BRAK-Mitteilungen 5/2025

BRAK MITTEILUNGEN OKTOBER 2025 · AUSGABE 5/2025 56. JAHRGANG AKZENTE JEDERMANN HAT DAS RECHT ... Dr. Ulrich Wessels ... sich vor Gericht und in außergerichtlichen Rechtsangelegenheiten unabhängiger anwaltlicher Hilfe zu bedienen. So soll nach der Vorstellung der Rechtsanwaltskammern der neu zu schaffende Absatz 5 von Art. 19 GG lauten. Einstimmig waren die Kammern bei der 169. Hauptversammlung der BRAK Ende September in Hannover der Meinung, dass eine derartige Ergänzung unserer Verfassung notwendig ist. Kritische Geister mögen denken: Warum gleich ein neues Grundrecht? Schließlich ist bereits in der Verfassung verankert, dass allen Bürgerinnen und Bürgern Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen offensteht; und dass es eine unabhängige und selbstverwaltete Anwaltschaft gibt, steht in der BRAO. Ist das Ganze also nur ein schick verpacktes Lobbyprojekt? Und wem nutzt dieses neue Grundrecht wirklich? Genau die Regelung in der BRAO ist der springende Punkt: Denn damit ist lediglich in einem einfachen Gesetz normiert, dass die Anwaltschaft frei von staatlichem Einfluss ist und sich selbst verwaltet. Dieses Gesetz könnte von einer politischen Kraft, deren Priorität nicht auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liegt, mit einfacher Mehrheit im Parlament ausgehöhlt oder abgeschafft und beispielsweise durch ein System vollständig staatlich kontrollierter Rechtsberatung ersetzt werden. Aktuell sind weltweit die Herrschaft des Rechts und die Verteidigung und Durchsetzung der Rechte von Menschen und juristischen Personen unter Druck. Das zeigt in bedrückender Weise das Beispiel der USA, wo in den letzten Monaten Kanzleien durch die Regierung eingeschüchtert und der Regierung kritisch gesonnene Richterinnen oder Staatsanwälte abgesetzt oder angeklagt wurden. Das war an dieser Stelle schon mehrfach Thema und die negativen Nachrichten enden nicht. Auch in einem als sicher geglaubten demokratischen Rechtsstaat können die Dinge sich also schnell ändern. Eben deshalb ist eine verfassungsrechtliche Absicherung nötig. Das Recht auf eine unabhängige anwaltliche Unterstützung beim Zugang zum Recht sollte bei denjenigen anknüpfen, die Rechtsrat suchen: bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ihnen explizit ein Grundrecht zu gewähren, wirkt sich – vermittelt über die Berufsfreiheit der Anwältinnen und Anwälte aus Art. 12 I GG – auch auf die anwaltlichen Berufsträger aus. Wem nutzt das neue Grundrecht also? Natürlich der Anwaltschaft, gegen Eingriffe in ihre aus gutem Grund bestehenden Rechte wie etwa das Mandatsgeheimnis, aber auch gegen Eingriffe in ihre Selbstverwaltung. Ansprüche auf staatliche Finanzierung der anwaltlichen Beratung und Vertretung sollen damit nicht geschaffen werden. Das neue Grundrecht soll also nicht etwa einen warmen Geldregen über der Anwaltschaft niedergehen lassen. Es nutzt vor allem den Rechtsuchenden, indem es ihnen qualifizierten, nur ihren Interessen verpflichteten anwaltlichen Beistand sichert. Die Verortung als eigener Absatz stellt klar, dass es gleichermaßen für gerichtliche und außergerichtliche Angelegenheiten und für alle Rechtsgebiete gilt. Anders als in Art. 47 S. 2 der EU-Grundrechtecharta, die lediglich ein allgemeines Recht auf Beratung, Verteidigung und Vertretung durch wen auch immer gewährt, soll der neue Art. 19 V GG die Beratung und Vertretung durch qualifizierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sichern. Kernidee ist also: Im Interesse der anwaltlich Vertretenen wird die Unabhängigkeit ihres anwaltlichen Beistands gegenüber staatlichen oder dem Staat zuzurechnenden Eingriffen geschützt. In dieselbe Richtung weist auch die Konvention des Europarats zum Schutz des Anwaltsberufs, die von inzwischen 18 Staaten unterzeichnet wurde. Auch sie sieht u.a. vor, dass die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung und die Unabhängigkeit der Selbstverwaltung besonders gegen staatliche Eingriffe zu schützen ist. Freilich hat Deutschland die Konvention noch nicht unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert. Regierung und Parlament sind also gleich zweifach gefragt, um Anwältinnen und Anwälte besser abzusichern – vor allem auch im Interesse unserer Mandantinnen und Mandanten. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 315

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