ANMERKUNG: Bereits seit dem Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese an den Status als Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt anknüpft oder an die konkrete Rolle im jeweiligen Verfahren (letzterer Ansicht etwa VG Berlin, BRAK-Mitt. 2022, 236 Ls.). Hintergrund ist, dass nach § 130d S. 1 ZPO – und parallel § 32d StPO, § 55d VwGO, § 46g ArbGG, § 52d FGO, § 65d SGG – Schriftsätze und Anlagen, die „durch einen Rechtsanwalt (...) eingereicht werden“, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Die Frage stellt sich nicht nur in Konstellationen wie der hier vom BGH entschiedenen, in denen ein zugelassener Rechtsanwalt in eigener Sache handelt. Sie wird ebenso relevant, wenn er in einem Prozess nicht als anwaltlicher Prozessvertreter, sondern in anderer Rolle agiert, etwa als Berufsbetreuer oder Insolvenzverwalter, oder aber bei sog. Doppelbändern, wenn für ihren zweiten Beruf noch keine aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gilt, wie aktuell z.B. noch für Wirtschaftsprüfer. Der BGH legt die aktive Nutzungspflicht statusbezogen aus. Für verschiedene Konstellationen, in denen ein Rechtsanwalt in eigenem Namen auftrat und Rechtsmittel einlegte, hat er deshalb eine Nutzungspflicht explizit bejaht (s. BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22, BRAK-Mitt. 2023, 58 – Insolvenzverwalter; BGH, Beschl. v. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22 – Verfahrenspfleger; BGH, Beschl. v. 31.5.2023 – XII ZB 428/22, NJW-RR 2023, 1233 = BRAK-Mitt. 2023, 426 Ls.), zuletzt auch für das Auftreten in einem Zwangsvollstreckungsverfahren in eigener Sache (BGH, Beschl. v. 4.4.2024 – I ZB 64/23, NJW 2024, 2255 = BRAK-Mitt. 2024, 243 Ls.). Hier reiht sich die aktuelle Entscheidung ein, mit der der BGH für eine weitere Fallkonstellation – das Einlegen eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt im Teilungsversteigerungsverfahren – eine statusbezogene Auslegung von § 130d S. 1 ZPO für richtig hält. Offengelassen hat der BGH hingegen bislang, was gilt, wenn ein zur Rechtsanwaltschaft zugelassener Betreuer oder Verfahrenspfleger bewusst als Privatperson oder ehrenamtlich auftritt und dies nach außen deutlich macht (vgl. BGH, NJW-RR 2023, 1233 Rn. 16 sowie Beschl. v. 31.1.2023 – XIII ZB 90/22 Rn. 22). Für die Annahme einer statusbezogenen Nutzungspflicht führt der BGH in allen bisher entschiedenen Konstellationen vor allem den mit § 130d ZPO und den Parallelvorschriften verfolgten Zweck an, den ERV zu fördern, eine medienbruchfreie Kommunikation mit den Gerichten zu ermöglichen sowie Portound Druckkosten zu reduzieren (s. die vorzitierten Entscheidungen sowie oben Rn. 25 ff.). Zudem seien Rechtsanwälte ohnehin berufsrechtlich verpflichtet, ein beA vorzuhalten; die elektronische Kommunikation mit Gerichten gehöre zu ihrem beruflichen Alltag (s. oben Rn. 34, 37). Auch in anderen Fällen, in denen in Frage stand, ob oder auf welchem Weg der ERV zu nutzen ist, stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung maßgeblich auf den Zweck ab, den ERV zu fördern (s. zuletzt BAG, Beschl. v. 19.12.2024 – 8 AZB 22/24, BRAK-Mitt. 2025, 162 mit Anm. Nitschke). Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass Entscheidungen über bislang offengelassene Fallkonstellationen anders ausfallen werden. Für zugelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte empfiehlt sich daher auch dann, wenn sie explizit in eigener Sache und nicht anwaltlich auftreten, Dokumente elektronisch einzureichen. Freilich bedeutet das – worauf auch der BGH (s. oben Rn. 19) hinweist – nicht, dass zwingend das beA genutzt werden müsste. Fehl geht allerdings sein Hinweis auf die Einreichung per De-Mail. Zwar trifft zu, dass es sich dabei ebenfalls um einen sicheren Übermittlungsweg i.S.v. § 130a III, IV ZPO handelt. Jedoch gilt das Projekt De-Mail als gescheitert. Für die Bundesverwaltung entfiel die Verpflichtung, einen DeMail-Zugang anzubieten, mit dem OZG-Änderungsgesetz im Juli 2024. Aktuell bietet nur noch ein einziger Provider überhaupt De-Mail an. Der BGH verweist daher auf einen nur noch theoretisch existenten Weg. Weitere sichere Übermittlungswege i.S.v. § 130a IV Nr. 4 ZPO sind „Mein Justizpostfach“ (MJP) und das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO). Beide kommen als Ausweichmöglichkeiten in Betracht, sofern Anwältinnen oder Anwälte nicht das beA nutzen möchten, um zu verhindern, dass Personen innerhalb der Kanzlei, denen sie Zugriffsrechte auf ihr beA eingeräumt haben, auch Einsicht in ihre privaten Angelegenheiten erhalten könnten. Allerdings ist für die Nutzung des eBO eine kostenpflichtige Software nötig. MJP hat, worauf Biallass (NJW 2025, 1665) zu Recht hinweist, den Nachteil, dass dann im SAFE-Verzeichnis für sämtliche Nutzerinnen und Nutzer des ERV aus Anwaltschaft, Justiz, Verwaltung und anderen Berufsgruppen die Privatadresse sichtbar wäre. Wer die Vertraulichkeit gegenüber dem eigenen Arbeitsumfeld hoch priorisiert, muss diese Nachteile wohl nach derzeitiger Rechtsprechung in Kauf nehmen oder eine anwaltliche Vertretung beauftragen. Wegen des Umstands, dass bei einer verpflichtenden Nutzung des beA andere Personen aus der Kanzlei Einblick in private Rechtsstreitigkeiten eines Rechtsanwalts erhalten können, hat das FG Berlin-Brandenburg in einer aktuellen Entscheidung (Pressemitt. 8/2025 v. 19.6.2025; Urt. v. 11.6.2025 – 3 K 3005/23) die Nutzung des beA für unzumutbar gehalten. Ob sich das Gericht mit etwaigen Ausweichmöglichkeiten auseinandergesetzt hat, ist nicht erkennbar. Sich als Anwältin oder Anwalt in eigener Sache darauf zu verlassen, dass andere Gerichte ähnlich entscheiden könnten, ist jedenfalls nicht anzuraten. Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., Karlsruhe BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2025 293
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