5.9.2024 – Jemerak Rn. 49 ff. Der Gerichtshof nimmt damit eine differenzierte Auslegung des Begriffs „Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung“ vor. Nicht jede Form der rechtlichen Unterstützung fällt unter das Verbot – entscheidend ist die parteiliche, interessengeleitete Komponente. Damit liegen der EuGH und die Rechtsprechung des BVerfG mit Blick auf die Abgrenzung notarieller Amtstätigkeit auf einer Linie. VI. EXKURS: ALTERSGRENZE IM ANWALTSNOTARIAT VOR DEM EuGH Bei den Notarinnen und Notaren und deutschen Vorabentscheidungsersuchen verblieben: Mit Urteil v. 17.10. 2024 in der Rechtssache C-408/23, „Anwaltsnotarin“ hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die in § 5 IV BNotO verankerte Höchstaltersgrenze von 60 Jahren für die erstmalige Bestellung zur Anwaltsnotarin mit Unionsrecht vereinbar ist. Die EntAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 341

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