ausgeübt, mildere Mittel nicht hinreichend berücksichtigt und keine hinreichende Abwägung vorgenommen hat, mithin – was der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerwGE 157, 356 Rn. 24) – insb. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in ausreichendem Maße beachtet hat. Denn die Bekl. hat bei ihrer Ermessensentscheidung der Bedeutung und Tragweite der durch Art. 12 I GG geschützten Berufsfreiheit nicht ausreichend Rechnung getragen. [21] (a) Ihren Erwägungen ist schon nicht zu entnehmen, dass sie berücksichtigt hat, dass der Widerruf nicht nur einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellt, sondern einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl, der den insoweit strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen muss. Im Gegenteil ist in dem Widerrufsbescheid ausdrücklich nur von der Berücksichtigung des Grundrechts auf freie Berufsausübung die Rede. Dies hat die Bekl. in den ergänzenden Ermessenserwägungen nicht relativiert oder korrigiert, sondern dort undifferenziert von einem Eingriff in die Berufsfreiheit gesprochen. Eine Einordnung in die Kategorie der Berufswahlfreiheit und eine konkrete Befassung damit, unter welchen Voraussetzungen ein derartiger Eingriff gerechtfertigt werden kann und aus welchen Gründen bei einer konkreten Abwägung hier eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung vorliegt, fehlt. [22] Auch ansonsten ist nicht ersichtlich, dass die Bekl. Bedeutung und Schwere des Eingriffs bei ihrer Ermessensentscheidung die Bedeutung und Schwere des Grundrechtseingriffs angemessen beachtet und ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat, dass der Widerruf auf die Fälle zu beschränken ist, in denen der hierdurch bewirkte Eingriff in die Freiheit der Berufswahl zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich ist (vgl. Senat, Beschl. v. 18.11.2013 – AnwZ (B) 3/13, NJW-RR 2014, 377 Rn. 7; v. 6.3.2006 – AnwZ (B) 29/05 Rn. 7; v. 30.6. 1986 – AnwZ (B) 16/86 Rn. 37; BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275, 276; BVerfGE 72, 26, 32 f.). Zwar hat die Bekl. im Widerrufsbescheid ausgeführt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht auf freie Berufsausübung zu berücksichtigen seien. In den ergänzenden Ermessenserwägungen hat sie weiter ausgeführt, dass der Widerruf einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit des Kl. darstelle. Der Widerruf sei aber zur Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege und zum Schutz der Rechtsuchenden geboten. Diese Ausführungen genügen indes nicht. Eine hinreichende einzelfallbezogene Abwägung, der sich entnehmen ließe, dass die Bekl. die Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit erkannt hat und dass und aus welchen Gründen sie hier dennoch den Widerruf zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter für zwingend erforderlich gehalten hat, fehlt. [23] (b) Zutreffend hat der AGH auch eine hinreichende Befassung damit, ob nicht mildere Mittel die Einhaltung der Kanzleipflicht bewirken könnten, verneint. Insoweit fehlt es jedenfalls an der gebotenen einzelfallbezogenen Prüfung, ob der Kl. sich nicht auch durch anwaltsgerichtliche Maßnahmen nach § 114 I Nr. 1 bis 3 BRAO zur Einhaltung der Mindestvoraussetzungen einer Kanzleipflicht hätte bewegen lassen. In dem Widerrufsbescheid hat sich die Bekl. mit dem pauschalen Hinweis begnügt, dass mildere Maßnahmen hier nicht geeignet seien. Dies lässt eine konkrete Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Fall und eine einzelfallbezogene Prüfung der Erforderlichkeit des Widerrufs unter Einbeziehung anwaltsgerichtlicher Maßnahmen nicht erkennen. Auch die nachgeschobenen Ermessenserwägungen vermögen diesen Ermessensfehler nicht auszuräumen. Zwar hat sich die Bekl. dort mit dem Grund dafür, dass ein Absehen von der Kanzleipflicht nicht in Betracht kam, befasst. Weiterhin nicht hinreichend berücksichtigt ist jedoch die Möglichkeit, die Einhaltung der Kanzleipflicht durch anwaltsgerichtliche Maßnahmen zu bewirken. Der Hinweis in den ergänzenden Ermessenserwägungen, dass berufsrechtliche Maßnahmen als mildere Mittel nicht gleich geeignet seien, um den Kl. dazu zu veranlassen, seiner Kanzleipflicht nachzukommen, da es nicht wahrscheinlich gewesen sei, dass er auf berufsrechtliche Maßnahmen reagieren würde, nachdem er im Anhörungsverfahren keinerlei Bemühungen gezeigt habe, seinen Pflichten nachzukommen, genügt nicht. Die Bekl. hat damit allein aus der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens, nämlich der trotz Anhörung (unterstellt) fortbestehenden Aufgabe der Kanzleipflicht, auf die Ungeeignetheit anwaltsgerichtlicher Maßnahmen geschlossen, ohne weitere Anhaltpunkte dafür zu haben, dass der Kl. sich auch hierdurch nicht zur Einhaltung der Mindestanforderungen an eine Kanzlei hätte bewegen lassen. Mit dieser Argumentation ließe sich im Regelfall des Verstoßes gegen eine Kanzleipflicht der sofortige Widerruf begründen, was indes der Bedeutung der Berufsfreiheit und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht würde. [24] (2) Zutreffend hat der AGH einen Ermessensfehler Ermessensfehler auch darin gesehen, dass die Bekl. in dem Widerrufsbescheid bei ihren Ermessenserwägungen darauf abgestellt hat, der Kl. entziehe sich dadurch, dass Zustellungen an ihn nicht möglich seien und er an keiner Adresse amtlich gemeldet sei, der strafrechtlichen Verfolgung. Zu Recht hat der AGH dies für eine einen Ermessensfehler begründende sachfremde Erwägung (vgl. BVerwGE 91, 135, 140; BVerwGE 70, 143, 151; Schoch/Schneider/Riese, VwGO, § 114 VwGO Rn. 66, Stand: August 2024; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 114 Rn. 162a) gehalten, da die Kanzleipflicht nicht die Durchführung von Strafverfahren gegen einen Rechtsanwalt ermöglichen solle. [25] Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag und in ihren ergänzenden Ermessenserwägungen handelte es sich insoweit um eine ermessensleitende Erwägung der Bekl. und nicht lediglich um ein Beispiel dafür, dass der Kl. nicht erreichbar war. Die Bekl. hatte zu diesem für die Entscheidung über den Widerruf sachfremBERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5/2025 405
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