BRAK-Mitteilungen 5/2025

doch zur Argumentation heranzieht. Eine solche Mehrarbeit führt aber nicht zu einem Schaden für den Mandanten. Prozessuale Kostenerstattungsansprüche, etwa wegen vermeidbarer Mehrarbeit, hätte nur die obsiegende Partei wegen § 91 ZPO. Ersetzbar wären dann aber nur die sowieso entstandenen RVG-Gebühren, die sich in der Regel durch die Mehrarbeit nicht erhöhen.58 58 Schoene, GRUR-Prax 2025, 475. Insofern verhält es sich im Grundsatz nicht anders, als wenn die Gegenseite einen sehr schlechten Schriftsatz einreicht, der unstrukturiert, verwirrend und/oder mit abwegigen Rechtsansichten gespickt ist. cc) WEITERE VERZÖGERUNGSSCHÄDEN Theoretisch denkbar ist indes, dass sich das Verfahren durch den Einsatz von KI-Halluzinationen aus den genannten Gründen verzögert. In Betracht kommt dann ein Zins- und Verzögerungsschaden des Mandanten. Auch hier wird zu prüfen sein, ob ohne den Einsatz von KI tatsächlich ein schnellerer Abschluss des Prozesses zu erwarten gewesen wäre, was in der Regel zu verneinen ist, vor allem wenn es sich um KI-Halluzinationen in Form von falschen Urteilen/Literaturstellen handelt. Ebenso ist aber denkbar, dass die KI selbst aufgrund eines nicht existierenden Urteils oder einer falschen Literaturstelle eine Partei nicht als Kaufmann einschätzt und daher einen falschen Zinssatz in einem generierten Schriftsatz erzeugt.59 59 S. dazu auch den Soldan Moot Fall aus 2024, abrufbar unter: https://soldanmoot. de/wp-content/uploads/2024/07/Soldan_Moot_Fall_2024-1.pdf. 2. AUSWIRKUNG AUF DIE HONORARANSPRÜCHE Erfährt der Mandant von der ungeprüften Verwendung von KI-Halluzinationen, wird dies in der Regel zur Kündigung des Mandatsvertrags führen. Die Mandatskündigung führt aber nicht unmittelbar zur Auflösung der Leistungspflicht. Eine bis zur Kündigung entstandene Teilvergütung steht der Anwältin bzw. dem Anwalt nach § 628 I 2 BGB jedoch nicht zu, wenn ihr/sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung verursacht hat. In solchen Fällen besteht ausnahmsweise kein Anspruch auf Vergütung nach § 628 I 1 BGB, soweit ihre/seine bisherige Tätigkeit durch die Kündigung für den Mandanten keinen Nutzen mehr hat.60 60 Kilian/Koch/Kilian, AnwBerufsR, 2. Aufl. 2018, B. Rn. 790 ff. Ein Fortfall des Interesses i.S.d. § 628 I 2 BGB wird regelmäßig angenommen, wenn der Auftraggeber die Rechtsdienstleistung wirtschaftlich nicht mehr verwerten kann. Die Rechtsprechung beurteilt dies grundsätzlich nach dem Maßstab der Nutzlosigkeit der Aufwendungen.61 61 BGH, NJW-RR 2012, 294, 296. Dies gilt insb. bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, wenn der Mandant, einen anderen Anwalt beauftragen muss, der für die gleichen Leistungen erneut Gebühren erhebt.62 62 Borgmann/Jungk/Schwaiger/Schwaiger Anwaltshaftung, 6. Aufl. 2020, Kapitel V. Rn. 159. Überdies kann bei Vorliegen des vertragswidrigen Verhaltens der Mandant Ersatz des Schadens verlangen, der durch die Aufhebung des Mandatsverhältnisses entstanden ist (§ 628 II BGB). Die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 sind im Einzelnen jedoch umstritten.63 63 Zur Kritik am BGH, Urt. v. 16.7.2020– IX ZR 298/19, Juretzek, DStR 2020, 2215; Mäsch, JuS 2021, 175. Setzt man voraus, dass Absatz 1 Satz 2 ein vertragswidriges Verhalten voraussetzt, das ursächlich für die Kündigung sein muss,64 64 BGH, NJW 2019, 1870. Näher zu Kündigung, Vollkommer/Greger/Heinemann/ Heinemann AnwaltshaftungsR/, 5. Aufl. 2021, § 6 Rn. 5a; zur Abdingbarkeit der Regelungen, Kilian/Koch/Kilian AnwBerufsR, 2. Aufl. 2018, B. Rn. 605. und Absatz 2 einen wichtigen Grund fordert,65 65 BGH, NJW 2020, 2538; BeckOK BGB/Horcher, 75. Ed. 1.8.2025, BGB § 628 Rn. 12. dann wird trotzdem nicht jede ungeprüft übernommene Halluzination einer KI automatisch die Rechtsfolgen der Tatbestände auslösen. Es reicht nämlich auch für Absatz 1 nicht jeder geringfügige Vertragsverstoß aus.66 66 BGH, NJW 2011, 1674 Rn. 15. Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes wird gar ein Verhalten gefordert, welches das Vertrauensverhältnis zum Mandanten ernsthaft erschüttert oder zerstört hat und dem Mandanten daher eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.67 67 Ausführlich dazu Kilian/Koch/Kilian, AnwBerufsR, 2. Aufl. 2018, B. Rn. 795 ff. Jedenfalls dürfte so oder so die Schwelle regelmäßig nicht erreicht sein, wenn lediglich vereinzelt falsche Urteile verwendet werden. Auch hier ist ein Vergleich mit einem rein menschlichen Fehlverhalten hilfreich. Man würde wohl kaum annehmen, dass ein Mandant das Mandatsverhältnis allein deshalb kündigt, weil der Rechtsanwalt an ein oder zwei Stellen falsch zitiert hat, während die übrige rechtliche Würdigung von hoher Qualität ist und die rechtliche Vorgehensweise im Sinne des Mandanten zielführend bleibt. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn die KI-Halluzination die schriftlichen Ausarbeitungen teilweise unbrauchbar machen oder aufgrund falscher Urteile eine fehlerhafte Vorgehensweise vorgeschlagen wird. In einem solchen Fall ist die anwaltliche Berufspflicht zur gewissenhaften Auswertung von Urteilen verletzt, auf die der Rechtsuchende vertrauen kann (s. III 1.b.aa). IV. SCHLUSSBEMERKUNG Fehlerhafte oder nichtexistierende Urteile und Literaturstellen sind als unwahre Tatsachen anzusehen (s. II.1.a.). Die ungeprüfte Verwendung solcher KI-Halluzinationen kann haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Schreibt man dem Satz 1 des § 43a III BRAO einen eigenen Anwendungsbereich zu, kann ebenfalls das Sachlichkeitsgebot verletzt sein oder, wenn man aus den genannten Gründen das Sachlichkeitsgebot nicht heranzieht, auf die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 43 BRAO zurückgegriffen werden (S.II.3.). Die gehäufte Verwendung von KIHalluzinationen und die damit einhergehende Verbreitung von unwahren Tatsachen könnte indes auch Anlass geben, über eine weitere Konkretisierung des Sachlichkeitsgebots nochmals nachzudenken. Die Anwaltschaft muss sich letztlich die Frage stellen, ob die sorgBRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 AUFSÄTZE 322

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