BRAK-Mitteilungen 5/2025

den Umstand im Widerrufsbescheid im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen vielmehr gerade ausgeführt, dass dieser besonders ins Gewicht falle. Die ergänzenden Ermessenserwägungen vermögen an diesem Ermessensfehler nichts zu ändern. Denn die Bekl. hat dort gerade nicht – wie erforderlich – den Ermessensfehler eingeräumt und eine neue Ermessenabwägung unter Außerachtlassung des in die bisherige Ermessensentscheidung fehlerhaft einbezogenen sachfremden Umstands getroffen, sondern lediglich ihre bisherige Ermessensentscheidung verteidigt und unzutreffend gemeint, die sachfremden Erwägungen seien dort nicht ermessensleitend gewesen. Vor diesem Hintergrund kann das Vorbringen in der Beschwerde zusammen mit den ergänzten Ermessenserwägungen die Auffassung des AGH, dass die Ermessensentscheidung entscheidungserheblich den sachfremden Umstand der Verhinderung von Strafverfahren berücksichtigt habe, nicht ernstlich in Frage stellen. [26] (3) Letztlich folgt die Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung der Bekl. zusätzlich auch daraus, dass sie ihrer Ermessensentscheidung – sowohl im Widerrufsbescheid als auch im Rahmen der ergänzenden Ermessenserwägungen – einen Sachverhalt zugrundegelegt hat, der von ihrer eigenen Sachverhaltsermittlung nicht getragen wird. [27] (a) Die von der Bekl. bei ihrer Entscheidung ausfalschen Sachverhalt zugrunde gelegt weislich der Begründung des Widerrufsbescheids u.a. zugrundegelegten Annahmen, dass der Kl. über keine Kanzleiräume verfüge, in denen er zu den üblichen Geschäftsstunden normalerweise zu erreichen sei, dass er keinen betrieblichen Telefonanschluss habe und der Briefkasten zugeschweißt sei, lassen sich den von ihr diesbezüglich im Widerrufsbescheid angegebenen Sachverhaltsermittlungen nicht entnehmen. [28] Hiernach waren ausweislich der Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg v. 12.8.2019 unter der auch als Kanzleianschrift dienenden Adresse eine oder mehrere Zustellungen an den Kl. in einem Strafverfahren nicht möglich, ebenso nach Mitteilung der Polizei Sachsen-Anhalt v. 23.9.2019 mangels Briefkasten und Klingelschild eine Postzustellung in einer von der Polizei gegen den Kl. betriebenen Angelegenheit. Zudem befand sich nach den Feststellungen einer Mitarbeiterin der Bekl. vor Ort am 26.8.2019 sowie am 4.11. 2019 kein beschrifteter Briefkasten, kein Klingelschild und kein Kanzleischild an der angegebenen Kanzleiadresse. Einem Schreiben des Kl. v. 17.9.2019 an die Bekl. ist darüber hinaus zu entnehmen, dass er statt der bisherigen Telefonnummern eine neue Mobilnummer nutzen und weder seinen Faxanschluss noch seine E-MailAdresse betrieblich weiternutzen wollte. Aus alledem ergibt sich indes nicht, dass der Kl. – entgegen seiner Einlassung im erstinstanzlichen Verfahren – die Kanzleiräume in der unteren Etage des an der angegebenen Adresse befindlichen Hauses, die ausweislich der Feststellungen der Bekl. bei einem Ortstermin am 10.12. 2018 noch genutzt und ausgestattet waren, aufgegeben hat, er mithin – wie sowohl im Widerrufsbescheid als auch in den ergänzenden Ermessenserwägungen zugrundegelegt – im Zeitpunkt des Widerrufs nicht mehr über Kanzleiräume verfügte. Auch haben die Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er keine betriebliche Telefonnummer mehr nutzte; im Gegenteil hat er eine solche in seinem Schreiben v. 17.9. 2019 gerade mitgeteilt. Dass der Briefkasten zugeschweißt war, wie es in dem Widerrufsbescheid heißt, lässt sich den Ermittlungen ebenfalls nicht entnehmen. Weder ist in der Nachricht der Mitarbeiterin der Bekl. v. 27.8.2019, in der sie den Mitgliedern des Zulassungsausschusses über ihre Ortsbesichtigung v. 26.8.2019 berichtet hat, von einem zugeschweißten Briefkasten die Rede noch ist ein solcher auf den von ihr gefertigten Lichtbildern zu erkennen. Letztlich ist auch die der Ermessenserwägung der Bekl. zugrundegelegte Annahme, der Kl. sei für niemanden mehr erreichbar, auf Grundlage der Ermittlungen der Bekl. zumindest überzogen vor dem Hintergrund, dass sich das Wohn- und Kanzleigebäude weiterhin vor Ort befindet und nach den Feststellungen der Mitarbeiterin der Bekl. am 26.8. 2019 bewohnt erschien, für einen Wegzug oder gar eine Flucht des Kl. keine Anhaltspunkte dargetan sind und die Bekl. nach der Einstellung des vorangegangenen Widerrufsverfahrens am 20.12.2018 sich bis zum Widerruf nur auf zwei Beschwerden stützte, die jeweils die fehlende Möglichkeit der Zustellung unter seiner Anschrift betrafen, ohne aufzuzeigen, ob und wie häufig persönliche Zustellungen vor Ort versucht worden waren. Die Bekl. selbst hat ausweislich der Verwaltungsakten im streitgegenständlichen Widerrufsverfahren keine postalischen Zustellungsversuche unternommen und auch nur einmal erfolglos versucht, den Kl. vor Ort anzutreffen. Auch im Gerichtsverfahren sind keine Anhaltspunkte dafür dargetan worden, dass der Kl. im Zeitpunkt des Widerrufs seine Kanzleiräume aufgegeben hatte, keine betriebliche Telefonnummer mehr unterhielt, sein Briefkasten zugeschweißt war und der Kl. unter der angegebenen Anschrift gänzlich unerreichbar war. Im Gegenteil konnte ihm ein Schreiben des Rechtsanwaltsversorgungswerks v. 27.2.2020 unter dieser Anschrift zugestellt werden. Weiter haben ihn nach Erlass des Widerrufsbescheids unter seiner Telefaxnummer am 16. und 19.3.2020 Schreiben der Bekl. erreicht. [29] (b) Die Bekl. hat demnach ihren Ermessenserwägungen einen in wesentlichen Punkten von ihren Sachverhaltsermittlungen nicht gedeckten Sachverhalt zugrundegelegt, ohne hierfür eine fundierte Tatsachengrundlage zu haben. Hierdurch hat sie nicht nur ihre Pflicht zu einer sorgfältigen und umfassenden Sachverhaltsermittlung (§ 24 VwVfG) verletzt, was zur formellen Rechtswidrigkeit des Widerrufsbescheids führt (vgl. Kopp/Ramsauer/Ramsauer/Schlatmann, VwVfg, 25. Aufl., § 24 Rn. 36). Vielmehr hat diese mangelhafte Sachverhaltsaufklärung auch die Fehlerhaftigkeit ihrer Ermessenserwägungen zur Folge (vgl. Kopp/Schenke/ Ruthig, VwGO, 30. Aufl., § 114 Rn. 12; Eyermann/SchüBRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 406

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