BRAK-Mitteilungen 5/2025

gen in das Zentrum unionsrechtlicher Schutzmechanismen. Besonders hervorzuheben sind zwei thematische Schwerpunktbereiche: Zum einen die unionsrechtliche Zulässigkeit des deutschen Fremdbesitzverbots an Rechtsanwaltsgesellschaften, zum anderen das Spannungsverhältnis zwischen dem anwaltlichen Berufsgeheimnis und steuerrechtlichen Mitteilungspflichten nach der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). Mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR verdienen insb. die Entscheidungen zur Durchsuchung von Kanzleiräumen sowie zur Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen besondere Beachtung. Hierneben erging 2024 – ebenfalls durch die Feder des EGMR – das Urteil in der Rechtssache Jemerak zur Reichweite des im Zuge des achten Sanktionspakets gegen Russland eingeführten Rechtsberatungsverbots in Abgrenzung zur notariellen Amtstätigkeit. I. BERUFSGEHEIMNIS VERSUS MELDEPFLICHTEN NACH DAC 6 Die DAC 6-Richtlinie1 1 RL (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen. verpflichtet sog. Intermediäre zur Anzeige bestimmter grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Zwecks Umsetzung dieser ist in Deutschland zum 1.1.2020 das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen in Kraft getreten. Die verankerten Meldepflichten treffen auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, soweit diese als Intermediäre auftreten.2 2 EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – Orde van Vlaamse Balies u.a. – C-694/20 Rn. 22, BRAKMitt. 2023, 40 Ls. Damit rückte ein besonders sensibles Spannungsfeld in den Fokus des Unionsrechts: jenes zwischen der berufsrechtlich verankerten anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht und den durch DAC 6 eingeführten Mitteilungspflichten an die Finanzverwaltung. Bereits mit Urteil v. 8.12.2022 im Rechtsstreit Orde van Vlaamse Balies u.a. (Rs. C-694/20) hatte der EuGH entschieden, dass die Verpflichtung eines von der primären Meldepflicht befreiten Rechtsanwalts, andere Intermediäre über deren Pflichten zu unterrichten, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das anwaltliche Berufsgeheimnis darstellt – damit wurde der damalige Art. 8ab V der EU-Amtshilferichtlinie (Art. 1 Nr. 2 DAC 6) insoweit für ungültig erklärt.3 3 EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – Orde van Vlaamse Balies u.a. – C-694/20 Rn. 66, BRAKMitt. 2023, 40 Ls. Der Gerichtshof sah darin einen Verstoß gegen Art. 7 GRCh, der den Schutz der privaten Kommunikation – einschließlich der beruflichen Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant – gewährleistet. Diese Linie bestätigte der EuGH 2024 gleich zweimal: 1. SONDERSTELLUNG DER ANWALTSCHAFT In seinem Urteil v. 29.7.2024 in der Rechtssache C623/22 stand die belgische Umsetzung der DAC 6Richtlinie zur Überprüfung: Nach belgischem Recht konnten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zwar aufgrund ihres Berufsgeheimnisses von der Meldepflicht befreit werden. Diese Befreiung war jedoch mit einer subsidiären Unterrichtungspflicht verknüpft: Sie sollten andere an der Gestaltung beteiligte Intermediäre über deren eigene Meldepflicht in Kenntnis setzen. Gleich mehrere Berufsverbände wandten sich gegen diese sekundäre Informationspflicht und rügten unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2022 einen unzulässigen Eingriff in das geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. In seinem Urteil bekräftigte der Gerichtshof erneut die hohe Bedeutung des anwaltlichen Berufsgeheimnisses. Zwar sei das Ziel der Bekämpfung aggressiver Steuervermeidung legitim, doch dürfe dies nicht zu einer Aushöhlung der anwaltlichen Vertraulichkeit führen. Die Pflicht, Dritte zu informieren, stelle – selbst bei einer Befreiung von der unmittelbaren Meldepflicht – einen unzulässigen Eingriff in Art. 7 GRCh dar. Die Besonderheit der Entscheidung lag jedoch darin, dass der EuGH urteilte, dass die Rechtsprechung aus Dezember 2022 ausschließlich für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gelte und nicht für andere zur Vertretung vor Gericht ermächtigte Berufsangehörige.4 4 EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-623/22 Rn. 118 ff., BRAK-Mitt. 2024, 302 Ls. Dies begründete der Gerichtshof mit dem besonderen Schutz, der sich aus der herausgehobenen Stellung der Anwaltschaft innerhalb der gerichtlichen Organisation der Mitgliedstaaten sowie aus den ihr übertragenen zentralen Aufgaben ableite.5 5 EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-623/22 Rn. 116. BRAK-Mitt. 2024, 302 Ls. Den Rechtanwältinnen und Rechtsanwälten werde schließlich in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen.6 6 EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-623/22 Rn. 115, BRAK-Mitt. 2024, 302 Ls.; so bereits EGMR, Urt. v. 6.12.2012 – Michaud/Frankreich. Eine Übertragung dieses Schutzes auf andere freie Berufe sei nicht ohne weiteres möglich. 2. UNABHÄNGIGKEIT VOM RECHTSGEBIET Nicht einmal zwei Monate später erging bereits die zweite Entscheidung – diesmal zur luxemburgischen Umsetzung der DAC-Richtlinie mit Urteil v. 26.9.2024 (C-432/23). In dem zugrundeliegenden Ausgangsverfahren ersuchten die spanischen Steuerbehörden – noch auf Grundlage der Richtlinie 2011/16/EU über die Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Besteuerung (DAC) – die luxemburgischen Behörden um Auskunft über eine unter Mitwirkung einer luxemburgischen Anwaltskanzlei vorbereitete unternehmensbezogene Transaktion einer Gesellschaft spanischen Rechts. Die luxemburgische Steuerverwaltung verpflichtete daraufhin die Kanzlei – gestützt auf das innerstaatliche Umsetzungsgesetz zur DAC – zur Herausgabe sämtlicher im Zusammenhang mit der Mandatsbearbeitung BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 AUFSÄTZE 338

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