BRAK-Mitteilungen 5/2025

geber auf den Begriff „bewusst“ zurück, so dürfte damit in aller Regel ein vorsätzliches Handeln gemeint sein. Bewusst meint absichtlich, gewollt, willentlich.17 17 So nach Duden, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/bewusst. Ob einem Anwalt oder einer Anwältin nun bei der Verwendung von KI generierten Ergebnissen direkter Vorsatz in Bezug auf die Unwahrheit unterstellt werden kann, ist nicht nur entscheidend für die Nachweisbarkeit eines Berufsrechtsverstoßes, sondern hat zugleich haftungsrechtliche Auswirkungen. So ist die Fragestellung insb. relevant für die Ausschlussgründe der Haftung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Berufshaftpflichtversicherung. Nach § 51 III Nr. 1 BRAO kann von der Versicherung die Haftung ausgeschlossen werden für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung.18 18 Zu den weiteren Fallgruppen Hartung/Scharmer/Grams, 8. Aufl. 2022, BRAO § 51 Rn. 18 ff. Auch unter dem Begriff „wissentliche Pflichtverletzung“ wird zumindest direkter Vorsatz zu fordern sein.19 19 Hartung/Scharmer/Grams, 8. Aufl. 2022, BRAO § 51 Rn. 19; Borgmann/Jungk/ Schwaiger/Weinbeer/Jungk, Anwaltshaftung, 6. Aufl. 2020, Kapitel VIII. Rn. 18. Es ist jedoch derzeit typischer Bestandteil der KI-Nutzung, dass die Systeme zur Arbeitserleichterung eingesetzt werden. Daher erscheint es nicht plausibel, dem Anwender zu unterstellen, er habe alle Angaben und Ergebnisse der KI eingehend überprüft und diese nach Feststellung ihrer Unrichtigkeit dennoch bewusst verwendet. Mangelnde Sorgfalt führt nicht zur Annahme einer bewussten Verbreitung. Macht die Anwältin oder der Anwalt sich die Ergebnisse zu eigen, nimmt er oder sie schlicht billigend in Kauf, dass die KI fehlerhaft auf seine bzw. ihre Prompts reagiert hat.20 20 So auch zur ArbeitserleichterungErnst, MDR 2025, R197, R198. Ausführlich zum Vorsatz und sich eher gegen einen beruflichen Vorsatz aussprechend Braegelmann, KIR 2025, 341, 343. c) PROZESSBETRUG Aufgrund der Nachweisschwierigkeiten in Bezug auf den Vorsatz wird ebenso grundsätzlich der in der Berichterstattung immer wieder erwähnte Prozessbetrug scheitern. Da bisher die KI-Halluzinationen immer vorab entdeckt wurden, kommt in solchen Konstellationen ohnehin nur der versuchte Prozessbetrug in Betracht. Vollendet ist der Prozessbetrug erst durch eine gerichtliche Entscheidung, durch die eine Prozesspartei geschädigt wird.21 21 TK-StGB/Perron, 31. Aufl. 2025, StGB § 263 Rn. 76 Dabei wird der Vorsatz zumeist schon an der erforderlichen wissentlichen Falschangabe scheitern.22 22 Zum Erfordernis BGH, BeckRS 2019, 30065. Aus den zuvor genannten Gründen wird daher auch der Prozessbetrug an der Absicht der rechtswidrigen Bereicherung scheitern. Einer Rechtsanwältin bzw. einem Rechtsanwalt wird man, wenn sie oder er ungeprüft eine fehlerhafte oder halluzinierte Entscheidung verwendet, nicht unterstellen können, dass sie oder er die Entscheidung dennoch als unzulässiges Mittel der Rechtsdurchsetzung einsetzt, um einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu erlangen. 2. VERSTOSS GEGEN DAS SACHLICHKEITSGEBOT NACHSATZ1 Kaum diskutiert wird indes die Möglichkeit, ob ein Berufsrechtsverstoß auf § 43a III 1 BRAO gestützt werden kann. Dies mag auch daran liegen, dass allgemein schon umstritten ist, ob neben Satz 2 dem Satz 1 noch ein eigener Anwendungsbereich zukommt. Dies wird überwiegend in der einschlägigen Literatur, teilweise deutlich, abgelehnt.23 23 So z.B. Kilian/Koch/Kilian AnwBerufsR, 2. Aufl. 2018, B. Rn. 921; den Rekurs auf das in § 43a III 1 statuierte allgemeine Sachlichkeitsgebot in der Praxis als weitgehend überflüssig und als problematisch ansehend Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, 9. Aufl. 2022, BRAO § 43a Rn. 97. Zwar spricht der Wortlaut für einen Anwendungsbereich des Sachlichkeitsgebots über die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten und die Tätigung herabsetzender Äußerungen hinaus. Eingeleitet wird Satz 2 durch das Wort „...insbesondere...“, das spricht dafür, dass die genannten Fälle nicht abschließend sind, sondern vielmehr eine Konkretisierung darstellen.24 24 Hartung/Scharmer/Peitscher, 8. Aufl. 2022, BRAO § 43a Rn. 112. Demgegenüber stehen aber verfassungsrechtliche Bedenken. So sind dem Sachlichkeitsgebot eben durch die Entscheidung des BVerfG25 25 BVerfG, NJW 1988, 191. enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt worden.26 26 Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 177; Hartung/Scharmer/Peitscher, 8. Aufl. 2022, BRAO, § 43a Rn. 81. Der Satzungsgeber unterließ es bisher, dem Satz 1 letztlich eine eigenständige Bedeutung zu geben.27 27 Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 180 ff.; Henssler/Prütting/Busse, 6. Aufl. 2024, BRAO § 59a Rn. 22. Das BVerfG hatte indes ausdrücklich die Zulässigkeit weiterer Anwendungsbereiche offengelassen.28 28 BVerfG, NJW 1988, 191, 194. Der Gesetzgeber übernahm dies und statuierte in der Gesetzesbegründung, die Erläuterung in Absatz 3 Satz 2 solle dazu dienen, im Rahmen des Erlasses der Berufsordnung und ihrer Anwendung darauf hinzuweisen, die Anforderungen an die Sachlichkeit nicht zu eng zu fassen.29 29 BT-Drs. 12/4993, 27. Auch wenn der Gesetz- und Satzungsgeber weitere Möglichkeiten nicht unmittelbar genutzt haben, kann wohl nicht in Zweifel gezogen werden, dass derartige Fallgestaltungen – also die Verwendung von KI-Halluzinationen – weder der Gesetzgeber noch das BVerfG damals vor Augen haben konnten. Hält man indes die Anwendung von Satz 1 nicht grundsätzlich für ausgeschlossen, müssen – angelehnt an das BVerfG – die weiteren Fallgruppen jenseits von Satz 2 inhaltlich an das Gewicht der strafbaren Beleidigungen oder der Verbreitung von Unwahrheiten heranreichen; dann müssen die Berufsfreiheit einerseits und das von § 43a III geschützte Rechtsgut der funktionierenden Rechtspflege andererseits sorgfältig abgewogen werden.30 30 Hartung/Scharmer/Peitscher, 8. Aufl. 2022, BRAO § 43a Rn. 112; deswegen kaum justiziable Fallgruppen sehend Weyland/Bauckmann, 11. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 33. Nur so kann den verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet werden.31 31 So wohl auch Hartung/Scharmer/Peitscher, 8. Aufl. 2022, BRAO § 43a Rn. 112. BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 AUFSÄTZE 318

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